Keine Partys, keine Freunde, möglichst wenig mit anderen zu tun haben: Das beschreibt mein Erwachsenenleben (leider) ziemlich gut. Meine Freizeit setzte sich aus Blogschreiben, Website-Bastelei, Bildbearbeitung, 3D-Modellierung und Computerspielen zusammen. Bis ich 2020 lernte, dass ich noch etwas anderes kann: Leute unterhalten. Es begann mit Gaming-Let’s-Plays auf YouTube und ging weiter als Gaming-Streamerin auf Twitch.
Wie das zustande kam und sich entwickelte, kannst du in diesem Video zum Anlass meines 5000. Abos auf YouTube anschauen:
Eine wirklich unwahrscheinliche Sache: Ich und das Streamen
Ich hasse es nicht nur, im Mittelpunkt zu stehen, ich kann es auch gar nicht. Sobald ich als introvertierte Person merke, dass mich mehrere Leute anschauen, setzt mein Gehirn aus. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren, verhasple mich und bilde keine sinnvollen Sätze mehr. Selbst am Esstisch mit meiner erweiterten Familie vermeide ich argumentative Diskussionen.
Auch in einfachen Gesprächen mit einer einzigen anderen Person versuche ich meistens, selbst möglichst wenig zu sagen und mein Gegenüber zum Sprechen zu verleiten. Irgendwie traue ich mir einfach nicht zu, selbst viel zu sprechen. Und dass ich beim Sprechen gar “lustig” sein könnte, wäre mir niemals in den Sinn gekommen.
In den 2010-er Jahren habe ich hin und wieder einfache Videos für YouTube aufgenommen und irgendwas gezeigt oder erklärt. In den Erklär-Parts war ich nie gut und musste den Text immer ablesen oder 1000x neu aufnehmen. Als ich 2019 mit Let’s Plays anfing, sprach ich aber ohne Skript und reagierte spontan auf Spielsituationen. Trotz der laufenden Aufnahme fühlte ich mich frei: Ich musste nicht wie im Gespräch jemandem zuhören und dann antworten und niemand unterbrach mich. Ich konnte mir einfach Zeit nehmen und meine Worte frei einsetzen.
Das funktionierte. Und das funktionierte noch besser, als ich mit dem Streamen begann und meine erste Schüchternheit durch Erfahrung überwand. Das alles hätte natürlich nicht funktioniert, wenn niemand zuschaut. Es schauten aber Leute zu und mit meiner Zuschauerschaft entwickelte ich mich weiter. Ich begann, mich künstlich aufzuregen, neue Wörter zu erfinden und wild zu gestikulieren. Es machte mir Spaß, kleine Malheurs im Spiel zu dramatischen Wutanfall-Theaterstücken aufzubauschen.
Viele weitere solcher Ausschnitte findest du hier auf YouTube. Ich kann immer noch kaum glauben, dass ich das bin.
Streamen passte gut in mein Leben
Ohne meine geliebten Zuschauer (und wenige Zuschauerinnen) hätte das nicht funktioniert. Ihre Kommentare, ihr Mitfiebern, ihr Lachen war mein Ansporn. Streams, in denen diese Feedbackschleife funktionierte, waren für mich das beste Argument zum Weitermachen.
In der Regel hatte ich 10-20 Stammzuschauer, die fast immer dabei waren und für die ich das ganze im Grunde auch gemacht habe. Wenn ich mir schon keine Freunde im echten Leben zutraue, dann doch diese paar Leute, die offenbar mochten, was ich tat und wie ich es tat. Das gab mir ein Selbstvertrauen, das ich von mir gar nicht kannte. Bei jedem Stream freute ich mich darauf, diese Leute im Chat wiederzusehen (oder mit einigen auch zusammen live zu spielen).
