Details zum Buch
Autor: Marc-Uwe Kling
Titel: QualityLand
Veröffentlichung: 22.09.2017
ISBN: 978-3550050152
Seiten: 384 Seiten
Dieses Buch, das 2017 in den Bestsellerlisten landete, ist kein Roman im eigentlichen Sinne, sondern mehr eine dystopische Vision in humoristischen, überspitzten Worten. Wer die hervorragende Serie Black Mirror kennt, der wird sich in QualityLand wohlfühlen!
QualityLand wird übrigens trotz (oder gerade wegen?) seiner eher rudimentären Handlung von HBO als Serie umgesetzt. HBO, das sind die, denen wir Game of Thrones und Rome verdanken, also nicht irgendein Hinterhofstudio! Ich bin schon sehr gespannt auf die Serie :D
Die Handlung
Es war einmal ein westliches Land, das seinen alten Namen ablegte und sich in QualityLand umbenannte. Denn das wichtigste, was zählt, ist Qualität. Was „Qualität“ aber ist, das definieren die hemmungslos wuchernden Großkonzerne:
- Qualität ist beispielsweise, mehr über die Menschen zu wissen als sie selbst und sie so mit exakt auf sie zugeschnittenen Produkten und Content zu füttern. Ganz egal, ob beim Versandhändler, in den Nachrichten oder gar im Wahlkampf. Der Bürger wird dadurch komplett manipulierbar (Filterblase).
- Qualität ist auch, jeden Bürger in ein Bewertungssystem einzustufen, um ihn zur „Selbstoptimierung“ zu ermutigen. Je höher das Level des Bürgers, desto mehr Privilegien stehen ihm zu. Unter Level 10 gilt man als nutzlos und hat kaum eine Chance, sich weiter nach oben zu arbeiten.
QualityLand ist daher ein grotesk zugespitztes Alptraum-Land, in dem jegliche soziale Ethik und alle moralischen Bedenken zugunsten von Gewinnmaximierung über Bord geworfen werden.
Zwei Handlungsstränge und mehrere (natürlich fiktive) Nachrichten aus der Welt und Forenbeiträge dienen Kling dazu, seine Schreckensversion der alles bestimmenden Algorithmen auszubreiten. Dazu nimmt er einfach das, was wir schon haben: Soziale Medien, Like-Sucht, Google, Amazon, Trump (ups, Ähnlichkeiten zu Konzernen und Personen in QualityLand sind natürlich rein zufällig!) – und spitzt das ganze ein wenig mit etwas beißendem Humor und Extra-Würze zu.
Ein Mann, der keinen rosa Delfinvibrator braucht …
Im einen Strang versucht Peter Arbeitsloser (so heißt er, denn in QualityLand übernehmen die Kinder den zum Zeitpunkt der Geburt ausgeübten Beruf des Vaters/der Mutter als Nachnamen), der mit Level 9 als „nutzlos“ gilt, einen Sinn in seinem fremdbestimmten Leben zu finden. Er scheint der einzige in QualityLand zu sein, der das ganze System hinterfragt.
Damit eckt er immer wieder an: Nicht nur bei anderen Menschen, sondern auch im System selbst, da er sich nicht verhält, wie es von ihm erwartet wird. Dass Peter, der von seiner Freundin Sandra Admin verlassen wird, weil ihr die QualityPartner-Plattform einen „besseren“ Partner vorschlägt, deswegen mit Depressionen zu kämpfen hat, ist gut zu verstehen.
Und dann schickt ihm TheShop – der weltweit beliebteste Versandhandel – auch noch ungefragt einen rosa Delfinvibrator zu. Das ist der Tropfen, der Peters Fass zum Überlaufen bringt. Zusammen mit dem Vibrator macht er sich auf die märchenhafte Suche nach Antworten: Er will wissen, warum Algorithmen das Leben aller bestimmen und uns sagen, wen wir wählen und lieben und was wir kaufen sollen (bevor wir unsere Wünsche überhaupt kennen).
