Ich gebe es zu, ich habe ein morbides Interesse an dramatischen Ereignissen, die sich in den lebensfeindlichen Zonen der Berge und Pole abspielen. Ob Fehleinschätzungen oder einfach nur Pech: Auch in jüngerer Zeit noch ereignen sich insbesondere am Mount Everest Dramen, die eigentlich ins Reich der tragischen Abenteuerromane gehören. Vielleicht kennst du ja den hochkarätig besetzten Film Everest aus dem Jahre 2015, der das reale Unglück im Jahre 1996 thematisiert, bei dem auch erfahrene Bergführer ums Leben kamen – wenn nicht, solltest du ihn dir mal ansehen :D
Aber heute geht es gar nicht um den Mount Everest – wir schauen auf einen Berg, der gar nicht so weit weg ist: Den Eiger in der Schweiz. Eiger, Mönch und Jungfrau bilden eines der beeindruckendsten Berg-Ensembles in den nördlichen Alpen und sie sind durch die Jungfrau-Zahnradbahn gut erschlossen.
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Die Eiger Nordwand – ein Mythos
Letzte Woche waren Pierre und ich in Interlaken am Brienzer See unterwegs. Von dort kann man schon einen Blick auf diese drei Berge erhaschen – und bei „Eiger“ kommt mir unweigerlich auch immer die Eiger Nordwand in den Sinn. Ein unheilschwangeres, schauriges Wort – als kleines Kind hatte ich während eines Urlaubs in der Schweiz von meinem Vater aufgeschnappt, dass das ein gefährlicher Berg wäre, von dem mehrere Bergsteiger runtergefallen und gestorben sind. Im kindlichen Gemüt setzte sich fest, dass man besser einen weiten Bogen um den Berg machen sollte. Eiger Nordwand, huuuuh!
Na, jedenfalls stand der Eiger letzte Woche einfach da, recht friedlich, ganz ohne hämisches, böses Kichern. Aber ich erinnerte mich wieder daran, dass da ja „was war“. Noch im Hotelzimmer wollte ich es genauer wissen und las mir auf Wikipedia die beiden größeren Dramen durch.
Die „Nordwand“ des Eiger steigt über fast 1800 Meter nahezu senkrecht nach oben an. Während die anderen Flanken des Berges wohl ganz gut machbar sind, gehören die Routen durch die Nordwand zu einem, laut Wikipedia, langwierigsten und anstrengendsten Kletter-Unterfangen in den Alpen. Zwar war der Gipfel des Eiger schon im 19. Jahrhundert schon längst erobert, aber eine Durchsteigung der gefährlichen Nordwand gelang erst 1938.
Frühere Versuche scheiterten. 1934 musste ein Zweier-Team umkehren, 1935 starb ein Zweier-Team beim Versuch der Durchsteigung. 1936 schließlich versuchten es vier Kletterer aus Deutschland und Österreich erneut – und dabei kam es dann zu den dramatischen Ereignissen, die der Film „Nordwand“ aus dem Jahr 2008 mit etwas Fiktion verflochten thematisiert. Gestern schauten wir uns den Film an.
Nordwand – Die Handlung des Films
Luise (gespielt von Johanna Wokalek) ist Volontärin bei einer Berliner Zeitung und bekommt durch ihre Bekanntschaft mit den beiden Bergsteigern Toni Kurz (Benno Fürmann) und Anderl Hinterstoißer (Florian Lukas) den Auftrag, die beiden zur Erstdurchsteigung der Eiger Nordwand zu überreden und darüber eine schöne, arisch-deutsche Siegesreportage zu schreiben. Die Eiger Nordwand galt als „das letzte Problem der Alpen“ und Hitler wünschte sich, dass siegeswillige, Kruppstahl-harte deutsche Helden diese Besteigung für Deutschland verbuchen würden.
Vielversprechender Start der Klettertour
Toni Kurz zaudert eine Weile, weil er Respekt vor der Nordwand hat – auch, weil im Vorjahr ein Erstbesteigungsversuch tödlich ausgegangen war, aber sein bester Freund Anderl Hinterstoißer überredet ihn schließlich. Zufällig haben Toni und Luise auch noch eine gemeinsame Geschichte – sie sind zusammen aufgewachsen und es knisterte heftig, bevor Luise nach Berlin ging. Obwohl es auch weiterhin knistert, ruft der Berg doch mehr und schließlich brechen Toni und Anderl nachts auf und nehmen die Nordwand in Angriff.