Und so streamte ich etwa zwei Jahre lang mit wenigen Ausnahmen an sechs Abenden pro Woche. Das alles ging auch nur, weil ich 2019 meine Arbeit gekündigt hatte und Ende 2019 und Anfang 2020 in einer Findungsphase war. Während ich nach einer neuen Stelle suchte, arbeitete ich an einer neuen Website und experimentierte mit Affiliate-Marketing herum. Gleichzeitig konnte ich bei meiner alten Firma auf Basis einer freien Mitarbeit weitere Aufträge übernehmen. Das alles gab mir die Zeit, mich auf YouTube und Twitch zu konzentrieren.
Die Bereitschaft einiger Zuschauer – und einiger weniger Zuschauer im Besonderen –, die mich auf Twitch und/oder auf Patreon zu unterstützen, half mir dabei, das ganze aufrechtzuerhalten. Dass Menschen bereit waren, mich teilweise wirklich großzügig zu unterstützen, fand ich unglaublich und bin auch heute noch zutiefst dafür dankbar.
Ich war keine große Streamerin und machte sicher nicht viel Geld, aber eine Zeitlang konnte ich durch die verschiedenen Einnahmequellen ein fragiles Gleichgewicht zwischen Spaß & Motivation, Zeitaufwand sowie Lebensunterhalt pflegen. Meine Hoffnung war, den Lebensunterhalt-Teil besser zu untermauern und unabhängiger von anderen Einnahmequellen zu werden.
Das gläserne Dach: Ohne Networking geht es nicht weiter
2022 stellte ich jedoch zunehmend fest, dass ich mir selbst im Weg stand. Alleine würde ich nicht viel weiterkommen. Vernetzung mit anderen Streamern, Teilnahme an Real-Life-Events, Interviews mit Entwicklern oder Herstellern – das hätte mir geholfen, meine Position zu sichern und mir neue Türen zu öffnen. Aber das traute ich mich nicht.
Eine Zeitlang hatte ich eine Art Kooperation mit einem deutlich größeren Streamer, durch die meine Kanäle richtig Aufwind bekamen. Wir nahmen ohne große Vereinbarung gemeinsam Snowrunner-Videos auf und streamten das Spiel gemeinsam. Das klappte super, wir verstanden uns gut. Daher fragte mich der Streamer nach einer verbindlicheren Beteiligung: ob ich an einem seiner großen Streaming-Projekte teilnehmen möchte. Wir wussten beide: Das würde mir helfen.
Ich überlegte hin und her und kämpfte mit meinen Ängsten: vor der regelmäßigen Verpflichtung und davor zu versagen und Erwartungen nicht zu erfüllen. Und ich wollte mich nicht zu sehr auf dieses eine Spiel festlegen. Ich sagte ihm ab. Dass ich dieses Angebot ausschlug, fand der Streamer, glaube ich, undankbar, jedenfalls gingen wir ohne böses Blut getrennte Wege.
Dass ich meine alten Angst-Geister vor der Kommunikation mit anderen nicht besiegt hatte, wurde mir ganz besonders auf der “Farm Con” 2022 bewusst. Ich war dort, wie auch viele andere Streamer, die ich teilweise persönlich, teilweise vom Namen her kannte. Aber ich schaffte es nicht, auf sie zuzugehen und mit ihnen zu sprechen. Am liebsten hätte ich mich in eine Ecke gesetzt und nur zugeschaut. Mir wurde klar: Wer auf einem solchen Event, wo einem die Kontakte buchstäblich in den Schoß fallen, den Mund nicht aufbekommt, der wird niemals mehr sein als ein kleiner Hobby-Streamer.
Alles beginnt zu bröckeln
Solange die Streams richtig Spaß machten, konnte ich meine Motivation trotz allem gut aufrechterhalten. Doch manchmal konnte ich trotz bester Laune und guter Performance die Leute nicht richtig in den Chat locken. Ohne Feedback funktionierte das Streamen nicht und solche Streams zehrten an meinem Selbstbewusstsein. Auch die sechs Tage pro Woche zehrten an meinen Nerven und, wie ich später feststellte, an meiner Beziehung. Jeden Tag um 20 Uhr ein “Date” mit dem Computer zu haben, statt den Abend auf der Terrasse oder mit einem Film ausklingen lassen zu können, fand ich zunehmend belastend.