Ich habe diese Suche als „märchenhaft“ bezeichnet, weil mich Peters Handlungsstrang tatsächlich an ein Märchen erinnert :D QualityLand scheint von einem bösen Zauber belegt worden zu sein, der alle Menschen dazu bringt, nicht mehr selbst zu denken. Ein paar gescheiterte Roboter (darunter ein impotenter Sexroboter und ein Anwaltsroboter, der ein Gewissen entwickelte) begleiten ihn auf seiner Suche, die ihn letztlich nicht nur zu einem „Weisen“ führen, der die Antworten hat – sondern auch zu den „bösen Zauberern“, den Bossen der Großkonzerne, die mehr über dich wissen als du selbst.
… und eine Maschine, die für alles eine Antwort weiß
Auf einer ganz anderen Ebene befindet sich QualityLand gerade mitten im Wahlkampf. Conrad Koch, ein populistischer Parolenschreier, punktet durch Angstmacherei, Ausländerfeindlichkeit und Verleugnen von guten Argumenten („Alles Lügen!“). Er tritt gegen eine KI an, einen Roboter namens John of Us. John of Us hat einige Qualitäten: Er ist rational und nicht beeinflussbar. Er verfügt über das Wissen der gesamten Menschheit und kann alle Probleme zu jedermanns Vorteil lösen.
Allerdings hat John of Us mit ziemlich schlechten Umfragewerten zu kämpfen: Seine Vorschläge zur Umverteilung von Vermögen für mehr soziale Gerechtigkeit werden in höheren Schichten selbstredend nur ungern gehört, und die unteren Schichten interessieren sich mehr für die einfachen Parolen Conrad Kochs, mit denen sie Ausländern die Schuld an allem Elend in die Schuhe schieben können. Vernunft scheint in QualityLand zu einer völlig überbewerteten Eigenschaft geworden zu sein.
Zu seinem Unglück ist er [Martyn, eine Nebenfigur] aber leider wirklich nicht der Schlaueste, und unter den vielen Vorwürfen, die man seinem Vater gerechterweise machen kann, ist nicht jener, dass er seinen Sohn im Hinblick auf dessen Verstandesfähigkeiten angelogen habe. Martyn hat das Beste aus seinen begrenzten Möglichkeiten gemacht: Er ist Politiker geworden. Eine durchaus gängige Wahl. In gewissem Sinne ist das Parlament heute, was früher das Kloster war: der Ort, an dem die Oberschicht ihre überflüssigen Sohne loswerden kann.
Bissiges Zitat aus QualityLand
QualityLand – Rezension
Marc-Uwe Kling nimmt sich den derzeit herrschenden Populismus, Clickbait-Überschriften, verschwenderische Konsum- und Geltungssucht und knallt uns alles mit bissigem Humor so richtig vor den Latz.
[Ein Conrad Koch-Wahlkampfhelfer zu Peter Arbeitsloser] „Und so wie Sie sind auch wir von Kampagne für Conrad Koch besorgt über die Ausländerflut, die unser schönes Land zu überschwemmen droht.“
„Ich bin nicht besorgt“, sagt Peter.
„Nicht?“ fragt der Mann überrascht und schaut auf sein QualityPad.
„Ich habe keine Probleme mit Ausländern“, sagt Peter. „Ich kenne nicht mal welche.“
„Nun ja“, sagt die Frau lächelnd, „keine Ausländer zu kennen hält ja die wenigsten Leute davon ab, Probleme mit Ausländern zu haben.“
„Die kommen doch alle nur hierher, weil sie ein Stück vom Kuchen haben wollen“, sagt der Mann.
„Aber es ist doch unser Kuchen!“, sagt die Frau.
„Was denn für ein Kuchen?“, fragt Peter. „Was reden Sie da für einen Unsinn?“
„Der Mann blickt nochmal auf sein QualityPad.
„Sie finden also nicht, dass die ganzen Immigranten dahin zurück sollten, wo der Pfeffer wächst?“
„Nein“, sagt Peter. „Wie kommen Sie darauf?“
„Aber Sie sind frustriert?“
„Ja, und?“
Zwei Wahlkampfhelfer von Conrad Koch besuchen Peter Arbeitsloser und machen Wahlwerbung
Die Macht von Algorithmen und privaten Daten
Schleichende Änderungen sind schwer zu erkennen: Angeblich bemerkt ein Frosch im Kochtopf nicht, dass er gekocht wird, wenn das Wasser sich nur ganz langsam erwärmt. Genauso erkennen wir nicht, wie in der Realität (!) Algorithmen immer mehr unser Leben bestimmen, weil der Prozess schleichend abläuft, und weil wir es ja auch toll finden, nur das zu sehen, was gut zu uns uns unseren Interessen passt.