Ihnen folgen zwei Konkurrenten aus Österreich, die auch gern zuerst auf dem Gipfel wären und es entbrennen einige Wortgefechte in schwer verständlichem österreichischem Dialekt :D Leider zieht sich schon am Anfang Willy Angerer, einer der beiden Österreicher durch Steinschlag eine Kopfverletzung zu, so dass das österreicher Team große Schwierigkeiten hat, alleine voranzukommen.
Von den Hotels am Fuß des Berges aus beobachten die Schaulustigen auf den Hotelterrassen mit großen Fernrohren das Vorankommen der Kletterer und stoßen am ersten Abend schon die zu erwartende erfolgreiche Besteigung am nächsten Tag an. Verfrüht, wie sich (natürlich) herausstellt.
Helfen und umkehren oder immer weiter voran?
Toni und Anderl kämen zwar noch gut voran, aber sie bemerken die Schwierigkeiten, mit denen Willy Angerer und Edi Rainer zu tun haben. Willy scheint durch seine Verletzung kaum noch fähig zu sein, selbstständig weiterzuklettern, und als er sich durch einen Sturz noch das Bein bricht, sieht die Sache aussichtslos aus.
Unter den drei gesunden Kletterern entbrennt nun eine heftige Diskussion, was zu tun sei: Die beiden Österreicher zurücklassen und weiterklettern? Zusammen den Verletzten bis zum Gipfel tragen und von dort über die leichteren Routen Hilfe holen oder doch alle zusammen umkehren?
Diese Diskussion führt auch heute immer wieder zu Kritik, insbesondere am Mount Everest, und zuletzt erst im Mai diesen Jahres, als wieder einige Everest-Touristen ums Leben kamen. In der Öffentlichkeit flammte die Diskussion auf, weil Bilder zeigen, wie hunderte Menschen in einem Stau vor dem Gipfel quasi direkt über die Leiche eines Mannes steigen, der erst kurz zuvor entkräftet und höhenkrank zusammengebrochen und gestorben war. Aufsehen erregte 2006 auch der Fall des Briten David Sharp, der sterbend am Wegesrand saß, während über Stunden verteilt vierzig Bergsteiger an ihm vorbeiliefen – davon gibt es sogar Videoaufnahmen.
Die Frage ist: Hilft man unter so schwierigen Bedingungen wie in der Todeszone im Himalaya oder eben an der Eiger Nordwand anderen – oder ist es okay, weiterzugehen, um das Ziel zu erreichen? Jeder Bergsteiger kennt ja das Risiko und weiß, dass eine Rettung sehr schwierig ist. Jedenfalls – in der Eiger Nordwand entscheiden sich die drei Bergsteiger zur Umkehr und transportieren den verletzten Willy unter größten Mühen mit sich.
Die Tragödie nimmt ihren Lauf
Nun kommt auch noch ein Wetterumschwung dazwischen. Nachts wird es bitterkalt, die Wand friert ein und die Bergsteiger merken, dass das ganze Unterfangen tragisch auszugehen droht. Im Hotel unten ist mittlerweile auch klar, dass es mit der Erstdurchsteigung nichts wird. Luises Chef, der sie begleitete, will schon enttäuscht abreisen, denn mit der Siegesstory wird es nichts – er entscheidet sich aber zu bleiben, weil er auf eine Tragödie hofft, die natürlich ebenfalls eine tolle Geschichte abgeben würde.
Zu sehen ist von unten jedenfalls nichts, weil Wolken die Sicht auf die Kletterer versperren. Als dann gegen Abend auch noch ein Sturm aufzieht, wächst Luises Sorge um ihre beiden Freunde und insbesondere um Toni immer weiter. Schon längst geht es für sie nicht mehr um eine Reportage. Am frühen Morgen des nächsten Tages begibt sie sich durch den Jungfraubahn-Tunnel zu einem Aussichtsbalkon in der Nordwand und versucht im Sturm, die Männer zu rufen. Weiter verrate ich nichts :-)
Was ist dran an der Verfilmung?
