Straßen sind für uns selbstverständlich, sie bringen uns schnell von A nach B. Ist ein Berg im Weg, fahren wir durch einen Tunnel. Brücken überspannen weite Täler. Und so führen Straßen möglichst schnell zum Ziel. Das war aber nicht immer so. Andere Zeiten hatten andere Ziele und andere Möglichkeiten und daher auch andere Anforderungen an den Verlauf von Straßen. Dass über Jahrhunderte viele Straßen sogar absichtlich auf Bergen statt im Tal verliefen, kann man sich kaum vorstellen.
Das ist insbesondere dann wichtiges Wissen, wenn man sich für die Reste alter Straßen, nämlich Hohlwege, interessiert. Um sie im Gelände finden zu können, muss man natürlich wissen, wie Straßen im Mittelalter denn überhaupt verlaufen sind. Auf dieser Seite möchte ich euch zeigen, wie sich Straßen und ihr Verlauf historisch verändert haben, und wo wir zumindest Teile von mittelalterlichen Straßen – Hohlwege – heute noch finden können.
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Ein bisschen Fachliteratur findet ihr unten. Dort könnt ihr vieles von dem nachlesen, was ich hier schreibe.
Außerdem ganz am Anfang ein Hinweis: So viel ich hier auch über Straßen und Wege und deren Entstehung schreibe – Landverkehrswege waren immer nur zweite Wahl. Viel wichtiger war der Wasserweg: Damit kann man mehr und günstiger (weniger Kraftaufwand) transportieren als zu Lande. Insbesondere im Mittelalter, als Straßen oft in einem sehr bedauernswerten Zustand waren.
Was sind Straßen und wie entstehen sie?
Straßen sind profane Teile, über die man selten näher nachdenkt. Trotzdem benutzen wir sie meistens täglich und sind unbewusst dankbar darüber, dass es sie gibt. Selten bewegen wir uns außerhalb des Hauses in Bereichen, in denen es weder Straßen noch Wege oder wenigstens Pfade gibt. Spätestens dann bemerken wir, wie schwierig es ist, ohne vorgetretene Wege voranzukommen :D
Warum entstehen Wege und Straßen? Es gibt da diesen Spruch: Wege entstehen dadurch, dass man sie geht. Er ist eigentlich metaphorisch gemeint, passt hier aber auch ohne übertragenden Sinne und erklärt sowohl, warum Wege entstehen, als auch wie sie entstehen. Wenn niemand geht – also wenn kein Bedürfnis besteht, von A nach B zu kommen -, dann entsteht auch kein Weg und auch keine Straße als weiterentwickelter Weg. Wege entstehen also aus dem einen Grund: Viele Menschen wollen von einem Ort weg zu einem anderen Ort hin, warum auch immer. Und meistens auch wieder zurück. Dabei kristallisiert sich eine Strecke heraus, die der beste Kompromiss ist:
- möglichst kurz (Streckenlänge)
- möglichst schnell (die kürzeste Entfernung ist nicht immer der schnellste!)
- möglichst sicher (wenig Kontakt mit Wasser, d.h. wenige Furten, wenige sonstige Gefahren)
- möglichst einfach (möglichst kein vermatschter Untergrund, keine unnötigen Wartezeiten oder sonstige Aufenthalte)
An dieser Strecke entsteht zunächst ein Trampelpfad, später vielleicht auch ein Reitweg für Boten oder ein breiterer Weg für Karren und Fuhrwerke. Und noch später vielleicht eine Bundesstraße oder eine Autobahn. Die Straßenführung, also die Strecken, an denen Straßentrassen verlaufen, hat sich im Laufe der Zeit aber immer wieder gewandelt. Sie ist immer davon abhängig, was die Straßennutzer eigentlich wollen.
- Wo wollen sie hin? Warum wollen sie das? Was ist ihr Bedürfnis?
- Haben sie Güter dabei?
- Wie schnell wollen/müssen sie dort sein?
Von dieser Nachfrage hängt ab, wie und wo eine Straße verläuft. Der größte Feind des schnellen Reisens ist Wasser: Kein Verkehrsmittel kann sich effektiv über matschigen Boden bewegen. Jede Epoche hatte ihre eigenen Strategien, mit feuchtem Untergrund umzugehen.
