„Du willst Geschichte studieren? Du weißt aber schon, dass es da keine Jobs gibt?“ fragt mich ein Mitschüler irgendwann Ende 2010 zwischen Abiturprüfung und Abschlusszeugnis. Wir stehen auf einem Schulflur und warten vor dem Sekretariat auf irgendwelche ausgestellten Formulare oder irgendwas anderes, weiß nicht mehr. Meine Antwort darauf weiß ich aber noch sehr gut, und später fragte ich mich immer wieder, ob das nicht ein Fehler war: „Klar. Aber ich glaube, wenn man sich voller Elan und mit ganzer Kraft reinhängt, dann findet sich schon was.“
Eine optimistische Betrachtung, getrieben von Begeisterung und vom Ausblenden der harten Realität. Ich hatte keine Vorstellung davon, was die Konsequenzen dieser Entscheidung sind. Wenn mir heute ein motivierter, junger Mensch das gleiche sagen würde, dann würde ich ihm ungefähr das erzählen, was du nachfolgend lesen kannst. Es ist die Geschichte davon, wie ich lernte, dass Motivation und gute Noten nicht ausreichen. Oder wie Träume an der Realität zerschellen. Denn als junger Mensch ohne familiären Bezug zu akademischen Kreisen (mein Vater ging als Ingenieur direkt in die Wirtschaft) kann man gar nicht wissen, wie die Uni bzw. das Fach wirklich funktioniert. Was man so liest, das kann man als übertrieben abtun. Wer richtig begeistert und motiviert ist, der neigt dazu, gegenteilige Meinungen auszublenden.
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Und motiviert war ich, oh ja. Gerade erst hatte ich die Abiturprüfung hinter mir. Etwas, von dem ich Jahre zuvor noch nicht einmal geträumt hatte. Denn eigentlich hatte ich das Gymnasium im Jahr 2000 nach der 12. Klasse wegen schlechter Noten verlassen, um eine Ausbildung als IT-Systemkauffrau zu machen. Nach ein paar Jahren Arbeit wollte ich aber was anderes sehen. Ich kündigte meinen Job und strebte ein Mediendesignstudium (FH) an. Dafür besuchte ich dann im 2. Bildungsweg ein Berufskolleg, um das Fachabitur nachzuholen.
In der Schule war ich früher immer eher mittel bis schlecht, deswegen war ich überrascht, als ich völlig unerwartet nur sehr gute Noten erhielt. Was so ein bisschen neue Motivation doch ausmachen kann! Das gab mir ein ganz neues Selbstbewusstsein. Es lief so gut, dass ich mit dem Fachabi nicht aufhören wollte. Nein, es sollte erst richtig losgehen. Allgemeine Hochschulreife und Universitätsstudium, das sollte es sein, dachte ich also mit Ende 20.
Mit Geschichte eine Rechnung offen
In Geschichte war ich auf den ersten Schulen immer schlecht. Paradox, denn eigentlich fand ich das Fach am interessantesten. Ich hatte mit diesem Fach also eine Rechnung offen. Deswegen ergriff ich auf dem Berufskolleg die Gelegenheit und wählte Geschichte neben Deutsch als Leistungskurs. Und es lief so gut! So gut, dass ich dachte: Vergiss‘ Mediendesign. Geh‘ in de Geschichtswissenschaft! Da kannst du zur Forschung beitragen und was wirklich Wichtiges machen. Vielleicht gibt es nicht so viele Jobs, aber das sagen doch sicher nur diejenigen, die frustriert abgebrochen haben oder so. Natürlich gibt es Jobs. Man muss sich nur anstrengen. Dachte ich!
Und daher bewarb ich mich Ende 2010 an der Heidelberger Universität für das dreijährige Bachelor-Geschichtsstudium. An der ältesten Uni Deutschlands – genau richtig für das Studienfach! Nach all dem Rumgeeiere mit einer Ausbildung, die mir keinen Spaß machte, danach in einem Beruf, der mir keinen Spaß machte und meiner damaligen Überzeugung, dass ich einfach zu nichts anderem tauge, stand mir nun alles offen. Oh ja, ich war motiviert. Ich wollte es richtig wissen.
