Vor wenigen Tagen wurde in einem bekannten Londoner Auktionshaus ein Bild geschreddert. Nicht irgendein Bild einfach so, sondern ein gerade eben für über eine Million Euro versteigertes Bild – und zwar vor aller Augen. Der Künstler selbst hat das so gewollt. In der Öffentlichkeit hinterließ die Aktion vor allem eines: Fragezeichen. Bei mir aber eher ein vages Gefühl von „sag mal – geht’s noch!“.
Tagelang habe ich hin und her überlegt, was mich an dieser Sotheby’s-Schredder-Geschichte so stört/fesselt/anwidert (gibt es einen Ausdruck für dieses Gefühl?). Mittlerweile ist es mir klar geworden – es ist der hohe Symbolwert dieser Aktion. Der nachfolgende Beitrag ist in großen Teilen „im übertragenden Sinne“ gemeint. Vielleicht übertreibe ich auch. Aber sorry, mein Bauchgefühl will, dass ich das poste :D
Kunst und Künstler
Dem ganzen Beitrag sollte ich mal vorwegschicken, dass mir die Welt der Kunst, oder eher der Definition von Kunst, komplett fremd ist. Mir ist zwar klar, dass es hier oft auch um Geldanlagen geht und nicht nur darum, sich ein sündhaft teures Bild an die Wand zu hängen. Warum aber in jeder Hinsicht unspannende Bilder für Millionen Euro verkauft werden, das erschließt sich mir nicht. Aber gut, das nehmen wir mal so hin.
Das Luftballon-Bild bei Sotheby’s ist sogar tatsächlich eines der Bilder, die ich ganz hübsch finde. Ich kann mir das Motiv gut auf Tassen oder Popart-Drucken für die Wand vorstellen (für 25 €, versteht sich). Es ist nett, aber für meine ungeübten Augen nichts besonderes.
Banksy ist kein unbekannter Künstler – aber ein unbekannter Künstler. Seine Street Art-Werke sind weltberühmt (und ziemlich kostspielig), aber wer der Mensch „Banksy“ überhaupt ist, das weiß offenbar niemand. Der Mann bleibt anonym. Jedenfalls – Banksy ist ein zeitgenössischer Künstler, kein van Gogh, der erst nach seinem Tod berühmt wurde. Warum nun seine/ihre Werke so übermäßig bekannt sind, kann ich – siehe oben – einfach nicht verstehen.
Aber gut.
Das Schreddern
Vor wenigen Tagen ging eine kuriose Nachricht um die Welt: Im renommierten Auktionshaus Sotheby’s in London wurde das Bild „Girl with balloon“ für 1,18 Mio € versteigert. Unmittelbar, nachdem der Hammer fiel, setzte sich im Bildrahmen ein Mechanismus in Gang, der das Bild in Streifen schnitt. Das ist auch im Video unten zu sehen, das Banksy kurz darauf auf Instagram postete.
Das Video zeigt außerdem, wie er den Schredder im Bildrahmen unterbrachte, „für den Fall, dass das Bild mal auf einer Auktion landet“. Von langer Hand geplant also. Warum er das tat? Man munkelt, um Kritik zu üben – an was auch immer. Banksy selbst schrieb auf Instagram: „Der Drang zu zerstören ist auch ein kreativer Drang“ und zitiert damit offenbar Picasso.
https://www.instagram.com/p/BomXijJhArX/?utm_source=ig_embed
Ob es nun Kritik war oder nicht – das geschredderte Bild wird nun inklusive Berichterstattung, weltweiter Berühmtheit und entsetzten Gesichtern im Video als Gesamtkunstwerk betrachtet. Wo sieht man schon auch sowas: Ein teuer versteigertes Bild, das sich unmittelbar danach selbst zerstört? Kritik also? Dann ist sie misslungen. Das Bild dürfte nun noch mehr wert sein als vorher, allein durch die Aufmerksamkeit, die es bekommen hat. Die Käuferin jedenfalls hat entschieden, vom Kauf nicht zurücktreten zu wollen und das Schnipselbild zu behalten.
