Vorgestern habe ich den sehr empfehlenswerten Essay „Die Apokalypse ist leider auserzählt“ von Johannes Schneider gelesen. Schneider hält darin ein paar aktuelle Hiobsbotschaften zur Klimakatastrophe fest. Dann stellt er die These auf, dass wir die reale und kaum noch aufhaltbare Apokalypse nicht als solche erkennen können, weil wir das Ende der Welt in Film und Fernsehen schon so oft höchst dramatisch in Full-HD genießen konnten.
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Gesichter der Apokalypse
Ich bin selbst ein Fan apokalyptischer Szenarien, und ja, bei mir hat es auch lange gedauert, bis ich kapiert habe, wie ernst es tatsächlich ist, hier, in der wirklichen Welt. Die fiktiven Apokalypsen, die wir mit Schaudern auf Leinwänden oder in Büchern konsumieren, sind entweder
- punktuelle Katastrophen, z.B. Meteoritenscheinschlag, ganz plötzliche Eiszeit, Vulkanausbruch, Einfall Außerirdischer, Atomkrieg, oder
- bereits vor der Handlung geschehen und die Menschheit muss sich mit den Bedingungen danach abfinden, zB. Dürre und Staubstürme (Interstellar), Dürre und Wasser/Benzinmangel (Mad Max), atomverseuchte Landstriche, ..
Damit kann man in Katastrophengeschichten sehr gut arbeiten, weil man den Zuschauer entweder mit dem Ereignis selbst oder dessen Folgen schockieren kann. Unser Klimawandel, der zu einer Klimakrise wurde und jetzt als Klimakatastrophe eskaliert, ist dagegen als Motiv für eine Apokalypse im Kino ziemlich langweilig. Da müsste man schon einen Zeitraffer laufen lassen, um den Ernst der Lage begreiflich zu machen. Wobei, das gibt es ja auch:
Schneider vergleicht uns daher treffend mit einem Frosch im Kochtopf. Es ist nicht der abrupte Fall ins kochende Wasser, also ein „apokalyptischer Knall“, der uns unsere Lage deutlichst vor Augen führen würde. Sondern eher eine langgezogene Verschärfung mit der Apokalypse am Ende. Die Apokalypse zeigt sich nicht so, wie wir sie kennen und erwarten – das Wasser wird stattdessen langsam erhitzt und der Frosch bemerkt gar nicht, dass es ihm an den Kragen geht.
Die Verdrängung der drohenden Katastrophe
Die wissenschaftlich nachweisbaren Fakten und die damit einhergehenden immer negativer ausfallenden Prognosen betrachtet Schneider als gegeben. Warum diese alarmierenden Berichte trotzdem von so vielen nicht anerkannt werden, sieht er darin, dass die Klimakatastrophe sich (noch) nicht deutlich auf das Leben und Streben des durchschnittlichen Mitteleuropäers auswirkt.
Wen interessieren schon sterbende Bienen und andere Insekten, Waldsterben (Meldung 1.08.019), Rekordmengen an geschmolzenem Eis in Grönland (Meldung 2.08.2019) und verheerende Brände in der Arktis (Sommer 2019), wenn zu Hause Wasser aus dem Wasserhahn plätschert, Strom aus der Steckdose kommt und vor allem Internet immer verfügbar ist. Schneider geht in seinem Beitrag ziemlich ausführlich und unter Einbeziehung verschiedener Quellen darauf ein, warum Menschen die drohende Apokalypse leugnen bzw. sie aus dem Alltag verdrängen.
Ich frage mich allerdings, wie irgendjemand ernsthaft daran zweifeln kann, dass Industrienationen das globale Ökosystem schädigen. Seit Beginn der Industriellen Revolution pusten wir Dreck in die Atmosphäre, holzen auch entlegenste Urwälder ab, verseuchen die Meere und greifen durch die Gewinnmaximierung in der Landwirtschaft massiv in die Flora und Fauna ein. Sowas bleibt doch nicht ohne Folgen!
Das Essay ist auch jeden Fall ziemlich interessant zu lesen – auch, wenn es deprimierend ist, weil sich daraus ergibt, dass eine Änderung der Gesellschaft aus der Gesellschaft heraus nur schwer zu erreichen ist. Schneider spricht hier von einem „Wunder“, das eintreten müsste. Und vielleicht auch könnte, denn immerhin ist die Klimakatastrophe in Form von Protesten und mittlerweile ständiger Präsenz in den Medien doch in der Mitte der Gesellschaft – zumindest in Deutschland – angekommen und immer mehr Menschen machen sich ihre Gedanken.