Erste Semester, erste Zweifel
Im Februar 2011 ging es los. Mein Gott, was war ich stolz und glücklich. Ich! An der Uni! Unfassbar! Voller Elan hängte ich mich in mein Studium. Geschichte und Klassische Archäologie zu jeweils 50%, das waren meine Fächer. Ich schrieb mich in den Lateinkurs ein, denn für beide Fächer ist das Latinum Voraussetzung. Alles lief nach Plan. Ich war so froh und glücklich über das Privileg, als Student durch die Heidelberger Altstadt laufen zu können, als würde sie mir gehören. In der Bibliothek sitzen und recherchieren, sich richtig tief in ein Thema reinknien, Hausarbeiten mit Fußnoten schreiben und auf einmal ein Experte auf einem sehr kleinen Gebiet sein – ich liebte es!
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Und trotzdem – schon in den ersten Semestern schlich sich Sorge mit ein. Eines Nachts wachte ich auf und konnte nicht mehr einschlafen. Am Handy schaute ich mir die Lebensläufe unserer akademischen Mitarbeiter an. Studium an mehreren Universitäten, meist noch mit Forschungsaufenthalten in Paris, London und sogar in den USA, Stipendien, frühe Projekte, frühe Publikationen, frühe Promotion. Mir wurde klar: So einen Lebenslauf hast du nicht und bekommst du auch nicht mehr. Was passiert mit all den Absolventen, die nicht einen der wenigen begehrten Stellen an den Fakultäten erhaschen?
Lange konnte ich nicht schlafen, und diese Sorge verließ mich auch nicht mehr. Aber ich dachte, bis zum Ende des Masters, der nach dem Bachelor nochmal zwei Jahre dauert, ist es ja noch lang. Genug Zeit, um Kontakte zu knüpfen und sich eine Perspektive für später zu erarbeiten.
Masterstudium – Zeit der Angst
Spätestens zu Beginn des Masterstudiums wurde mir aber klar: Eine akademische Laufbahn wird es für mich nicht geben. Warum? Siehe nächstes Kapitel. Deswegen häuften sich die nächtlichen Sorgen-Sessions. Die Zeit vergeht schnell und ich fühlte mich, als würde ich auf das Ende des Masters zurasen wie mit einem Zug auf eine tiefe Schlucht – ohne Brücke. Was dann? Arbeitslos melden? Werde ich schnell was finden können? Und – was überhaupt? Taxifahrer? Lande ich nach den sieben Jahren Unterbrechung seit Kündigung meines Jobs doch noch in einem Call Center?
Es gab viele Momente, in denen ich meinen „mit Motivation geht alles“-Optimismus bitter bereute. Nichts kann einen richtig auf das Gefühl vorbereiten, wie schlimm es wirklich ist, wenn man feststellt, dass sich trotz vollen Einsatzes und guten Erfolgen ein Ziel nicht erreichen lässt. Wie schlimm die Ungewissheit über einen Job nach dem Studium ist, wie schlimm es ist, sich zu fragen, ob man sieben Jahre seines Lebens weggeworfen hat oder nicht. Manche Kommilitonen verloren ebenfalls die Nerven und wechselten ins Geschichte-Lehramtstudium, um später als Lehrer arbeiten zu können. Nichts für mich.
Ich machte mit 1,3 einen super Master-Abschluss – besser, als ich jemals zu hoffen gewagt hätte, und ich schaffte das Studium trotz Nebenjobs und trotz des nebenbei nachgeholten, sehr zeitintensiven Latinums in der Regelstudienzeit. Aber das reicht natürlich nicht.
Akademische Laufbahn oder freie Wirtschaft
Geisteswissenschaftler haben es nicht einfach bei der Jobwahl. Das ist bekannt, das war sogar mir vor dem Studium bekannt. Aber wie genau es funktioniert und welche Alternativen es gibt, das wurde mir erst klar, als ich schon tief im Studium drin steckte. Ohne Erfahrungen, wie es an der Uni läuft, ist es schwierig, sich von außen ein Bild davon zu machen.
