Details zum Buch
Autoren: Randi Crott, Lillian Crott Berthung
Untertitel: Die Liebesgeschichte meiner Eltern
Erschienen: 2012
Seiten: 277
Info: Als Dokumentarfilm 2016 verfilmt
Norwegen 1942 – Das Deutsche Reich hat Norwegen besetzt. Trotzdem kommen sich die junge Norwegerin Lillian und der Wehrmachtssoldat Helmut näher. Diese wahre Geschichte ihrer Eltern erzählt Randi Crott in einer Art Doku-Roman
„Erzähl es niemandem“ ist eine wahre Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg. In der Zeit des Dritten Reiches von 1933 bis 1945 haben sich so viele dramatische Lebensgeschichten zugetragen, und viele davon bekommt niemand (mehr) zu hören. Aber zumindest diese hier ist nun festgehalten.
Ich finde weder den Titel noch den Untertitel besonders aussagekräftig – und „Erzähl es niemandem“ als Titel eines Bestseller-Buchs, das die Geschichte millionenfach erzählt, ist irgendwie auch widersprüchlich :D Aber ok, im besten Fall macht der Titel neugierig auf dieses „Geheimnis“, das zu bewahren ist.
Die Handlung sollte man schon erzählen :D
Fünf Jahre lang hat das Deutsche Reich während des Krieges aus taktischen Gründen Norwegen besetzt – von 1940 bis 1945. 1942 lernt der 28jährige deutsche Soldat Helmut Crott, der im Norden Norwegens stationiert ist, beim Besuch einer norwegischen Familie Lillian kennen, die 19jährige Tochter des Hauses. Die beiden verlieben sich ineinander – und damit gehen die Probleme los.
Die Deutschen sind in Norwegen als fremde Besatzungsmacht alles andere als beliebt. Norwegerinnen, die sich mit Deutschen einlassen, können nicht auf Verständnis hoffen – überschreiten sie doch weit alle Grenzen. Wir kennen das aus allen besetzten Ländern – nachdem die Besatzer weg sind, haben alle, die mit ihnen zusammengearbeitet haben (oder noch schlimmer: mit ihnen eine Liebschaft eingegangen sind), wenig zu lachen.
Lillian versucht deswegen zunächst, ihre Beziehung zu einem Feind geheim zu halten. Aber sie steht immer zu Helmut – auch, weil sie weiß, dass er selbst eher zu den Opfern gehört. Helmut ist Halbjude. Seine Mutter ist Jüdin, die mit einem „Arier“ verheiratet ist. Als Mann mit jüdischen Wurzeln wurde ihm vor dem Krieg bereits das Studium schwergemacht, und eigentlich hätte er unehrenhaft aus der Wehrmacht entlassen werden müssen – aber er konnte durch Glück seine Abstammung verschleiern. Deswegen darf Lillian auch niemandem sein Geheimnis erzählen – obwohl ihre Familie Helmut dann mit anderen Augen sehen würde.
Während der Besatzung ist es also schon schwer genug – aber als der Krieg zu Ende geht und die Deutschen abziehen müssen, wird es für Lillian und Helmut erst richtig schwierig.
Erzähl es niemandem – Rezension
Das Buch entstand, als sich die Tochter von Helmut und Lillian, Randi, nach dem Tod ihres Vaters mit der Geschichte ihrer Eltern befasst. Sie erhält dazu von ihrer Mutter Lillian deren Tagebücher und recherchiert auch genau die Umstände.
Der Titel „Erzähl es niemandem“ bezieht sich auf Helmuts Abstammung. Er sagte es zu Lillian, als er sie während seiner Stationierung in das Geheimnis einweihte. Aber Lillian sagte es auch viel später zu ihrer 18jährigen Tochter Randi, als sie ihr in den 1960ern erstmals von ihren jüdischen Wurzeln erzählte. Warum auch Randi niemandem davon erzählen sollte, bleibt mir allerdings unklar. Erklärt wird es damit, dass Helmut, der im 3. Reich schließlich viele Repressalien hinnehmen musste, nicht an diese Zeit erinnert werden möchte.
Zeitsprünge und Familienforschung
Das Buch ist mit vielen Zeitsprüngen aufgebaut. Gerade am Anfang springt Randi Crott von Kapitel zu Kapitel in unterschiedlichen Zeiten umher. Sie beginnt damit, wie ihre Mutter ihr von Helmuts Abstammung erzählt, springt dann ins Jahr 2009, wo sie mit der Recherche über ihren Vater beginnt und macht dann weiter mit dem Jahr 1939, als Helmut Crott von seiner Arbeitsstelle in London abberufen und ins Militär eingezogen wird. In den nächsten Kapiteln folgen direkt aufeinander Sprünge in die Jahre 1960, 1940, 2010, 1939.
