Details zum Buch
Autor: Brandon Q. Morris
Titel: Der Riss
Veröffentlichung: 15.11.2018
ISBN: 978-3-96357-001-8
Seiten: 314 Seiten + 12 Seiten „Die neue Biographie des Nichts
Unsere Welt ist für uns ein geschlossenes, festes System. Wir gehen zur Arbeit, gründen Familien, fahren in den Urlaub und sterben irgendwann. Die Erde ist unten, der Himmel ist oben, wir haben die Kontrolle über unser System, das ist einfach so. Aber was, wenn dieses Welt-Bild einmal Risse bekommt (hach, mehrere Wortspiele in einem Satz!) und wir feststellen würden, dass wir auf unserem kleinen Steinplaneten einfach viel zu wenig wissen? In „Der Riss“ erscheint am Himmel auf einmal ein merkwürdiges Phänomen, wie ein tiefschwarzer, unerklärlicher langer Streifen aus Nichts. Wissenschaftler stehen genauso vor einem Rätsel wie jeder andere Mensch auch. Was ist dieser Riss, und ist er gefährlich?
Und vorab: Vielen Dank an Eric für die liebe Überraschung! :-)
Der Riss – Handlung
Von jetzt auf sofort entsteht am Himmel ein merkwürdiges Gebilde, das die Fachwelt und Medien schon kurz darauf als „Riss“ bezeichnen: Das Phänomen ist tiefschwarz und scheint den Himmel sauber zu durchteilen. Niemand kann sich erklären, was der Riss ist und woher er kommt. Er gibt keine Strahlung ab, verändert sich nicht und bewegt sich auch nicht. Er tut einfach gar nichts.
Panik bricht aus, doch als nichts weiter passiert, beruhigt sich alles wieder. Merkwürdig ist nur, dass niemand versucht, etwas in den Riss zu schießen, um mehr darüber herauszufinden. Das wundert auch die Wissenschaftlerin Maribel Pedeira (die schon in Morris‘ The Hole eine wichtige Rolle spielte). Daher sucht sie nach Mitteln und Wegen, den Riss besser zu erforschen.
Gleichzeitig häufen sich die Meldungen von Déja Vus. Viele Menschen haben das Gefühl, sich an etwas zu erinnern, was nicht geschehen ist. Auch Derek McMaster, Landwirt und ehemaliger US-Soldat, erinnert sich an seine Frau – obwohl er doch alleinstehend ist und niemals verheiratet war. Was geht da vor?
Der Riss – Rezension
Das Buch beginnt sehr vielversprechend. Wir wollen natürlich ebenfalls wissen, was der Riss ist. Was für ein interessantes Phänomen hat sich Morris jetzt schon wieder ausgedacht? Nur zu gut ist vorstellbar, wie verunsichernd es sein muss, wenn die Menschheit mit etwas konfrontiert wird, was sich nicht erklären und auch nicht wirklich untersuchen lässt.
Bei einer solchen Vorstellung wird klar, wie verletzlich wir auf unserem kleinen Planeten sind: Was, wenn etwas passiert, was unsere Vorstellungskraft und unser Verständnis weit übersteigt und wir zum Spielball von unerklärlichen Kräften werden? Da muss ich auch gleich an Die Arena von Stephen King denken. Einen zweiten Planeten haben wir nicht, es gibt keine Rückzugsmöglichkeit woandershin und auch keine Möglichkeit, von irgendwoher Hilfe zu holen.
Aus dem Thema könnte man viel machen. Eine Katastrophengeschichte mit dem Blick auf die Reaktionen der Menschen, deren festes Weltbild erschüttert wird. Oder eine irre Weltraumreise, die Menschen erleben, die in den Riss fliegen. Oder vielleicht kommt irgendetwas Schlimmes aus dem Riss heraus? Genau sowas erwartet der Leser, nachdem er den Buchrückentext zu „Der Riss“ gelesen hat:
Zunächst scheint keine Gefahr von ihm [dem Riss] auszugehen, doch dann passiert etwas, das die schlimmsten Befürchtungen der größten Pessimisten weit übertrifft.
Der Riss: Buchrückentext
… nämlich eine spannende Geschichte mit überraschenden Wendungen!
Was ist der Riss für ein Ding?