Im Grunde genommen gibt es für Geschichtswissenschaftler zwei Möglichkeiten:
- Du bleibst „im Fach“ und lehrst und forschst an der Uni, arbeitest in einem Archiv, in einem Museum oder am Landesdenkmalamt
- Du gehst als Quereinsteiger in die freie Wirtschaft und kehrst damit im Normalfall deinem Fach den Rücken zu
Möglichkeit 1: Ein Leben für die Geschichte
Wie ein optimaler Lebenslauf für einen akademischen Mitarbeiter aussieht, habe ich früh gesehen. Möglichst früh und schnell, möglichst erfolgreich, möglichst vernetzt und möglichst vielfältig (verschiedene Studienorte). Großes Interesse am Thema und jede Menge Motivation mitzubringen reicht nicht aus. Eigentlich überrascht es wenig, wenn man „Karriere machen“ will: Zu einer Karriere an der Uni gehört auch sehr viel Flexibilität:
- Wechsle die Uni,
- gehe ins Ausland,
- vernetze und engagiere dich in Gruppen,
- lehre und trage vor.
Dazu muss man allerdings der Mensch sein. Einen Wechsel an eine andere Uni nach dem Bachelor hatte ich auch einige Zeit ernsthaft in Betracht gezogen – aber dann kam ich mit Pierre zusammen und ich wollte keine Fernbeziehung anfangen. Für alles andere war/bin ich mit meinen Katzen einfach zu unflexibel und netzwerken war noch nie mein Ding. Da hatte ich einfach völlig falsche Vorstellungen, wie der Hase so hoppelt als Historiker oder Archäologe. Ich dachte, ein Historiker sitzt in einem Raum voller Bücherregale und -stapel, betrachtet Jahrhunderte alte Dokumente, murmelt fremde Sprachen vor sich hin und schreibt dann Bücher. Dumm, sehr dumm von mir!
Zur Arbeit im Archiv kommt nach dem Master nochmal eine zweijährige zusätzliche Ausbildung. Nach sieben Jahren Studium und Archivarsschule sieht das Gehalt am Ende außerdem eher mickrig aus:
Trotz wesentlich gestiegener und komplexerer Anforderungen sowie umfassender und fundamentaler Veränderungen im Tätigkeitsprofil des Archivars, bewegen sich die Gehaltseinstufungen für Archivare vor allem im öffentlichen Bereich häufig am untersten Niveau möglicher Tarifeinstufungen.
Quelle: Wikipedia
An Museen ist ein ein- bis zweijähriges Volontariat, häufig mit vorheriger Promotion zu einem thematisch passenden Thema, der einzig mögliche Einstieg.
Das alles gilt übrigens sowohl für Historiker als auch für Archäologen. Denn anders, als man denken sollte, arbeiten studierte Archäologen nur selten draußen im Feld. Dafür sind sie zu teuer, das übernehmen Studenten und Minijobber, häufig angeleitet durch Grabungstechniker.
Vage Jobaussichten mit Promotion
Ein Doktortitel ist für eine akademische Laufbahn außerdem so gut wie obligatorisch. Im Museum und Archiv ist er vielleicht nicht zwingend, verbessert aber die Chancen. Die Promotion muss man sich allerdings leisten können: Promotionsstellen sind selten. Die Lehrstühle haben ein enges Budget, und wer hier als akademischer Mitarbeiter arbeitet, der hat in der Regel schon früh gute Kontakte mit den entsprechenden Professoren geknüpft und ist positiv aufgefallen. Ohne Promotionsstelle ginge es nur mit Stipendium – ebenfalls nicht einfach zu bekommen und oftmals auch zeitlich begrenzt. Oder man schaut selbst, woher das Geld kommt, um die Lebenshaltungskosten während des Promotionsstudiums bezahlen zu können. Doktoranden zählen nicht mehr als Studenten und profitieren daher auch nicht mehr von den speziellen Vergünstigungen, z.B. bei den Krankenversicherungen.