Kann es einen freiwilligen Konsens zur Klimarettung geben?
Schneider sieht hier eine Chance. Der Einzelne kann das Klima nicht retten, aber es würde helfen, wenn möglichst viele nach Immanuel Kants „Kategorischem Imperativ“ handelten:
Das bedeutet runtergebrochen aufs Wesentliche: Tue das, von dem du wolltest, dass jeder es genauso macht. Wem etwas an der Erde und ihrer Zukunft liegt, der tut also nichts, was ihr schadet. Übertragen auf ganze Gesellschaften bedeutet das, dass es einen ungeschriebenen Konsens gäbe, zB. nicht mehr Auto zu fahren, nicht mehr zu fliegen und auf Fleisch zu verzichten. Alle würden klimafreundlich leben, weil alle das tun, was dem Gesamtwohl dient.
Das Problem ist nur, dass es einen solchen Konsens nicht gibt. Unsere Gesellschaft ist nicht auf das globale Wohl ausgelegt, sondern auf Wachstum und wirtschaftlichen Erfolg. In einer solchen Gesellschaft ist es außerordentlich schwer, als Individuum davon Abstand zu nehmen und sich so zu verhalten, dass es für alle das Beste ist. Allein schon, weil wir unser täglich Brot irgendwie verdienen müssen und wir dadurch das System der Gewinnmaximierung in der freien Wirtschaft am Laufen halten.
Und: Wer aktuell auf Nachhaltigkeit achtet und klimafreundlich zu leben versucht, der muss bedeutende Nachteile in Kauf nehmen!
Nachhaltigkeit ist mit Nachteilen für den Einzelnen verbunden
Ein Stück Putenbrust von einer unter ethisch unbedenklichen Bedingungen aufgewachsene Pute kostet ein Vielfaches des Antibiotika-verseuchten Putenfleischs zu 1,99 das Kilo. Unter letzterem leidet zwar jeder:
- der Verzehrende, weil das Fleisch mit irgendwelchen Stoffen belastet ist
- die Pute, weil sie unter lebensunwürdigsten Bedingungen lebte
- das Ökosystem, weil die Massentierhaltung zu großen Teilen mitschuld am hohen CO2-Ausstoß ist
Aber es ist billiger, und deswegen wird es gekauft. Es ist schrecklich.
Die Pestizid-behandelte Tomate aus Spanien ist günstiger als die unbehandelte Tomate vom regionalen Bauer. Gebrauchsgegenstände aus Plastik sind in der Regel günstiger als welche aus nachhaltigen Materialen.
Aber nehmen wir nicht nur Fleisch und günstige Pestizid-behandelte Ackerfrüchte – schauen wir auch mal auf die Gewohnheiten der Menschen und deren Bequemlichkeit! Obwohl ich seit 17 Jahren mein eigenes Auto fahre und meine mobile Unabhängigkeit liebe, bin ich gegen den Individualverkehr. Ist doch Wahnsinn, wie wir alle ständig die Städte und Autobahnen vollstopfen und dabei noch Abgase in die Luft blasen.
Angenommen, ich verzichte freiwillig darauf, weiter mit dem Auto Richtung Arbeit zu fahren, und fahre stattdessen mit dem Bus. Was wird mein Verzicht aufs Auto schon bringen, wenn alle anderen Autofahrer trotzdem weiterfahren? Dem Klima ist nicht wirklich viel geholfen, aber ich nehme Nachteile in Kauf, die die anderen dann nicht haben. Ich muss früher aufstehen, bin länger unterwegs, dränge mich mit anderen im Bus zusammen und bin zeitlich und räumlich viel unflexibler. Im Grunde werde ich bestraft, weil ich das Richtige tue, während die anderen durch ihr schädliches Verhalten ihre Privilegien behalten – und am Ende sterben wir trotzdem alle zusammen an den Umständen, die der Klimawandel mit sich bringt.
Auch wer versucht, im Leben weitgehend auf Plastik zu verzichten, steht vor großen Herausforderungen – er muss Zeit in die Recherche investieren, wie man vieles selbst herstellt (Shampoo gibt es nur in Plastikflaschen!) oder in welchem Startup-Online Shop man Alternativprodukte findet. Dazu kommt auch, dass solche „Sonderwünsche“ viel mehr kosten als die Standardprodukte im Supermarkt.