Aber – und das ist einer der Hauptpunkte von QualityLand – Algorithmen sind eben auch unbestechlich. Sie analysieren nach bestimmten Regeln große Datenmengen und berechnen daraus Wahrscheinlichkeiten. Eine Wahrscheinlichkeit ist aber kein Fakt und in die Rechnung wird auch nicht das meistens unvorhersagbare menschliche Befinden einbezogen. Zufällig genau heute, als ich diese Rezension schreibe, erschien ein neues Interview mit Yuval Noah Harari, Autor des empfehlenswerten Buches Homo Deus, in dem er wieder vor der Macht von Algorithmen warnt.
Was Kling in QualityLand macht, ist nun ein kleiner Sprung in eine mögliche Zukunft, in der das Leben insgesamt pervers verzerrt erscheint. Doch dieser Unterschied zwischen Europa 2019 und QualityLand hilft schon, auch die Gegenwart anders zu betrachten bzw. zumindest die aktuellen Entwicklungen mit Sorge zu verfolgen. Auf einmal lerne ich die Datenschutzgrundverordnung aus 2018 doch zu schätzen.
„Es ist Ihnen vielleicht auch bekannt, dass schon seit geraumer Zeit die erfolgreichsten Romane von E-Poeten verfasst werden, also von künstlichen Intelligenzen, die die marktkonformste Zusammenstellung von Wörtern ausrechnen? […] Ich sage Ihnen mal was. Die Bestsellerlisten anzuführen ist keine Kunst. Das ist nur EDV! Wir kriegen gigantische Datenmengen von allen QualityPads geliefert: Wer liest welches Buch, welche Stellen werden übersprungen, welche öfter gelesen, dazu noch die Auswertung der Gesichtszüge von jedem einzelnen Leser bei jedem einzelnen Wort, und daraus errechnen ich und meine Kollegen die neuesten Bestseller.“
Kalliope 7.3, E-Poetin, zu Peter Arbeitsloser in QualityLand. Algorithmen bestimmen, wie beliebte Bücher aussehen
Dennoch – wir alle wissen um die Datensammelwut der großen Interntkonzerne und wundern uns, wenn uns unser Handy auf einmal an Termine erinnert, die wir ihm gar nicht gesagt haben. Oder wenn die Werbung uns genau die Produkte präsentiert, die uns wirklich gut gefallen.
Noch problematischer ist, wenn die gesammelten privaten Daten nicht nur innerhalb einer Plattform, wie etwa Amazon, genutzt werden, sondern frei über alle Institutionen hinweg nutzbar sind – so wie in QualityLand. So weiß natürlich sofort jeder Bescheid, dass Peter Arbeitsloser wieder Single ist: TheShop bietet ihm passende Produkte dazu an und die Wahlkampfhelfer wissen, dass Peter deswegen frustriert ist. Jeder kann das Privatleben des Einzelnen für die eigenen Zwecke ausschlachten – und tut es auch. An dieser Stelle erinnert QualityLand durchaus an den „Überwachungsklassiker“ 1984 von George Orwell.
So läuft die Welt dank Internet
Bei allem Humor und aberwitzigen (Horror-)Ideen zur Zukunft hat QualityLand aber lehrreiche Aspekte. Dazu nutzt Kling einen „Alten“ – eine Art „Dorfältester“ aus den Zeiten vor dem Internet, der versucht, sich vor jeglichem Tracking abzuschotten. Der „Alte“ erklärt Peter etwa einfache, aber sehr interessante Prinzipien der Online-Marktwirtschaft. Dadurch können wir als Leser tatsächlich auch etwas mitnehmen und lernen.
Durch das The Winner takes it all-Prinzip beispielsweise konnte es einigen Internet-Giganten gelingen, in kürzester Zeit zu globalen Marktführern zu werden. Das war vor der weltweiten Vernetzung noch nicht möglich.
