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Wie wir fast Eltern geworden wären

Ultraschallbild des Fötus in der 7. Schwangerschaftswoche. Er war 0,89 cm groß.

Mein letzter Beitrag ist sieben Monate her. Sieben lange Monate, in denen ich einen neuen Job angefangen und meine vorherige Leidenschaft, Streams und Videos, fast aufgegeben habe. Zwei kleine Urlaube sind ins Land gegangen und ich habe die Probezeit überstanden. Und ich war schwanger. War, denn ich hatte eine Fehlgeburt. Und von dieser Zeit, in der ich mich darauf vorbereitete, möglicherweise doch ein Kind zu haben, erzähle ich heute, bevor ich alles vergessen habe.

Eigentlich wollte ich nie Kinder. Ich hatte nicht nur keinen speziellen Kinderwunsch, nein, ich habe mich bewusst gegen Kinder entschieden. Das Haus, das wir letztes Jahr gekauft haben, ist auch recht klein – Kinder haben wir nicht vorgesehen. Ich habe mich einfach nie als Mutter gesehen. In diesem Beitrag habe ich darüber geschrieben.

Wegen eines anstehenden Röntgentermins im Januar sollte ich einen Schwangerschaftstest machen. Bei bestehender Schwangerschaft wird nicht geröntgt und ich brauchte einen Nachweis. Eher genervt (“Schwanger? Pah, sicher nicht”) führte ich an einem Samstagmorgen den Test durch. Er war positiv. Ich war absolut schockiert und das Herz schlug mir bis zum Hals. Schwanger? Ich? Das ist doch lächerlich und absolut unwahrscheinlich! Ich war gerade 42 geworden. Klar, ausgeschlossen ist es nicht, aber eben auch nicht sehr wahrscheinlich.

Wie betäubt informierte ich Pierre. Wie betäubt fuhren wir los und erledigten unsere Wocheneinkäufe. Ein anderes Thema als “Schwanger” gab es nicht an diesem Tag und auch nicht in den Tagen danach. Ich wusste überhaupt nicht, was ich davon halten soll und Pierre ging es genauso. Was für Umstellungen würden mit einem Kind nötig sein! Können wir das, wollen wir das? Mir wurde regelrecht schlecht bei dem Gedanken daran, dass in mir etwas heranwächst … außer, ich entscheide mich bewusst und aktiv dagegen.

Das Gedankenkarussell: Wollen wir ein Kind?

Und auch darüber dachte ich natürlich nach. Die folgenden Wochen waren hart und stellten uns auf eine schwere Probe. Ich war aufgrund der Schwangerschaftshormone viel emotionaler als sonst und hatte stellenweise wirklich Panik. Was, wenn ich das Kind bekomme, aber am Ende allein damit bleibe, weil Pierre sich nicht so sehr darum kümmern möchte? Was, wenn es unsere Beziehung zerstört, weil sich alles nur noch um das Kind dreht? Was, wenn ich es bereue, Mutter geworden zu sein? Können wir noch Vollzeit arbeiten, wollen wir noch Vollzeit arbeiten?

Ich dachte manchmal insgeheim, es wäre gut, wenn der Fötus von allein stirbt und alles wieder wäre wie zuvor: Die Entscheidung für eine Abtreibung wollte und konnte ich nicht treffen. Diese Schwangerschaft ist vermutlich die letzte Gelegenheit, unser Leben nochmal tiefgreifend zu ändern und einen neuen Lebensabschnitt zu betreten. Noch eine Chance dafür würde sich vermutlich nie ergeben. Am 1. Februar bestätigte die Frauenärztin die Schwangerschaft, ich war am Ende der 7. Schwangerschaftswoche. Im Ultraschallbild sahen wir das kleine Herz schlagen. Das fand ich wirklich bewegend.