Eine Garantie für einen Job in der Wissenschaft bietet die Promotion natürlich nicht. Und: Zumindest an der Uni sind Stellen fast immer zunächst befristet. Viele Mitarbeiter arbeiten in Zwei-Jahres-Verträgen und haben keine langfristigen Garantien. Am Ende fliegen sie raus, weil nach einer bestimmten Zeit der befristeten Anstellung ansonsten ein unbefristeter Vertrag vorgeschrieben wäre.
Wen interessiert die Forschung eigentlich?
Je weiter man im Studium fortschreitet, desto pointierter und detaillierter werden die Themen, mit denen man sich beschäftigt. Niemand schreibt eine Masterarbeit oder gar eine Dissertation über „Das Mittelalter“. Nein, es geht um zeitlich, räumlich oder thematisch sehr eng definierte Teilaspekte. Ein paar Beispiele:
- „Quantifizierung von Frömmigkeit im 13. Jahrhundert. Ablässe in den Bistümern Halberstadt und Naumburg“ (Dissertation von Alexander Wolny)
- „Noah und Kassandra: Dimensionen der Bedrohung und Perspektiven der Rettung in der Mentalität der westdeutschen Friedensbewegung 1979-1984“ (Dissertation von Tim Warneke)
- „Der Wandel der Trassierung und die Nutzung von Landverkehrswegen am Beispiel des Heidelberger Raumes“ (meine eigene Masterarbeit)
Das sind keine Negativbeispiele! Es sind Beispiele dafür, dass – im Falle einer Dissertation – Wissenschaftler mehrere Jahre dafür aufbringen, sich mit Themen zu beschäftigen, die am Ende nur eine Handvoll weiterer Menschen interessiert. Das war für mich auch ein Grund dafür, eine Promotion gar nicht erst in Betracht zu ziehen. Der wissenschaftliche Diskurs lebt natürlich davon, dass viele Menschen einzelne Puzzleteile dazu beitragen. Das ist gut und wichtig. Aber eben nicht für mich. Ein verräterischer Gedanke wie der folgende könnte sich durchaus schädlich auf die eigene Motivation auswirken: Ich verstehe schon, warum für Geschichtswissenschaftler niemand Geld bezahlt – denn das, was man macht, interessiert niemanden außerhalb des eigenen kleinen Kreises.
Und wenn man sich nun als promovierter Geschichtswissenschaftler in der freien Wirtschaft bewirbt, trifft man auf Human Ressources Manager, die sich folgendes fragen:
- Warum soll ich jemanden einstellen, der nie gelernt hat, mit seiner Arbeit Gewinne zu erwirtschaften, sondern immer nur von Stiftungen oder Kulturbudgets finanziert wurde?
- Was soll ich mit jemanden, der sich mehrere Jahre mit der Korrespondenz des Marquise de Whatever zwischen 1632 und 1635 beschäftigt hat?
- Was nützt mir der?
Möglichkeit 2: Quereinsteiger mit „geisteswissenschaftlichen Softskills“
Ja, was nütze ich eigentlich nach einem Geschichtsstudium? Wer auf den freien Markt geht, der muss sich verkaufen, und das, was man thematisch im Geschichtsstudium lernt, das hilft dann meistens nicht.
„Geisteswissenschaftler können gut schreiben“
Außer, du kannst gut schreiben und bewirbst dich bei einem historischen Magazin, wo du dann – je nach Ausrichtung – mit deiner fachlichen Qualifikation brillieren kannst, aber trotzdem vor allem mit Journalisten konkurrierst. Aus den Anforderungen in Stellenausschreibungen für Redakteure:
- Sie haben ein journalistisches Volontariat absolviert und bereits Berufserfahrung gesammelt.
- Eine fundierte Ausbildung im Bereich Journalismus, Medien, Crossmediale Redaktion, nach Möglichkeit ein abgeschlossenes Studium.
- abgeschlossenes Hochschulstudium oder ein vergleichbarer Abschluss im Sprach- bzw. Kommunikationsbereich.