Straßenführung bei den Römern
Die römischen Straßen sind ein faszinierendes Thema und verdienen viel Aufmerksamkeit. Allerdings behandle ich hier mehr die mittelalterlichen Straßen und gehe daher nur kurz darauf ein. In meinem Filmchen Wege in die Heidelberger Vergangenheit schneide ich auch römische Straßen an.
Römische Straßen und moderne Straßen haben viel gemeinsam
In vieler Hinsicht sind römische Straßen mit heutigen Straßen vergleichbar:
- Sie waren befestigt, wurden gewartet und hatten Wasserabflussgräben
- Es gab aufwändige Brücken und Tunnel
- Es gab gut ausgebaute Fernstraßen, die ähnlich wie heutige Autobahnen wichtige Orte relativ direkt miteinander verbanden, während kleinere Siedlungen nicht davon berührt wurden (dafür gab es Stichstraßen/“Autobahnzubringer“)
- Die größeren Straßen hatten Meilensteine, die anzeigten, wie weit man vom nächsten Ort entfernt war
Wie heute setzten die Römer dem feuchten Untergrund einfach massive Unterbauten entgegen. Trassen wurden dick mit Steinen und Kies geschottert und verliefen so oberhalb des Matsches, in den jeder Erdboden nach kurzen Regenfällen verwandelt wird.
Straßen erleichtern das Reisen – deswegen haben die Römer ihren Straßenbau staatlich verwaltet, ihnen einen festen Untergrund sowie regelmäßige Wartung spendiert und sie häufig schnurgerade auf ein weit entferntes Ziel zulaufen lassen. Je fester der Untergrund und je gerader die Strecke, desto einfacher fällt die Bewegung und desto schneller ist man am Ziel.
Straßen als Lebensadern des Imperiums
Das ist wichtig für ein so großes Reich wie das Römische Imperium: Nachrichten mussten von den tausende Kilometer entfernt liegenden Grenzen schnell nach Rom gelangen, damit man hier Entscheidungen treffen konnte. Legionen mussten schnell Konfliktherde erreichen können. Ohne Nachrichten „sieht“ der Kaiser nichts und ohne schnell agierende Armeen ist er machtlos. Die Straßen waren die „Autobahnen der Antike“ und für das Reich von essentieller Bedeutung.
Da die Straßen so wichtig waren, spendeten selbst die Kaiser häufig Geld für den besseren Ausbau einer bestehenden oder das Anlegen einer neuen Straße. Nur durch die übergeordnete Verwaltung des Reichs und die hohe Priorität der Straßen konnten diese so leistungsfähig sein. Erst im 18. Jahrhundert – rund 1500 Jahre nach den Römern – erreichte man auf den Straßen wieder ähnliche Geschwindigkeiten wie zu Zeiten der Römer.
Die Römer dachten hier sehr großräumig und man hatte das Ziel im Auge, nicht das Hindernis. Hindernisse (Flüsse, Schluchten, Täler, Berge, Sümpfe) wurden meistens nicht umgangen, sondern über- oder durchquert. Auch, wenn das bedeutete, hohe oder lange Brücken zu bauen und die Straßen zeit- und kostenintensiv instand zu halten.
Zum Bild: Der Pont du Gard in Südfrankreich: Eine beinahe 2000 Jahre alte römische Brücke (primär als Aquädukt)
Straßenführung im Mittelalter
Während zu römischer Zeit Straßen noch großräumig geplant und mit viel Aufwand angelegt und gewartet wurden, verfielen Straßen (genau wie die Nachfolger des römischen Reichs) ab der Mitte des 3. Jahrhundert ins „Kleinteilige“. Statt eines großen Herrschers gab es viele kleine Königreiche, und innerhalb der Königreiche hatten Fürsten das Sagen. Grenzen verschoben sich immer wieder, Gebiete wurden getauscht und wechselten die Besitzer. Niemand ordnete mehr an, dass eine Straße über 100 Kilometer von A nach B führen sollte – dafür waren die Zeiten zu unsicher, die Kosten zu hoch und die innere Zerstrittenheit der Machthaber zu groß.