Morris baut drei verschiedene, voneinander getrennte Handlungsstränge auf, um den Leser an die Sache heranzuführen:
- Maribel Pedeira, die weltweit bekannte Superstar-Wissenschaftlerin, hat den Auftrag, den Riss offiziell zu erforschen
- Derek McMaster, Farmer und ehemaliger US-Soldat im Mittleren Westen, erinnert sich an seine Frau … die er aber nie hatte. Auch er will der Sache auf die Spur kommen
- M6 ist ein teilautonomer Forschungsroboter auf dem Zwergplaneten Ceres im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter, der ebenfalls vom Erscheinen des Risses überrascht wird und ihn selbstständig erforschen möchte
Anfangs wissen wir genauso wenig wie unsere Protagonisten. Doch als außenstehender Beobachter haben wir dann schnell den Vorteil, mehr zu sehen als die Figuren im Buch :D Um uns auf die Sprünge zu helfen, wendet Morris einen schönen Kniff an, der mich erst mit Fragen zurück lässt, dann später aber Sinn ergibt (sowas konnte Morris auch schon gut in Enceladus): Gespannt lesen wir, dass Menschen beobachten, wie etwas in den Riss fliegt – doch unmittelbar danach beendet Morris die Szene mitten im Satz und erzählt etwas anderes. Erst dachte ich mir nichts dabei und war dann verwirrt, als sich eine Figur im Buch darüber wundert, dass niemals irgendetwas in den Riss eingetreten sei.
Bei Roboter M6 treibt Morris es dann amüsant auf die Spitze: M6 überlegt, ob er mit seinem Roboterbein in den Riss eintreten soll, doch er entscheidet sich, stattdessen lieber zunächst einen Stein hinein zu werfen. Der Stein fliegt durch den Riss und ……. M6 überlegt, ob er mit seinem Roboterbein in den Riss eintreten soll, doch er entscheidet sich, stattdessen lieber zunächst einen Stein hinein zu werfen. Der Stein fliegt durch den Riss und ……. M6 überlegt, ob er mit seinem Roboterbein in den Riss eintreten soll, doch er entscheidet sich, stattdessen lieber zunächst einen Stein hinein zu werfen. Der Stein fliegt durch den Riss und ……. …. bis etwas den Kreislauf unterbricht.
Diese Szene ist wirklich klasse umgesetzt :D
Leider hapert es dann bei der weiteren Entwicklung der auf der Erde ablaufenden Handlungsstränge; Sie haben gravierende Glaubwürdigkeitsprobleme – dazu komme ich jetzt.
Wenn du nicht erfahren möchtest, was passiert, solltest du das nicht lesen :D
Achtung, Spoiler!
Hier solltest du nicht weiterlesen, wenn du dich nicht spoilern willst! Du erfährst, was der Riss ist und wie die Protagonisten ihn untersuchen.
Hier geht es weiter zum nächsten Abschnitt.
Also, nach dieser Warnung mach ich jetzt ernst: Der „Riss“ ist ein Spalt aus „Nichts“. Kennst du „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende? Dort geht es auch um „das Nichts“. Hier „frisst“ das Nichts immer mehr Materie, bis am Ende eben fast „nichts“ mehr übrig bleibt. Aber was ist eigentlich „das Nichts“? Also alles das, was sich außerhalb des sich ausdehnenden Universums befindet? Das fragt sich auch Morris und das ist die Grundidee zu diesem Buch: Die Beschäftigung mit dem Nichts. Wie auch die anderen Morris-Bücher hat auch „Der Riss“ als Anhang eine Abhandlung: Die neue Biografie des Nichts.
Die Handlung seiner beiden Protagonistengruppen auf der Erde ist irgendwie dabei völlig an den Haaren herbeigezogen. Wenn man das liest, dann fragt man sich, ob Morris das wirklich ernst meint und glaubt, dass die Leser ihm das abkaufen. Ich kann nicht anders als zu glauben, dass ihm ganz einfach keine richtige Handlung eingefallen ist. Mir scheint es, als wollte sich Morris nur mit der Frage nach dem Nichts beschäftigen, aber leider musste er auch noch eine Geschichte dazu abliefern. Es ist völlig legitim, sich zu fragen, wie man ein Phänomen wie den Riss erforschen soll – aber das, was dabei nun herausgekommen ist, wirkt derartig unglaubwürdig und deswegen lieblos, dass es die gesamte gute Idee der Geschichte zerstört.