Und danach folgte durch den Aufbau von Filterblasen der Ausbau der Marktstellung. Unter Filterblasen versteht man, mithilfe des Suchverlaufs, zuvor gekauften Artikeln oder angeschauten Videos herauszufinden, was der Nutzer mag – und ihm dann passend dazu weiteren Content zu zeigen. Dann fühlt er sich wohl, bleibt länger auf der Seite und kauft mehr.
Denise guckt ihre Lieblingsserie. Es ist eine alte Show über vier Frauen, die in einer Stadt namens New York leben.
Nebenfigur Denise schwelgt ihrem Hobby: Binge-bestelling :D
„Stopp“, sagt sie, und das Bild friert ein. „Die Bluse von Carrie Bradshaw.“
Auf dem Bildschirm wird die Bluse markiert, die die Schauspielerin Sarah Jessica Parker trägt, Produktname, Markenname und aktueller Preis bei TheShop, dem weltweit beliebtesten Versandhändler, werden eingeblendet.
„Bestellen. In meiner Größe.“
Ein freundliches Pling bestätigt Denise, dass der Bestellvorgang erfolgreich durchgeführt worden ist. Nun werden weitere Produktinformationen zu Dingen eingeblendet, die auf dem Bildschirm zu sehen sind. […] Die Lampe, der Tisch, die Pizza, der Softdrink, der schon seit Minuten so penetrant im Vordergrund zu sehen ist. Einige der Dinge wurden nachträglich in die Serie eingefügt. Das neue QualityPad, das auf dem Tisch liegt, zum Beispiel. Digitales Post-Post-Production-Product-Placement, auch belannt als 5P. Der letzte Schrei in der Werbebranche.
Richtig problematisch wird das, wenn eine zweifelhafte Weltanschauung durch diese Filterblasen immer bestätigt und weiter gefestigt werden. Der Nutzer sieht nur noch diesen schrägen Content und bekommt keine anderen Meinungen mehr mit. Denken wir doch nur an merkwürdige Verschwörungstheorien wie Reichsbürger, die meinen, dass es die Bundesrepublik Deutschland nicht gibt.
Ist das Internet „böse“?
So alptraumhaft, wie Klings beschworene Zukunftsvision in QualityLand ist, sollte man meinen, dass das Internet etwas Schlechtes ist. Immerhin hat es diese Entwicklung ermöglicht.
Nein, das Internet ist nicht böse. Tatsächlich war es ursprünglich dazu gedacht, einen schnelleren Informationsfluss zu ermöglichen. Immerhin hat damit nun jeder die Möglichkeit, von überall her in Sekunden auf riesige Wissensbestände zuzugreifen. Früher musste man in die Bibliothek gehen. Durch das Internet könnte jeder Mensch seinen eigenen Versandhandel eröffnen, er kann sich weiterbilden, man kann jederzeit mit anderen Menschen auf der ganzen Welt in Kontakt bleiben. Das sind ja hehre Grundgedanken :D
Problematisch ist nur, dass das Internet schnell kommerzialisiert wurde und einige findige Unternehmer gute Ideen hatten, wie dieser riesige, neue Markt erschlossen werden kann. Und das ist Werbung und das zielgenaue Anbieten von Produkten und Content.
Was uns Kling mit QualityLand aber sagen will (glaube ich): Passt auf euch und eure Daten auf. Denkt nach, bevor ihr konsumiert, und auch, bevor ihr überhaupt klickt. Hinterfragt, was ihr seht – und versucht auch mal, über den Tellerrand zu schauen. Schaut euch auch mal andere Informationsquellen an und überprüft den Wahrheitsgehalt des Sensationsartikels, bevor ihr ihn teilt.
Zusammenfassung und Wertung zu QualityLand
Ich kann QualityLand nur jedem ans Herz legen, der Interesse daran hat, welche Gefahren ein kommerzialisiertes Internet haben kann. Der bissige trockene Humor und die pointierte Ausdrucksweise erinnert zuweilen aufgrund der widerspenstigen KIs und Roboter auch an Douglas Adams‘ Klassiker „Per Anhalter durch die Galaxis“ (die beschriebene Realität ist in QualityLand allerdings realistischer) :D
» So funktioniert die Buchbewertung
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