Ultraschallbild des Fötus in der 7. Schwangerschaftswoche. Er war 0,89 cm groß.
Erstes und letztes „Foto“ meines Kindes

Trotzdem – es war schwierig. Ließ mich Pierre abends allein im Wohnzimmer, um mit seinen Leuten online zu spielen, sah ich das als Zeichen, dass er mich auch mit dem Kind im Stich lassen würde: Ich muss Mama sein, während er seinen Spaß hat. Es gab Streits und Tränen – die Zeit war für Pierre sicher auch nicht toll. Aber er schaffte es immer wieder, mich zu beruhigen und mir zu versichern, dass wir das zusammen schaffen. Außerdem war mir oft schlecht und dazu diese lähmende, ständige Erschöpfung. Nach der Arbeit hatte ich auf nichts Lust und auch gar keine Kraft dazu. Oft schlief ich einfach auf der Couch ein.

Auf der anderen Seite gewöhnten wir uns aber auch an den Gedanken, ein Kind zu haben. Trotz all der Schwierigkeiten: Platzprobleme im Haus, völlig abgelegene Siedlung auf dem Land ohne richtige Busverbindungen, keine Eltern oder andere Verwandten in der Nähe, die mal auf das Kind aufpassen könnten. Dennoch, wir begannen uns auf die Elternschaft einzulassen. Kinder sollen ja sehr bereichernd sein. Die Vorstellung, die eigenen Werte an einen neuen Menschen weiterzugeben und ihm die Welt zu erklären, fand ich wirklich schön. 

Und so verschwand eine mögliche Abtreibung immer weiter aus den Gedanken und ich informierte meine Familie – aber mit der Einschränkung, dass es noch zu früh sei, sich endgültig zu freuen. In den ersten drei Monaten einer Schwangerschaft ist das Risiko einer Fehlgeburt am höchsten, und das wusste ich. Aber wirklich erwartet habe ich das nicht. Ich bin fest davon ausgegangen, dass ich dieses Weihnachten Plätzchen für mein Kind backe. Und ihm in sechs Jahren Sternbilder am Himmel zeige.

“Ich habe schlechte Nachrichten für Sie”

Am 28. Februar hatte ich den zweiten Termin bei der Frauenärztin. Wir waren gespannt darauf zu sehen, wie sich der Fötus weiterentwickelt hatte. Aber ich hatte kein gutes Gefühl, fühlte mich nicht mehr “schwanger”, auch die Übelkeit war schon seit Tagen weg. Die Frauenärztin fand im Ultraschall den Fötus, aber er bewegte sich nicht. Kein schlagendes Herz. “Ich habe schlechte Nachrichten für Sie. Der Fötus hat nicht überlebt, und er hat sich auch nicht weiterentwickelt.”

Ich nahm die Botschaft irgendwie ungerührt auf, fühlte meine Sorgen bestätigt. Okay, das wars, dachte ich nur. All die Pläne, die wir die letzten Wochen gemacht hatten, all die Überlegungen, all die Vorfreude auf einen neuen Lebensabschnitt: weg, einfach so. Alles stürzte zusammen. Pierre war ebenfalls wie versteinert. 

Bei der Frauenärztin ging es dann um weitere Details. Der Fötus war zwar tot, aber noch in mir drin. Die eigentliche Fehlgeburt würde dann erst noch kommen und sie versuchte, mich darauf vorzubereiten: Blut, viel Blut, “erschrecken Sie nicht”. 

Die Fahrt nach Hause war sehr ernüchtert. Erst hatten wir lange gebraucht, um uns auf das Kind zu freuen, und jetzt mussten wir zusehen, wie wir mit dem Verlust umgehen würden und ins alte Leben zurückfinden könnten. Mit dem toten Fötus noch im Bauch. Natürlich fragte ich mich, was passiert ist. Ob ich durch irgendein Fehlverhalten schuld daran war, dass er gestorben ist. Die Vorstellung, dass ich vor mich hinlebte, vielleicht was aß oder schlief, während in mir mein Kind starb, sein Herz aufhörte zu schlagen – ohne dass ich es merkte, nahm mich sehr mit.