Maribel und der Lift
Maribel bekommt bei ihrer Riss-Forschung unerwartete Hilfe von ihrem Kollegen Glen Sparrow. Glens Lebensprojekt war der Bau eines Space Elevators, also eines Aufzugs in den Weltraum. Das ist ein oft beschriebener Traum vieler Sci-Fi-Autoren (besonders schön ausgeführt in Limit von Frank Schätzing, aber auch thematisiert in Darwin City von Jason M. Hough), der in der Realität ziemlich schwierig umzusetzen wäre. In Der Riss hat Glen Sparrow Jahrzehnte daran gearbeitet und am Ende wurde das Projekt dann doch eingestellt – kurz, bevor es fertig war.
Aber jetzt kann es zur Erforschung des Risses doch noch nützlich sein. Zufällig ist nämlich eigentlich alles schon bereit, es gibt sogar schon eine Aufzugskabine. Um nun den Riss zu untersuchen, kommt das ziemlich gelegen! Gehen wir doch mal in die Garage und holen das Ding wieder raus. Dann können wir morgen damit starten. Dazu hängen wir das Aufzugseil einfach an eine Rakete, die das Zugseil schnell in 200 Kilometer Höhe fliegt, wir hängen die Gondel dran …. Und dann?
Die Idee eines Weltraumliftes ist nicht neu und im Wikipedia-Eintrag wird sogar beschrieben, wie das theoretisch möglich wäre. Das alles wurde ja schon durchdacht und die Voraussetzungen dafür festgehalten. Unter anderem, dass die Erdstation wegen der Erdrotation und der dadurch entstehenden Fliehkräfte sich nur am Äquator befinden könnte, die Raumstation dagegen 35.000 KM über der Erde (im geostationären Orbit) liegen müsste, während ein Gegengewicht noch weiter draußen für die Spannung des Zugseils sorgen würde.
In einer Höhe von 200 KM würde das Kabel aber einfach zurück auf die Erde fallen. Aber auch die weitere Ausführung passt einfach nicht. Nicht nur, dass das Projekt auf der Zielgeraden wieder eingemottet wurde. Dann mottet man es wieder aus, hat gerade eine Rakete bereit, die das Seil in die obere Atmosphäre fliegt (eine Rakete zieht ein stählernes Seil hinter sich her…? Wtf) und zufällig liegt die Militärbasis, auf der das ganze dann starten soll, mitnichten am Äquator, sondern in den USA, direkt unterhalb des Risses, so dass das Zugseil direkt neben dem Riss enden kann.
Dann fährt eine Gondel hoch und die Wissenschaftler können sich den Riss aus der Nähe anschauen? Also bitte. Könnte man dazu nicht einen Wetterballon nutzen?
Derek und die Rakete
Schauen wir nun jetzt auch mal kurz mal zu Derek. Der erkennt schnell, was der Riss verursacht hat: Er hatte ein Flugzeug im Riss verschwinden sehen und dadurch hatte sich die Realität verändert. Denn der Riss ist „Nichts“ und was im „Nichts“ verschwindet, wird selbst zu „Nichts“ und hat niemals existiert. Im Flugzeug saß Dereks Schwiegermutter – und als sie verschwand, verschwand auch deren Tochter, also Dereks Frau. Und weil sie nie existiert hat, hat Derek sie auch nie geheiratet. Klar soweit.
Trotzdem erinnert Derek sich unterbewusst irgendwie an seine Frau und will sich nun selbst in den Riss stürzen, um zu ihr zu gelangen …… Ooookay. Dabei bekommt er Hilfe vom Arzt seiner Frau, der zufällig mit ihr eine Affäre hatte und sich ebenfalls an sie erinnern kann. Und die Sprechstundehilfe des Arztes, die total in den Arzt verliebt ist, kommt auch mit. Die drei werden schnell zu allerbesten Freunden und leihen sich eine alte Rakete, mit der früher Touristen einen kurzen Raumflug erleben konnten. Sie richten die Rakete auf, betanken sie und stellen einen Generator daneben – mit dem Plan, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion selbst zum Riss zu fliegen. Ähm, hä?
Weder er, noch sein ärztlicher Freund (der problemlos seine Arbeit schwänzen kann), noch die Sprechstundenhilfe, die auch IT-Spezialistin ist, wissen irgendwas über Raketen oder Raumflüge. Wie hätte Derek & Gang denn vorgehabt, das Ding zu steuern? Als Erklärung heißt es, dass die Rakete nicht aus dem Cockpit gesteuert werden musste, weil sie für Touristen gedacht war und die das Teil eben nicht steuern müssen. Aber irgendjemand muss doch die Flugbahn berechnen? Ein paar Einstellungen und Checks durchführen? Das ganze Ding einfach überwachen?