Ich habe mit meiner Schwester darüber gesprochen, wie schwierig es ist, nach plastikfreien Alternativen zu schauen. Sie fragte – und das hallt bei mir noch nach -, ob es mich nicht wütend macht, dass Menschen, die klimafreundlich leben wollen, mit solchen Schwierigkeiten konfrontiert werden. Das war vor ein paar Monaten, und die Frage hat mich erst überrascht, aber mittlerweile macht es mich tatsächlich wütend.
Die freie Marktwirtschaft funktioniert nicht mehr
Warum stehen schädliche Güter denn noch immer so selbstverständlich zur Verfügung? Warum sind Alternativen so schwer zu finden? Denn immerhin war die nachhaltige Lebensweise und damit der wertschätzende Umgang mit Tieren und Nahrung vor 200 Jahren absoluter Standard!
Es gab kein Plastik, keine Pestizide, keine Massentierhaltung, keine Industrie. Und jetzt kommt man kaum drum herum, weil jeder erwartet, dass täglich Fleisch auf den Tisch kommt – ein Privileg der Reichen in früheren Jahrhunderten (hier ein sehr umfangreicher Artikel zur Ernährung in der vorindustriellen Zeit). Natürlich sind wir heute aufgeklärt, alle Menschen sind gleich und niemand möchte/darf benachteiligt werden. Deswegen muss das so sein.
Schuld sind wir also alle:
- Konsumenten, die nach günstigen Produkten fragen.
- Firmen, die diese Nachfrage befriedigen, indem sie durch Raubbau an Tier und Umwelt Produkte günstig herstellen und damit ordentliche Gewinne einfahren.
- Die Politik, die eingreifen müsste, aber aus Angst vor der Ohrfeige an der Wahlurne nur Trippelschritte nach vorn macht.
Das System „Angebot und Nachfrage regeln den Markt“ funktioniert daher unter Nachhaltigkeitsaspekten einfach nicht. Die Nachfrage nach günstigem Fleisch ist enorm, das bedeutet, dass auch das Angebot enorm ist. Aber diese Produktion, die hier stellvertretend für jedes andere schädliche, aber günstige Produkt steht, bringt die Menschheit an den Rand der Katastrophe.
Und das ist das Problem, das wir haben: Die nachhaltige Wahl ist mit individuellen Nachteilen verbunden. Teurer, umständlicher, einschränkend. Qualität hat seinen Preis, aber wir müssen dazu übergehen, dass auch Anti-Qualität teurer oder einfach verboten wird! Es darf doch nicht sein, dass Dinge, die in jeder Hinsicht für alle schädlich sind, günstiger und einfacher verfügbar sind als nachhaltige Produkte.
Weil also ein schneller und grundlegender Wandel der Gewohnheit aus der Gesellschaft heraus nicht zu erwarten ist – und in der Wirtschaft erst recht nicht – muss die Politik nun regulierend eingreifen.
Eine CO2-Steuer reicht nicht – es muss Panik ausbrechen!
Kürzlich legte Umweltministerin Schulze einen Vorschlag für die CO2-Steuer vor. Heizen und Benzin soll teurer werden, und teurere Flüge stehen auch in der Debatte. Davon abgesehen, dass darunter vor allem diejenigen leiden, die sowieso nicht so viel Geld haben, geht diese Maßnahme nicht weit genug. Okay, dann kostet der Sprit 30 Cent mehr und für den Flug müssen wir sogar 10 € mehr auf den Tisch legen. Wozu führt das?
Die Menschen werden sich wegen einer CO2-Steuer ungerecht behandelt fühlen, murren, bei der nächsten Wahl blau wählen – und ihr Verhalten nicht deutlich ändern. Vielleicht etwas weniger Auto fahren, aber wer lässt sich davon abhalten, übers Wochenende nach Mallorca zu fliegen, wenn der Flug nicht mehr 39 € kostet, sondern 49?
Wenn wir nur ein klein wenig an einer Preisschraube drehen, werden wir auch nur ein kleines Resultat sehen. Wenn wir jedoch die Bedingungen und das System selbst grundlegend ändern, wird klar: Der Spaß ist vorbei. Es reicht nicht, nur eine kleine Umweltsumme aufzuschlagen. Wenn man immer von einer drohenden Katastrophe erzählt, und die Leute sehen sie nicht – wie Johannes Schneider im Artikel schön beschreibt -, dann muss man ihnen zeigen, dass die Katastrophe ernst ist und ernst genommen wird.