Von „antiken Autobahnen“ zum mittelalterlichen Straßennetz
Das zeigt sich auch an den Straßen. Nicht das große Provinzverwaltungszentrum war Ziel einer Straße, sondern der Nachbarort, ein großer Flussübergang oder der nächste Markt. Die bestehende römische Infrastruktur nutzte man natürlich weiter, solange es ging. Ohne Wartung verfielen die Straßen und Brücken aber nach und nach. Selbst Brücken verloren an Bedeutung. Über 1000 Jahre lang gab es zwischen Oberrhein und Nordsee keine Brücke mehr über den Rhein. Flüsse dienten häufig als Territoriumsgrenzen und effektive Grenzsicherung zugleich – eine Brücke würde dem Nachbarn nur ermöglichen, schneller ins eigene Gebiet einzufallen.
Je nach Region und Nutzungsfrequenz hielten sich manche römische Straßen tatsächlich bis in die Neuzeit hinein. Obwohl römische Straßen recht bequem sein konnten, wurden sie im Mittelalter oft nicht mehr genutzt, weil sie einfach nicht dorthin führten, wohin die Menschen wollten. So entwickelten sich nicht weit von Römerstraßen entfernt neue Wege, die aber nun auf vormals nicht berührte Orte direkt zuhielten. Außerdem entstanden an Straßenkreuzungen und an Brücken – also dort, wo viele Reisende vorbeikommen, neue Orte. So bildete sich ein Straßennetz aus vielen kleinen Strecken, die die Orte untereinander verbanden.
Die alten Verbindungsstraßen erkennt ihr sehr oft daran, dass sie die Namen des Ortes tragen, zu dem sie führen. Viele dieser alten Verbindungen gibt es heute nicht mehr: Entfernt für Industriegebiete, Landwirtschaft oder den Autobahnbau. Aber in den Orten sind sie – in Richtung auf den Nachbarort zeigend und dessen Namen tragend – noch erhalten. Mehr dazu: Historische Straßen auf Karten erkennen
Die Wege des Mittelalters hatten bis in das 18. Jahrhundert hinein, also weit über das Mittelalter hinaus, weder eine befestigte Straßenoberfläche, noch einen Unterbau und verliefen direkt auf dem Erdboden. Auch die bedeutenden Handels- und Heeresstraßen waren keine Ausnahme.
Hindernisse in der Straßenführung
Selbstverständlich war den Menschen auch im Mittelalter daran gelegen, ihr Ziel schnell zu erreichen – auch, wenn die Ziele nun anders aussahen. Wenn möglich wählte man die direkte Linie zwischen zwei Punkten. So führten die Ortsverbindungen – wenn nicht durch das Gelände unmöglich gemacht – in der Regel speichenförmig vom Ortskern nach außen. Hindernisse, die den Reisenden, bzw. die Straße, an der Nutzung der direkten Linie hinderten, waren beispielsweise:
- Flüsse
- Sümpfe
- im Bergland allgemein Täler, da sich hier Stauwasser ansammelt oder Bäche über die Ufer treten können
- tiefe Schluchten
- teilweise auch fremdes Territorium
Das Haupthindernis war nicht die Höhe, sondern in der Regel Wasser und Feuchtigkeit. Die unbefestigten Wege, die ohne Unterbau direkt auf dem Erdboden verliefen, verwandelten sich bei der kleinsten Berührung mit Wasser in Matsch und wurden äußerst schwer passierbar – egal, ob für Mensch, Pferd oder Fuhrwerk. Aus diesem Grund umging man diese Gebiete und suchte sich einen natürlichen Weg, der einen Kompromiss aus sicherer Überquerung, Zeitverlust und Strapazen darstellte. Flüsse durchquerte man an seichten Stellen, also Furten, Sümpfe umging man möglichst komplett und die Niederungen mied man allgemein.