Im Gegensatz zum erwähnten Everest-Film hält sich „Nordwand“ nicht ganz so strikt an die realen Geschehnisse. Luises Part ist komplett erfunden, und gegen Ende spielt sie sogar eine recht bedeutende Rolle. Dass sie dabei ist, ist aber verständlich. Durch die unterschwellige Liebesgeschichte bekommt das Drama noch einen zusätzlichen dramatischen Touch, und ohne Luise müsste der Film ganz ohne weibliche Hauptrolle auskommen.
Außerdem ist es mit Luise möglich, einen Bogen zu den Reportern und anderen Schaulustigen im Hotel unten zu schlagen und zudem einen Kontrast zu den Bergsteigern zu zeichnen. Während im Hotel bei Wein und gutem Essen über Rassenmerkmale und gute Arier parliert wird, rühren sich Toni und seine Begleiter irgendeine Graupensuppe in einer Büchse zusammen.
Was sich übrigens tatsächlich in der Wand zugetragen hat, das kann man auch nur vermuten. Manches wurde per Fernrohr beobachtet, wie etwa der kühne „Hinterstoißer-Quergang“ und manches berichtete dann das Rettungsteam – aber die exakten Details behält die Wand für sich (um wieder ein wenig schaurig zu werden :D). Der Film „Nordwand“ hält sich aber immerhin im Großen und Ganzen an das, was nach dem Unglück für wahrscheinlich gehalten wurde.
Auch die Dialoge des Films sind sehr stark. Es ist eine deutsch-schweizerisch-österreichische Produktion und wir erfreuen uns also an liebenswürdigen Dialekten in der Originalfassung, die allerdings manchmal das Verstehen nicht ganz einfach machen :D Lauter Sturm und österreichischer Dialekt – das geht schwierig zusammen, und Untertitel gibt es nicht ^^ Ansonsten musste ich über die Dialoge aber oft lachen, weil man ihnen die damalige Zeit einfach gut abnimmt: Deutscher Großangriff auf die Eigerwand, kolossal!
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Meine Meinung zum Film
Kurz gesagt: Empfehlenswert! „Nordwand“ ist gut aufgemacht und zeigt gut, wie nationalistisches Konkurrenzdenken auch vor sportlichen Erfolgen keinen Halt machte. Wir kennen das vielleicht ansatzweise von Fußball-Welt- und Europameisterschaften, aber im Gegensatz zu einer Erstbe/durchsteigung gibt es die eben alle zwei Jahre. In den 30er Jahren aber stilisierte man Gipfelerfolge zu „deutschem Pioniergeist“, der die Überlegenheit der „deutschen Rasse“ unter Beweis stellen sollte.
Aber der Laie bekommt auch einen Einblick, wie gefährlich so ein Berg werden kann. Mehrere Tage in einer vereisten Felswand herumklettern? Du meine Güte. Und dann noch mit einer so „niedlichen“ Ausrüstung: sackartige Rucksäcke, Wadenwickel und Wollhandschuhe, nicht mal Steigeisen hatten die Kletterer dabei. Das ist schon Wahnsinn.
Obwohl ich „Nordwand“ ziemlich gut finde, würde ich dem Interessierten raten, sich auch den Wikipedia-Artikel zum Besteigungsversuch 1936 durchzulesen. Auch ohne Film mit seinen fiktionalen Elementen kann man sich dabei ziemlich gut bildlich ausmalen, was für eine Tragödie das Ganze war. Wer sich mehr für das Thema interessiert, bekommt in dieser Doku genauere Infos, was sich damals zugespielt hat.
Auch wenn die Durchsteigung der Nordwand mittlerweile immer wieder erfolgreich ist und auch die „Heckmaier-Route“ der erfolgreichen Erstdurchsteigung 1938 innerhalb von einem bis zwei Tagen machbar ist, sind inzwischen über 70 Menschen tödlich verunglückt, zuletzt im Februar 2019. Kein Wunder also, dass ich das Thema so spannend finde!
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