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Geschichte verhunzt!

Ich sitze grad, wie die letzten Wochen relativ oft, an meiner Recherche über die Lechfeldschlacht bei Augsburg, die Otto I. 955 gegen die Ungarn schlug und gewann.

Wenn ich eines in der ganzen bisher gelesenen Lektüre mitbekommen habe, dann, dass man eigentlich nichts darüber weiß. Im Grunde steht das, was man weiß, in meinem ersten Satz oben. Wer gegen wen, wer gewann, ca. wo und (vermutlich) 10.08.955. Darüber berichtet haben hauptsächlich zwei Zeitgenossen, allerdings hat der eine (Gerhard von Augsburg) die eigentliche Schlacht nicht gesehen, sondern befand sich lediglich in Augsburg, als die Stadt von den Ungarn vor der eigentlichen Schlacht belagert wurde; während der andere (Widukind von Corvey) zum Zeitpunkt nicht mal in der Nähe war (sondern in Sachsen). Und beide schreiben einige Jahre nach der Schlacht darüber – da verklärt sich so einiges.

Man weiss weder, wo genau der Ort der Schlacht zwischen Ottos Heer und dem der Ungarn war, und seit Jahrhunderten vermuten die Historiker einen anderen Platz, indem sie genauestens in die beiden Berichte schauen und sagen „Ja, Gerhard schreibt ja, dass die fliehenden Feinde an der Stadt vorbei zum Lech rennen, also weil der Lech östlich von Augsburg liegt, müssen sie von West nach Ost gerannt sein, demnach muss das Schlachtfeld im Westen der Stadt gelegen haben und nicht im Osten.“ So wird darüber debattiert und alles interpretiert – was ja auch ganz in Ordnung ist, wenn man nicht vergisst, dass man die Quellen möglicherweise nicht wörtlich nehmen darf, wie oben schon gesagt.

Auf jeden Fall WIRD viel debattiert: über den Ort der Schlacht (alles ist möglich! nordwestlich, westlich, nordöstlich, östlich, angeblich auch noch südlich (siehe unten), weil das Lechfeld ja im Süden liegt!), über die Größe der beiden Heere, wohin genau die Ungarn flohen und dann niedergemacht wurden, ob die Schlacht wirklich am 10. August war oder davor oder danach …

Jedenfalls – man weiss, dass man nichts weiss. Und nun hab ich grad eine Webseite von einem Möchtegern-Historiker gefunden, der einen kurzen Text über die Schlacht verfasst hat (zu finden hier: https://www.lechrain-geschichte.de/SDG_MAF_Ottonen_Otto%20I.-Lechfeldschlacht.html). Dabei verlegt er nicht nur den Ort der Schlacht in den Süden Augsburgs, was eigentlich kein anderer Historiker vertritt und gibt relativ genaue Heeresgrößen an, sondern präsentiert auch genaue Zahlen zu den Überlebenden und Gefallenen (wovon nicht mal in den Quellenberichten was steht, dort steht nur  „Gemetzel“ und „fast alle Ungarn seien umgekommen“), nimmt die bekannten Berichte der Zeitgenossen wörtlich („Bischof Ulrich von Augsburg hat hoch zu Ross die Verteidiger befehligt“), unterstellt den Ungarn, dass sie Ottos Armee nicht ernst genommen hätten (Gerhard von Augsburg schreibt, dass die Ungarn sofort aus Augsburg abgezogen seien und Ottos Heer entgegen, als sie die Nachricht über Ottos Nahen erhielten … Das ist „nicht ernst nehmen“?)  und schreibt, dass Ottos Heer sich durch die „geistliche Unterstützung“ des Bischofs („Fürbitten und Prozessionen“) im Recht sah und ermutigt wurde.

Zu allem traurigen Übel hat er im Bericht noch eine Schlachtplan-Grafik (von irgendwoher geklaut, ohne Quellenangabe), die dem widerspricht, was er im Text schreibt. -> In der Grafik liegt das Schlachtfeld im Osten und nicht im Süden und die Ungarn fliehen in die entgegengesetzte Richtung wie im Text beschrieben. Im Text steht, die Ungarn versuchten von der Stadt weg nach Osten zu fliehen, um über den Lech nach Bayern zu kommen, während die Grafik zeigt, dass die Schlacht bereits im Osten des Lech in Bayern stattfindet.. Aua ^^ Ach ja, die Grafik ist gut, zumindest wenn man einer Interpretation der Texte glaubt, die der große Militärhistoriker Delbrück 1901 publiziert hat. Sie passt nur so gar nicht zum Text.. Bitter.

Was hier passiert ist, kann ich kaum nachvollziehen. Der gute Mann gibt sogar noch 4 Literaturtitel (nicht im anerkannten geisteswissenschaftlichen Zitierstil!) an, aus denen er seine Infos habe – von denen einer, den ich auch zufällig hier habe und der höchstmodern aus dem Jahre 1955 stammt, das Schlachtfeld im Westen propagiert. Was genau hat unser Historiker eigentlich gelesen? WENN er was gelesen hätte, wüsste er, dass er keineskeineskeinesfalls sagen darf, dass die Sache genau so oder so gelaufen ist. Sobald man sich auch nur 3 Seiten bei wissenschaftlicher Literatur ins Thema einliest, bekommt man sofort mit, dass heftig debattiert wird.