Diese Handlung erinnert mich irgendwie an Dagobert Duck-Geschichten aus meiner Jugend. Die habe ich zwar geliebt, aber ein Dagobert Duck-Comic ist eben was anderes als eigentlich ernsthafte Hard Science-Fiction für erwachsene Leser ^^ Dagobert Duck lässt Daniel Düsentrieb eine Rakete konstruieren, Dagobert setzt sich samt Neffe Donald in die Rakete und die beiden fliegen fix zum Asteroidengürtel, um mit einem riesigen Greifarm einen Asteroiden aus Diamant einzufangen. Der wird bei der Rückkehr fast noch von der Panzerknackerbande geklaut, am Ende gewinnt aber wie meistens Dagobert Duck, der dann glücklich durch das Meer aus Münzen in seinem Geldspeicher schwimmt. So läuft das jedenfalls bei den Ducks.
Bei Derek McMaster sollte es so laufen, aber am Ende sitzen die drei in ihrer Rakete, drücken auf Zündung, der Antrieb feuert los … und die Rakete bleibt frecherweise am Boden. Schade eigentlich. Das findige Trio verlässt die Rakete und überlegt sich einen anderen Plan: Derek schleicht sich auf die Militärbasis, von der aus der Space Elevator starten soll und dringt unbemerkt in die Aufzug-Kapsel ein. Er will sich mit hochfahren lassen und dann in den Riss springen.
Wieder spoilerfrei: Platte Charaktere, humorloser Schreibstil und enttäuschende Handlung
Vielleicht mag es Science-Fiction-Neulingen anders gehen, aber auf eine Veteranin wie mich, die schon echt viele spannende Storys und grandiose Wendungen gesehen hat, wirkt „Der Riss“ uninspiriert und fast schon schluderig – als hätte der Autor keine Zeit gehabt.
Dass Morris seine Charaktere nicht so fein ausfeilt, wäre noch okay, wir sind das von ihm gewohnt. Auch mit Humor und sprachlicher Raffinesse geht er wie immer äußerst sparsam um. Was mich an „Der Riss“ aber wirklich enttäuscht, ist, dass er uns eine haarsträubende und jeglicher menschlichen und technischen Logik entbehrende Handlung auftischt. Zwar erhaschen wir zum Abspann noch einen Blick in das „Morris-Metaversum“, aber leider bleibt die restliche Geschichte irgendwie völlig irrelevant.
Ich würde mir daher wünschen, dass Morris sich mehr Zeit für seine Bücher nimmt und sich auch wirklich überlegt, wie er seine Geschichte präsentieren möchte. Denn auch die wiederkehrenden Charaktere wirken trotz ihres Wiedererkennungswertes und den Vorzügen eines einzigen Story-Universums eben aufgewärmt: Als hätte Morris keine Lust, neue Charaktere einzuführen. So nimmt er einfach teilweise die, die er schon mal verwendet hat.
Auch die schlimmsten Befürchtungen (welche?) der größten Pessimisten (welche?), die laut Buchrückentext noch weit übertroffen werden, sind übrigens nicht deutlich geworden. Ja, durch den Riss passiert etwas, was nicht passieren sollte. Aber das erscheint nicht so dramatisch und schlimm, wie auf dem Buchrücken angeteasert.
Der Riss – Wertung
Nicht die eindimensionalen Charaktere und der schlichte Schreibstil führen zu der eher schlechten Bewertung, sondern die unglaubwürdigen Handlungen der Protagonisten und die unglaubwürdige Storyline. Darunter leidet der Lesespaß, denn ich habe mich die ganze Zeit gefragt, ob ich veräppelt werde. Gerade unter dem Label Hard Science-Fiction sollte man doch etwas mehr Liebe ins Detail stecken.
Das ganze Buch mit der eigentlich guten Idee wird wegen der wirklich bescheuerten Handlung ins Lächerliche gezogen. Und gerade deswegen gebe ich dem Buch, obwohl ich das sonst wirklich eher selten mache, auch nur zwei Sterne. Meine Bewertung weicht dadurch wieder einmal von der allgemeinen Tendenz der Amazon-Bewertungen ab. Ja, über Geschmack lässt sich streiten, aber bei diesem Buch kann ich wirklich nicht nachvollziehen, warum man es mit vier oder gar fünf Sternen bewerten kann.
Ich hoffe, dass Morris sich in Zukunft wieder eine bessere Hintergrundstory überlegt, auch, wenn ihm die Menschen in seinen Büchern nicht so wichtig sind.
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