- Ausbildung (Mediendesign, Visuelle Kommunikation o. Ä.) oder vergleichbare Berufserfahrung im Bereich Digitale Medien.
- Du hast eine abgeschlossene journalistische Ausbildung und ein Händchen für emotionale Geschichten.
Denn letztlich ist es für einen Journalisten einfacher, sich Kenntnisse zu bestimmten Themen schnell anzulesen, als für einen Geschichtswissenschaftler, die Inhalte einer journalistischen Ausbildung nachzulernen.
Zwar ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten unter Geisteswissenschaftlern in den vergangenen Jahren gestiegen und die Arbeitslosenquote gesunken. Die meisten Absolventen sind allerdings in fachfremden Branchen beschäftigt. Laut Daten des Mikrozensus von 2015 arbeiteten zum Beispiel weniger als zehn Prozent der Sozialwissenschaftler im engeren Sinne in ihrem Fachgebiet.
Quelle: Spiegel
Es gilt also, die Erkenntnisse aus den Hausarbeiten und Abschlussarbeiten zu vergessen und sich zu fragen: Was habe ich beim Schreiben meiner Arbeiten gelernt? Was kann ich eigentlich? Es kristallisieren sich diese Qualifikationen heraus:
- Gut recherchieren,
- sich schnell in neue Themen einlernen,
- kreativ an Fragestellungen herangehen („in welchen Quellen finde ich vielleicht Antworten? Was hilft mir weiter?“)
- Wichtiges von Unwichtigem trennen,
- Texte mit rotem Faden schreiben,
- Themen auf den Punkt bringen
Ich habe aber den Eindruck, dass das vielen Personalern nicht ausreicht, da nicht recht beweisbar, zu vage – und überhaupt, welche weiteren Fähigkeiten haben Geisteswissenschaftler denn?
(Galerie: „Geschichte und Medien“ – Rekonstruktion mit Blender)
Lerne nebenbei mehr! Bilde dich fort!
Ich arbeite als Online Marketing Manager – aber nicht, weil ich mich mit römischen und mittelalterlichen Straßen, mit Aquädukten und ein paar Entscheidungsschlachten beschäftigt habe. Sondern weil ich seit Jahren mit Websites arbeite, weil ich Content Management Systeme kenne, weil ich HTML & CSS sowie Photoshop kann und weil ich, wie man so sagt, glaubhaft computeraffin bin. Und weil ich argumentiert habe, dass ich alles weitere ganz schnell nachlernen kann. (Was auch stimmte)
Ja, Geisteswissenschaftler haben wichtige Fähigkeiten, aber sie sind diffus. Die meisten Firmen suchen nunmal nach Leuten, die das studiert haben, was sie im Job auch tun sollen. Und es ist nicht wirklich einfach, gegen Marketingfachleute, PR- und Kommunikationswissenschaftler und wie sie alle heißen zu konkurrieren. Geisteswissenschaftler können alles – und nichts.
Auch bei Pierre, meinem Freund, ist das gerade zu bemerken. Er hat sein Archäologiestudium mit dem Master abgeschlossen und sucht nach Stellen in der freien Wirtschaft. Schreiben ist nicht so sehr sein Ding wie meins, deswegen hebt er seine sechsjährige Tätigkeit als IT-Hiwi an der Uni hervor, und dass er Programmiersprachen lernt. Damit sieht es ganz gut aus. Er kann im IT Support unterkommen oder ein Trainee für Software-Entwicklung werden. Aber – hätte man dafür Archäologie studieren müssen?
Und das ist der Kern der Sache: Wenn man Geschichte oder Archäologie studiert, dann nicht, weil man dabei so tolle generalistische Softskills lernt. Nein, die Softskills sind nur ein Nebenprodukt. Man studiert das Fach, weil man sich für Geschichte interessiert. Die wichtige Frage ist: Kannst du damit leben, dass dieser eigentlich interessante Teil am Ende das „Nebenprodukt“ ist und du nur das verwerten kannst, was du als Mittel zum Zweck gelernt hast?
Geschichte studieren – lohnt sich das?
Das ist eine schwierige Frage, die man nicht einfach mit ja oder nein beantworten kann.