Auch Banksy selbst hat durch diese Aktion mit Sicherheit profitiert. Immerhin kenne ich, ein Niemand in Sachen Kunst, nun seinen Namen. Aber auch jeder Kunsthändler dieser Welt, was sich positiv auf die Erlöse zukünftiger Verkäufe auswirken dürfte.
Aber all das ist es nicht, was mich störte/fesselte/anwiderte. Mir geht es um etwas ganz anderes.
Die einen haben’s, die anderen nicht
Lassen wir uns nochmal auf der Zunge zergehen: Über eine Million Euro für ein Bild. Klar – innerhalb einer Gesellschaft gibt es immer eine Minderheit, die so ungleich viel wohlhabender ist als der Rest. Und global betrachtet hat der ärmste Hartz IV-Empfänger in Deutschland noch immer viel mehr als die über 800 Millionen hungernden Menschen in den Slums von Asien oder Afrika. In diesem Beitrag möchte ich mich aber nicht global empören, auch wenn man das, idealistisch betrachtet, eigentlich tun sollte. Nein, ich betrachte hier die westliche Gesellschaft, weil der offenbar britische Künstler der westlichen Gesellschaft angehört, genau wie die Käuferin, das Auktionshaus und die Öffentlichkeit, die über die Auktion spricht.
Die ungleiche Verteilung von Vermögen war schon immer elementarer Bestandteil der meisten menschlichen Gesellschaften. Und tatsächlich ist ein Bild für eine Million Euro gar nicht mal so viel – da gibt’s mit um die 100 Mio € (und mehr) noch weit höhere Karäter. Bei letzteren fehlt aber die Symbolkraft, die bei Banksys Schredderwerk so deutlich zutage tritt: Ein Bild wechselt für über eine Million Euro den Besitzer. Und läuft dann durch den Schredder. In anderen Worten: Ein Vermögenswert von über eine Million Euro wurde geschreddert. Und zwar dank sozialer Medien in aller Öffentlichkeit.
Papierschnipsel als Gegenwert für die Lebensarbeitsleistung
Die meisten Menschen werden im Laufe ihres Lebens, das heißt in jahrzehntelanger Arbeit, niemals einen solchen Betrag ersparen können. Woche für Woche, Tag für Tag gehen sie arbeiten, um sich dafür (hoffentlich) ihre Träume erfüllen zu können. Und für die meisten Menschen sind das relativ einfache Träume: Urlaube, eventuell ein Haus, Familie.
Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die ohne mit der Wimper zu zucken quasi die Verdienstspanne eines Mittelschicht-Lebens für ein Bild ausgeben. Das dann durch den Schredder läuft. Oder anders ausgedrückt: Was Manfred Mustermann vielleicht bis zur Rente zusammengespart hat, läuft in wenigen Sekunden durch den Schredder. Bemerkt denn niemand diese symbolische Aussagekraft?!
Und noch mehr Symbolik: Wenn Manfred Mustermann etwas kauft, dann achtet er sicherlich darauf, dass der Gegenstand nach dem Kauf intakt ist. Der hoffentlich gesunde Menschenverstand der Käuferin des Bildes sollte nun eigentlich sagen: „Ok. Mein gerade gekauftes Bild ist geschnipselt. Das will ich nicht mehr haben, es war schließlich teuer. Für soviel Geld muss das Bild schon in Ordnung sein.“ – Aber da das Bild durch die Aufmerksamkeit eher an Wert zugelegt wurde, behält die Käuferin es. Auf symbolischer Ebene betrachtet sieht das aber so aus: „Och, ok, das Bild ist zwar jetzt kaputt. Aber soooo viel Geld ist das ja nun nicht. Ich behalte die Schnipsel, das ist extravagant.“
Nach außen hin wirkt das so: Manfred Mustermann muss 45 Jahre lang Geld zurücklegen, um eine Million Euro zu sparen. Frau Kunstsammlerin zahlt die Summe einfach so, und es ist ihr nicht mal wichtig, ob sie dafür ein richtiges Bild bekommt oder nur Papierschnipsel.