Ich wollte eigentlich nur schmunzeln und die Seite schließen, aber die Dreistigkeit und das Unvermögen des sagen-wir-„Historikers“ lassen mich nicht zur Ruhe kommen. Daher steht das jetzt hier und du hast es gelesen, haha :D

Kommentare

2 Antworten zu „Geschichte verhunzt!“

  1. Ewiger Fan

    Ich bleibe mal bei diesem Nick. ^^

    Dein Artikel über Ottogorn ließ mich ziemlich schmunzeln, weil ich selbst Augsburger bin und an einem Zeitpunkt ähnliche Parallelen zwischen der Lechfeldschlacht und den Szenen zumindest im Film zog. Um den Kreis mal richtig „krass“ zu schließen: Tolkien diente eine Zeichnung des Berggeistes (Alter Mann, langer weißer Bart und Wanderstab) als visuelle Inspiration für Gandalf, was ja insofern nochmal beträchtlicher ist, als dass Gandalf mythologisch auf Wodan zurückgeht, nun sind manche Figuren unsere Märchen und Sagen, wenn auch sehr sehr blass, Erinnerungen aus vorchristlicher Zeit. Der Wilde Heer (Wüetisherr, Wuetesheer im alpinen alemannischen Raum), namentlich hochalem. *Wuete mit und ohne Umlaut = nhd. *Wuten (engl. wednesday, wir haben leider keinen Wutenstag/Wütenstag mehr ^^), dieser Geisterführer ist mehr und weniger Wodan selbst. Der Kreis wird dadurch geschlossen, dass das besagte Gemälde das Tolkien auf einer Postkarte fand von einem Allgäuer stammt, d.h. Gandalf ist selbst aus Schwaben ^^

    Gut, als Augsburger neigt man zu einem Minderwertigkeitskomplex und kompensiert das dann gerne mit historischer Bedeutsamkeit, etwa, dass der erste mhd. schriftliche Namensbeleg dieser jungen Siedlung (Zoll) an der Isar, das Heinrich dem Löwen zugesprochen wurde und das man namentlich mit einem Kloster verbinden mag, „Munichen“ (vermutlich schon mit kurzem Umlaut gesprochen) im sog. Augsburger Schied festgehalten wurde.

    Lustig finde ich, dass du die Grafik auf dieser Seite erwähnst, denn „dieselbe“ Grafik findet sich in einem Buch das ich mir vor ca. 14 Jahren gekauft habe ^^
    „Neuer großer Bildatlas der deutschen Geschichte“ von Wilhelm J Wagner (1999 im Berthelsmann Verlag erschienen)

    Eigentlich schreibe ich deswegen:
    Es könnte dir als geschichtsliebende Archäologin gefallen, falls du es nicht schon zufällig als fachinterne Neuigkeiten früher mitbekommen hast. Es gibt eine Miniatur bzw. Diorama Augsburgs des 10. Jhr. und der Schlacht auf dem Lechfeld nun als Daueraustellung in Königsbrunn.
    Hin und weg bin ich von der schlichten, doch gewaltigen Tatsache, meine Heimatstadt in ihrer Geschichte näher anblicken zu können. Denn gerade die germanische Stammesentwicklung, insbesondere der Suebi > Alamanni ist mir im sprachgeschichtlichen Kontext eines der größten persönlichen Themen, d.h. vor allem auch das merowingische und karolingische und ottonische Frühmittelalter und wie die Menschen sprachen (Ahd.). Auch die durchaus wuchtige, mächtige Ausstrahlung romanischer Bauten ist faszinierend, aber mit der Architektur reiße ich das nächste ausufernde Thema an.

    http://www.955schlachtaufdemlechfeld.de/galerie.htm

    https://www.youtube.com/watch?v=RzI6jlT1E50

    Sicher, es soll nur der Unterhaltung dienen, aber diese modernen Stereotype auf historische Figuren projiziert, das geht doch nicht, vor allem, weil ich das damals schonmal in Age of Empires 2 für die Lechfeldschlacht gemacht habe in den jeweiligen Textsequenzen XD
    The kuning (Otto) sprâk in sahsiscun tungun. – Just for fun.

    1. Ravana

      Ohjeohje, willkommen zurück, ewiger Fan :P Ohjeohje, weil ich diesen Artikel seit ein paar Jahren nicht mehr angeschaut habe und sich das dringende Gefühl bemerkbar macht, ihn überarbeiten (und entschärfen..) zu müssen. Danke sozusagen für diesen Aufmerksamkeitserreger :) Sehr schön, ein Augsburger! Ich hatte zu bewusster Erwachsenenzeit leider noch nicht das Vergnügen, die Stätte des Spektakels, also Augsburg, mal aufzusuchen und selbst zu schauen, wie es um die Mauern und das Lechfeld so steht. Insbesondere das sehr plastische Diorama, das du erwähnst und verlinkst, wäre ein (weiterer) guter Anreiz für eine Visite in der Gegend! Zu deinem Kommentar: Tolkiens Geschichten begeistern mich ebenfalls, insbesondere, wenn es in die Tiefe geht (Silmarillion), aber ich könnte bei weitem beim Lesen keine ausgreifenden Parallelen zur Sprachgeschichte oder europäischen Mythen ziehen, wie du es tust – Hut ab vor so viel Wissen! Aber bei so viel Begeisterung, die dahinter steckt (das merkt man), ist es auch nicht schwer, sich so ein Wissen anzueignen. Danke für die Informationen in diesem Sinne. Ein schwäbischer Gandalf? .. Du kommsch et vorbei? Nochmal ohjeohje :P

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