Zum Glück war es wenige Tage später soweit und die Fehlgeburt entfernte die letzten Reste der kurzen Schwangerschaft. Das ist übrigens keine Erfahrung, die ich gerne nochmal machen würde und in die ich auch ziemlich unvorbereitet ging. Im Internet kann man vieles nachlesen – aber nicht, wie sich eine Fehlgeburt anfühlt und wie man sich darauf vorbereitet. Vielleicht schreibe ich noch was dazu. 

Alles wie zuvor…

Ja, und da bin ich jetzt. Eine Woche nach der Fehlgeburt ging es in einen einwöchigen Italien-Urlaub, den wir schon vor der Schwangerschaft gebucht hatten. Nicht auszudenken, wenn die Fehlgeburt während der Reise passiert wäre…. Der Urlaub jedenfalls half uns, wieder in gewohnte Bahnen zu finden. Jetzt, ein paar Wochen später, ist die ganze Schwangerschaftsgeschichte schon fast aus meinen Gedanken verschwunden: So abrupt, wie sie aufgetreten ist, so schnell war sie auch wieder beendet. Trotzdem – das waren harte erste Monate im Jahr 2024.

Lucyda sitzt am Fenster im Zug und schaut entspannt in die Kamera
Von Hamburg nach Florenz mit dem Zug: Die lange Fahrt und der Abstand haben gut getan

Ich bedaure, dass es nichts geworden ist. Aber ich habe auch nicht das Bedürfnis, auf eine weitere Schwangerschaft hinzuarbeiten. Hätte das Universum gewollt, dass ich Mutter werde, dann wäre ich im September Mutter geworden. Aber es kam eben anders.

In Zukunft möchte ich wieder aktiver schreiben. Diese elende Antriebslosigkeit und Müdigkeit ist immerhin ebenfalls Geschichte.

Kommentare

4 Antworten zu „Wie wir fast Eltern geworden wären“

  1. Hermann

    Moin!
    Erst mal ein dickes Lob für die vielen Aktivitäten und Berichte. Auch wenn der Anlass hier jetzt nicht so doll ist, so hilft bestimmt etwas Mitgefühl. Bei uns gab es diese Erfahrung zwei Mal, nach zwei erfolgreichen Geburten.
    Uns (und sehr stark mich) haben die zwei Verluste sehr verändert, was wir lange nicht bemerkten. Ich denke, auch wenn man eigentlich keinen Kinderwunsch hat, so bewirkt ein kleines schlagendes Herz im Ultraschall doch einiges, gerade bei der Mutti.

    Das Teilen dieses Erlebnisses und eine Aufmerksamkeit für persönliche Veränderung kann helfen, diese Veränderungen ins Leben zu integrieren, damit es nicht zur Überlast wird.

    Liebe Grüße und gute Genesung von den Einflüssen dieses Erlebnisses

    Hermann von Eigenbrodt

    1. Lucyda

      Hallo Hermann,
      vielen Dank für deinen Kommentar, auf den ich leider viel zu spät antworte. Meine Mailbox ist einfach ein Chaos.
      Und auch danke, dass du von deinen Erfahrungen berichtest. Gerade aus der Vater-Sicht sieht die doch auch wieder etwas anders aus. Zweimal eine Fehlgeburt zu erleiden, ist sicher sehr schwer – ich hätte jetzt schon nach dem ersten Mal Angst, dass es wieder passiert.

      Liebe Grüße
      Debbie

  2. Paul

    Dieser Blog-Post hat mich sehr bewegt. Ich kann mir garnicht vorstellen, mit welchen Emotionen man in so einer Situation konfrontiert ist. Danke, dass du deine Erfahrungen geteilt hast.

    Ich habe deine Website nach ein paar Jahren mal wieder gefunden; damals wie heute für deine sehr hilfreichen Tipps zum Hausarbeitenschreiben. Es freut mich sehr, dass du weiterhin postest!

    LG
    Paul

    1. Lucyda

      Hey Paul,
      vielen Dank für deinen Kommentar! Ich hab mich sehr drüber gefreut, auch wenn der Anlass nicht so schön ist. Danke dafür.
      Jaa, diese Hausarbeiten-Beiträge, die sind ja auch schon sehr lange her.

      Ich schicke dir liebe Grüße :)
      Debbie

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