Im Verlauf pendeln sich die Zeitsprünge dann auf die Zeit „damals“ in Norwegen und „heute“ zur Zeit von Randis Spurensuche ein. Dieses Hin und Her fand ich aber schon etwas nervig zu lesen. Als Außenstehender ist vor allem die ungewöhnliche Geschichte im Krieg interessant (jedenfalls für mich), aber die präsentiert Crott zunächst in sehr schmalen Häppchen, unterbrochen von Passagen, die ihre Suche betreffen.
Ich verstehe, dass sie nicht nur über ihre Eltern erzählen wollte, sondern auch, wie sie selbst mit deren schwieriger Geschichte umgeht. Lillians und Helmuts „Romeo und Julia“-Geschichte in Norwegen ist spannend, dramatisch und ziemlich emotional, keine Frage. Das eignet sich sehr gut als Lesestoff und als Einstieg in die Zeit der norwegischen Besatzung im 2. Weltkrieg.
Aber warum um alles in der Welt sollte sich ein nicht involvierter Leser mit der Erforschung von Randis Familiengeschichte beschäftigen? Das ist, wie wenn dir ein Fremder auf der Straße auf einmal von seinen Verwandten erzählt. Deswegen finde ich Randis eigene Erzählpassagen eher nicht so spannend – das ist viel zu persönlich.
Hier der Trailer zum Dokumentarfilm:
Kein Schnulzroman! Aber auch keine reine Doku
Die Liebesgeschichte selbst liest sich ziemlich nüchtern und nicht wirklich wie eine Liebesgeschichte. Randi Crott berichtet von der Sehnsucht, die beide nacheinander haben, sie präsentiert Fotos und Briefe – und sie thematisiert auch, dass Lillian durchaus ihre Probleme damit hat, mit einem Deutschen eine Beziehung zu führen. Hier kommt zum Vorschein, dass sich das Buch nicht ganz entscheiden kann, was es sein will. Eine pure Dokumentation ist es nicht, weil Crott passagenweise doch eine Erzählung schreibt, aber es ist auch kein Roman, dafür kommt zu oft das „Ahnenforschungsthema“ durch.
Für mich war es interessant zu lesen, wie anders der zwischenmenschliche Umgang noch vor 80 Jahren war. Da wird nicht wild im Hinterhof geknutscht und dann irgendwann über eine Beziehung nachgedacht. Helmut suchte eher nach Gelegenheiten, Zeit mit Lillians Familie zu verbringen – nur um Lillian zu sehen. Als die beiden dann erstmals allein miteinander sind, kommt dann das hölzerne „Lillian, ich habe mich in Sie verliebt!“ – „Und ich mich in Sie, Herr Crott“.
Irgendwie entwickelt sich daraus eine innige Liebe, die sich weder durch den Druck der Familie oder sich distanzierende Freundinnen, noch durch lange Zeiten der Abstinenz oder sogar Helmuts (kurze) Kriegsgefangenschaft zerstören lässt. Das fand ich ziemlich schön :D
Wie kamen sie damals ohne Handys aus?
Nach dem Krieg versucht Helmut, Lillian zu sich nach Deutschland zu holen. Wo ist das Problem, setz dich in den Zug – hab ich gedacht. Aber so einfach war es wohl nicht, die Einreise nach Deutschland war verboten. Helmut setzte monatelang alle Hebel in Bewegung, um seine Verlobte einreisen lassen zu können.
Schließlich erhält sie einen Brief von ihm, sie solle nach Dänemark fahren und dort mit dem Händler X und dem Metzger Y reden. In einer Odyssee reist sie drauflos, sucht die Personen auf und stellt fest, dass die von nichts wissen, aber evtl. jemanden kennen, der jemanden weiß, der helfen könnte. Heutzutage geht niemand mehr ohne Navigationsapp und Echtzeitchat aus dem Haus :D
Erzähl es niemandem – Wertung
Mir sind anfangs die Zeitsprünge auf die Nerven gegangen, aber dann konnte ich mich doch mit dieser Erzählform arrangieren. Am Ende bin ich tief eingetaucht in eine völlig andere Zeit. Mit dem zweiten Weltkrieg verbinden wir Blitzkrieg, „Das Boot“, Stalingrad, den D-Day und zerstörte deutsche Städte. Dass es auch noch ein besetztes Norwegen gab – das ist uns kaum bewusst. Durch die Geschichte von Lillian und Helmut, die wirklich gemeinsam durch dick und dünn gehen, bekommen wir einen Zugang zu diesem Aspekt des Krieges.
Wer in die Welt unserer Eltern, Großeltern und Urgroßeltern (je nachdem, wen man fragt :D) reinschnuppern möchte, kann hier den Krieg und seine Wirren von einer anderen Perspektive kennenlernen.
» So funktioniert die Buchbewertung
Schreibe einen Kommentar