Höhenstraßen bzw. Hochstraßen
Wegen der feuchten Täler suchten die Reisenden im Mittelalter die Höhen auf. Es bildeten sich Höhenstraßen, von denen heute noch viele mit dem Namen Höhenweg, Hochstraße oder so ähnlich als Wanderwege dienen. Auf lange hinziehenden Höhenrücken und Wasserscheiden findet man keine feuchten Untergründe und das Fahren und Reiten auf unbefestigten Wegen ist problemloser möglich als in den staunassen Tälern. Hier nutzte man die günstigen, natürlichen Trassen:
- möglichst wenige Steigungen
- möglichst wenige Umwege, bedingt durch Quertäler oder Schluchten
- möglichst zielführend
Die Nutzung von Höhenstraßen bedeutet natürlich auch, dass man diese erstmal erreichen musste. Während auf Fernstraßen Gefälle heute wegen des Kraftverlustes möglichst vermieden werden (Tunnel und Brücken sind die richtigen Stichwörter!), musste man im Mittelalter in diesen sauren Apfel beißen. Man nahm hier wenig Rücksicht darauf, wie anstrengend eine Steilstrecke ist. So kommen heute unvorstellbare Gefälle von bis zu 30% (30 Höhenmeter auf 100 Entfernungsmeter!) und in Einzelfällen an kurzen Abschnitten bis zu 38% (Plättelsweg Heidelberg) durchaus vor.
Wir müssen immer bedenken: Es kam den Menschen nicht darauf an, exakt um 17:15 am Ziel zu sein oder hier oder dort eine Stunde Zeit zu verlieren. Solange sich der Wagen bewegte, war alles gut. Im Tal konnte es passieren, dass der Wagen stecken blieb oder man wegen Überschwemmungen umkehren musste. Also lieber den anstrengenden Aufstieg wagen und danach störungsfrei über die Höhenrücken fahren, als matschige Wege und Unvorhersehbarkeiten im Tal riskieren.
Erst ab dem Späten Mittelalter kamen langsam Untergrundsbefestigungen auf und die Wege verlagerten sich zurück in die Täler. Diese Entwicklung geschah sehr langsam, teilweise griff man auch wieder auf die alten Höhenstraßen zurück, wenn die Umstände das erforderten, wie etwa Hochwasser im Tal. 1849 marschierten preußische Truppen von Norden über die oben abgebildete Hochstraße gegen Revolutionstruppen nach Heidelberg.
Kein Zickzack und keine Befestigungen
Ein weiteres Problem im Mittelalter waren die zweiachsigen Fuhrwerke. Die Achsen waren starr und ließen sich nicht nach links und rechts drehen, was enge Kurven unmöglich machte. Die Kurven waren also weit und langgezogen. Enge Kurven an Berganstiegen, wie die heute beliebten Zickzack-Straßen in den Alpen, gab es nicht.
Da Straßen nicht geplant hergestellt wurden, sondern dem natürlichen Gelände folgten, gab es auch keine Straßen, die moderat ansteigend an Berghängen entlangführten. In die Berghänge geschnittene Wege auf Terrassierungen, wie das heute oft der Fall ist, gab es nicht. Diese Straßen würden Befestigungen erfordern, damit sie nicht abrutschen. Im Umkehrschluss können wir sagen, dass Zickzack-Straßen und befestigte Hangstraßen frühestens aus dem Spätmittelalter stammen.
Das bedeutet: Die Straßen des Mittelalters führten direkt steil bergan auf den Berg hinauf. Da kannte man keine Kompromisse. Und genau an diesen Gefällestrecken entstanden dann Hohlwege.
Literatur
Esch, Arnold: Zwischen Antike und Mittelalter. Der Verfall des römischen Straßensystems in Mittelitalien und die Via Amerina, München 2011. (» hier geht’s zur Buchrezension)
Lay, Maxwell G., Die Geschichte der Strasse. Vom Trampelpfad zur Autobahn. Aus dem Englischen von Thomas Pampuch und Timothy Slater ²(Frankfurt/Main, New York 1994).
Grasediek, Werner: Eine Eifeler „Weinstraße“. Der Koblenz-Lütticher Fernhandelsweg, in: F. Burgard – A. Haverkamp (Hrsg.), Auf den Römerstrassen ins Mittelalter. Beiträge zur Verkehrsgeschichte zwischen Maas und Rhein von der Spätantike bis ins 19. Jahrhundert, Trierer historische Forschungen 30 (Mainz 1997) 427–446.
Mumm, Hans-Martin: Am jähen Steig. Altstraßen und Hohlwege im Stadtwald. Erwägungen zu den Verkehrsbeziehungen Heidelbergs in Mittelalter und früher Neuzeit, Heidelberg. Jahrbuch zur Geschichte der Stadt 9, 2004, 79–101.
Natürlich gibt es noch zig weitere Bücher, aber ich denke, es ist recht sinnlos, hier jetzt fünf DIN A 4-Seiten Literaturangaben zu posten.
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