Greta Thunberg forderte im Januar 2019 auf dem Klimagipfel in Davos, dass die „World Leaders“ in Panik geraten sollten. Ich finde, das ist eine gute Idee. Denn ein kleiner CO2-Preis ist macht den Ernst der Lage nicht deutlich, sondern ist nur ein Alibi fürs bessere Gefühl, etwas getan zu haben. Wenn der Otto Normalbürger aber sehen würde, dass in der Politik und Wirtschaft wirklich Panik in Form von transformierenden Maßnahmen ausbricht, dann sollte jeder merken: Da ist was dran. Warum sonst sollten Politiker potentiell amtsgefährdende Aktionen auf den Weg bringen, wenn es nicht wirklich wichtig ist?
Kürzlich sahen wir den Film „Die wandernde Erde„. Beim Schauen und auch danach fiel es mir nicht auf, jetzt aber schon: Im Film erkennen Wissenschaftler, dass sich in den nächsten 100 Jahren die Sonne aufblähen und dadurch die Erde unbewohnbar machen wird. Die Regierungen arbeiten danach umgehend zusammen: Das Leben für alle ändert sich radikal und alle Ressourcen werden ausschließlich dafür verwendet, eine Lösung zur Rettung des Planeten umzusetzen. Die Erde bekommt riesige Triebwerke und soll mit ihnen die alte Umlaufbahn verlassen.
Um solche Triebwerke geht es bei uns nicht, aber eine Lösung muss trotzdem her, und zwar in allen Industrienationen – und zwar möglichst schnell. Nicht erst 2038, wenn wir das letzte Kohlekraftwerk ausschalten. Sondern jetzt. Wir dürfen nicht so weitermachen wie bisher. Wir brauchen Maßnahmen, die – ja! – das Leben des Einzelnen einschränken. Denn ohne wird sich weiterhin nichts ändern: Schüler und Studenten gehen auf die Straße, Wissenschaftler legen eine verheerende Prognose nach der anderen vor, aber es tut sich einfach nicht genug.
Auch nicht, wenn der Sprit 30 ct teurer wird. Wir müssen deutlichste Anreize bekommen oder dazu gezwungen werden, mitzumachen und Klimaschutz darf keine Frage des Geldes („Ich kann mir nachhaltige Produkte nicht leisten“) oder des individuellen Nachteils sein!
Weg von Gewinnmaximierung – geht das?
Deswegen müsste es nun so laufen: Regierungsvertreter aller Länder setzen sich an einen Tisch und halten fest: Es darf so nicht weitergehen. Je mehr CO2 ein Land produziert, desto schärfer müssen die Maßnahmen sein. Und die müsste dann auch jeder umsetzen, damit nicht ein Land – ich sag nur „America first“ – ausschert und Gewinn daraus schlägt, dass die anderen Klimamaßnahmen umsetzen.
Ich bin sogar der Meinung, dass die gewinnorientierte Gesellschaft, so wie sie heute ist, keine weitere Daseinsberechtigung mehr hat. Was bringt es denn, die Leute zu zwingen, auf den Bus umzusteigen, der sie zu ihrer Arbeitsstelle fährt, wo sich viele von uns für den Erhalt des Systems, also die Gewinnmaximierung, einsetzen? Das wäre doch paradox.
Aber das führt jetzt wirklich zu weit und ich weiß auch keine Lösung. Es fühlt sich nur komisch an, auf der einen Seite CO2 einzusparen, wo es geht, und auf der anderen Seite trotzdem Geld beim Autobauer zu verdienen. Oder in irgendeiner anderen Branche, die darauf aus ist, die eigenen Kosten gering zu halten und möglichst hohe Umsätze einzufahren. Irgendwo wird da immer an der Nachhaltigkeit getrickst werden. Hier weiterzudenken würde an den Grundpfeilern unserer Gesellschaft rütteln.
Mir ist auch klar, dass es nicht geht, einfach Fleisch aus der Massentierhaltung und spanische Pestizid-Tomaten deutlich zu verteuern oder ganz zu verbieten. Es geht einfach nicht, 8 Milliarden Menschen mit glücklichen, Antibiotika-freien Kühen von der grünen bayerischen Alm zu ernähren oder halbwegs wirtschaftlich ohne Pestizide derartig viel Getreide anzubauen, dass alle davon satt werden. Dafür sind wir einfach zu viele.
Es geht dabei natürlich um Kosten und Nutzen und auch um Effizienz. Bei einer sich stetig vergrößernden Weltbevölkerung bei gleich bleibender Größe von landwirtschaftlichen Flächen ist es natürlich nötig, die Erträge zu optimieren – und natürliche Mittel sind irgendwann ausgeschöpft. Wie kann man das lösen?
Bildnachweis: Matt Heinrichs auf Pixabay
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