Finger weg, wenn es dir um Karriere und gutes Einkommen geht!
Im Hinblick auf die spätere Arbeit lohnt es sich nur dann, wenn du wirklich unbedingt in der Forschung tätig sein willst. Dafür musst du einen langen Atem mitbringen. Am Ende warten oft befristete Stellen und es ist keineswegs gewiss, dass du irgendwann auch mal Professor wirst.
Wenn du kein Idealist bist und dir eine Arbeit außerhalb der Uni vorstellen kannst, dann mach lieber was anderes. Studiere etwas, was dich besser auf das hinführt, was du später tun möchtest. Und wenn es dir primär ums Geld geht, dann mach auf jeden Fall was anderes. Von allen Hochschulabsolventen bekommen Geisteswissenschaftler zusammen mit Grafikern/Designern statistisch gesehen das geringste Einstiegsgehalt – und das, wo der Einstieg selbst schon schwierig ist und in vielen Fällen mehrere Monate Leerlauf nach dem Abschluss beinhaltet.
Aber: Geschichte ist so unglaublich interessant!
Und trotz alldem möchte ich noch eine Lanze für das Geschichte/Archäologie-Studium brechen! Denn es gibt einen weiteren Aspekt: Den des Spaßes und des persönlichen Nutzens. Obwohl ich oft gehadert habe mit meinem Studium und es schade finde, dass ich es nicht besser verwerten kann, betrachte ich es nicht als Fehler.
Gerade das eigenverantwortliche Arbeiten ist eine super Erfahrung. Wir Geisteswissenschaftler bekommen keinen fertigen Stundenplan vorgelegt. Nein, wir suchen uns unsere Kurse komplett selbst aus. Und sind selbst dafür verantwortlich, dann auch alles unter einen Hut zu bekommen: Am Ende des Semesters Klausuren zu absolvieren, in den Semesterferien mehrere Wochen Hausarbeiten zu schreiben und dabei noch Projekte oder Praktika unter einen Hut bekommen. Die Lernkurve ist sehr steil – und zwar mit jedem neuen Thema wieder neu! Denn es hat einfach wahnsinnig Spaß gemacht.
Ich möchte nicht mehr auf das historische Wissen verzichten. Im Studium habe ich ausschließlich die europäische Geschichte kennengelernt und mich insbesondere für regionale Geschichte interessiert. Also das, was ich tagtäglich sehe. Egal, wo ich mich in Deutschland und in Europa aufhalte, ich habe immer eine mal detaillierte, mal eher vage Chronik und eine historische Landkarte vor Augen und weiß, warum heute hier eine Stadt ist, warum Wege so und so verliefen, wer hier früher mit wem seine Fehden ausgetragen hat und warum. Es ist, als sei die Welt selbst wie ein offenes Buch geworden. Einen praktischen Nutzen hat das nicht, aber es ist einfach toll, die eigene Position in Raum und Zeit zu kennen :D Okay, das klingt mehr nach Star Trek. Ist aber wirklich so.
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Mit einem Kaffee würdest du mich sehr glücklich machen! :D
Und es kommt noch dazu, dass du lernst, alles zu hinterfragen. Fake News haben bei Historikern schlechte Chancen: „Das klingt aber reißerisch. Kann das wirklich stimmen? Wer sagt denn das und wie glaubhaft ist der?“ – Geschichtswissenschaftler nennen das Quellenkritik, sie ist zentraler Bestandteil jeder Beschäftigung mit historischen Quellen.
Last but not least – zu allen Zeiten der Weltgeschichte machten Menschen kuriose Sachen. Die Beschäftigung mit den Quellen bringt vieles ans Licht, was nicht nur interessant, sondern auch ziemlich lustig ist. Oft genug verschenkte ich viel zu viel Zeit, um abseits meines eigentlichen Themas in den Quellen herumzuschmökern :D Unten etwa Illustrationen aus dem Heidelberger Sachsenspiegel, einem Rechtsbuch aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts. Auch der Blick in historische Zeitungen kann sehr interessant sein!
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