Nein, ich bin nicht so naiv zu glauben, dass jemand leichtfertig eine Million Euro für Papierschnipsel ausgibt. Das Ganze ist als Vermögenswert zu betrachten, und ob jemand in Aktien investiert oder in Kunst, ist ihm schließlich selbst überlassen. Mir geht es hier einzig und allein um die Symbolkraft, das „Gefühl, dass was nicht stimmt“. Eine Million Euro für Papierschnipsel … Es gibt viele Menschen, die damit sehr lange leben könnten.
Was genau läuft schief?
Ich kann gar nicht sagen, wem ich hier primär Vorwürfe mache:
- Nicht „den Reichen“: Jeden Tag kaufen steinreiche Menschen für mehrere „Lebensgehälter“ Luxusgegenstände.
- Nicht der Dame, die das Bild/den Papiersalat ersteigert hat und den Preis trotzdem bezahlen will, denn das Kunstwerk hat durch seine schlagartige Berühmtheit sicher noch an Wert zugelegt – es ist eigentlich logisch und vernünftig, das Bild gerade deswegen erst recht zu kaufen.
- Nicht den Auktionshäusern: Sie moderieren schließlich nur.
- Nicht dem Künstler Banksy: Der wollte sich dem Wahnsinn der Kunstwelt entziehen, indem er ihr einen Strich durch die Rechnung macht, bzw. die Rechnung einfach in den Mülleimer wirft. Außerdem konnte er im Voraus nicht wissen, wie viel Geld für das Bild bezahlt werden könnte.
- Nicht den (sozialen) Medien, die über über diese besondere A(u)ktion berichtet haben – das ist eben das, was Medien tun.
Nein, ich denke, meine Kritik richtet sich an die Gesellschaft insgesamt. Auch an alle, für die ein solcher Betrag wirklich eine große Summe ist – dafür, dass sie diese Nachricht konsumieren und einfach abtun, anstatt zu fragen, warum es in einer reichen Gesellschaft so große Unterschiede geben kann. Für die einen ein Bild und ein kleiner Schredder-Streich, für die anderen eine sichere Zukunft.
Dass es einerseits sehr reiche Menschen und andererseits sehr arme Menschen gibt – geschenkt. Aber diese Auktion hat eine große Aussagekraft. Die meisten Menschen können von solchen Geldbeträgen nur träumen – aber hier wird ihnen direkt vor Augen geführt, als wie gering dieser Betrag doch eigentlich gilt. Man kann davon ein Bild kaufen, das zerhäckselt wird, und man behält es trotzdem, weil Schnipsel sind ja auch hübsch.
Oder täusche ich mich? Ja, was ich hier schreibe, meine ich im übertragenden Sinne und ich mache aus einer Mücke einen Elefanten. Aber runtergebrochen läuft diese Bansky-Bild-Affäre darauf hinaus: Hohn gegenüber allen normalen Menschen, die weniger Glück oder Erfolg im Leben haben als die Minderheit ganz oben. „Arbeitet und lebt euer kleines Leben, für uns hier ist das genauso viel wert wie ein zerschnipseltes Bild.“
Mich entsetzt die Leichtfertigkeit der Reaktionen darauf, dass es hier um den Wert zweier solider Einfamilienhäuser geht. Aber es wird lächelnd abgewinkt: „Ach, dieser Bansky! Das ist schon so einer“. Man schüttelt den Kopf, haha, verrückte Sachen gibt’s! Und geht weiter arbeiten, um bis zur Rente das Haus abbezahlt zu haben.
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