Auch der Lebensunterhalt begann zu bröckeln. Durch personelle Umstellungen in meiner alten Firma sah ich, dass sich die Zeit freier Mitarbeit dem Ende zuneigen könnte. Damit würde der verlässliche Teil meiner Einnahmen wegbrechen, was mir richtig Bauchschmerzen bereitete.
Dann kam der Umzug in den Norden und damit die Internet-Problematik. Mangels besserer Optionen bekamen wir nur via Starlink, also Satellit, schnelles Internet. Damit konnte ich streamen – aber meine Streams waren oft ruckelig, brachen ab und ich konnte nur in niedriger Auflösung streamen. Das ist natürlich fatal, wenn Tausende andere Streamer beste Qualität bieten.
Auch wenn meine geliebten Stammzuschauer mir versicherten, dass “schlecht streamen besser als gar nicht streamen” sei – so oft erinnerten mich andere Leute im Chat daran, wie schlecht es lief. Das zehrte ebenfalls an meinen Nerven. Ich hatte das Gefühl, den Menschen für ihre Zeit (und teilweise ihr Geld) zu wenig zu bieten. Eine schnelle Glasfaserleitung war beantragt, ließ aber auf sich warten.
Das Ende: Vollzeitjob und Toddis Tod
Meine Lebensunterhalt-Bauchschmerzen wurden 2023 so schlimm, dass ich mich wieder auf Vollzeitstellen zu bewerben begann. Dazu kam mein Bedürfnis nach garantierter Bezahlung und Sozialleistungen. Ab September 2023 begann ich mit meinem neuen Job, und mir war klar, dass ich dann nicht mehr so viel Zeit in YouTube und Twitch investieren konnte. Teilzeit wäre auch eine Option gewesen, aber für die finanziellen Einbußen war meine Motivation fürs regelmäßige Streamen nicht mehr hoch genug.
Nach meinem Start im Job streamte ich zunächst kaum noch, weil ich nach der Arbeit einfach zu fertig war. Anfang 2024, nach den ersten Monaten in der neuen Stelle, kam meine Schwangerschaft und Fehlgeburt dazu, sodass ich zu viel anderes im Kopf hatte.

Gleichzeitig bekamen wir endlich unseren Glasfaseranschluss, sodass ich jetzt mit dem Streamen wieder richtig hätte durchstarten können. Ich begann wieder mit regelmäßigen Streams: erstmal jeden Freitag. Hochmotiviert hatte ich mir sogar ein neues Kanallogo designen lassen: Lucyda mit Elchgeweih. Ich freute mich richtig darauf, meinen Stammzuschauern das neue Bild zu zeigen …..
Doch genau dann starb Toddi, einer meiner langjährigen Stammzuschauer, Moderator und einer meiner größten Unterstützer. Es war furchtbar. Wie zu allen meinen Leuten hatte ich eine Art Beziehung zu ihm entwickelt. Beim Start eines Streams war ich immer erst dann richtig beruhigt, wenn sich Toddi und ein, zwei andere im Chat gemeldet hatten. Sind sie da, wird alles gut. Toddi hatte in all den Jahren wirklich kaum einen Stream verpasst. Wir gingen miteinander um wie ein altes Ehepaar. Getroffen habe ich ihn nie, aber dass er nicht mehr da war, veränderte etwas an meinen Streams. Das wurde mir erst nach und nach richtig klar.
Ein paar Monate hielt ich die Freitags-Streams durch, merkte aber mehr und mehr, dass das nicht richtig funktioniert. Es war viel zu wenig, um Spiele richtig angehen zu können. Aber zu mehr sah ich mich nicht in der Lage. Toddi fehlte unglaublich und mich zu festen Terminen nach der Arbeit wieder an den PC zu setzen und gute Laune zu spielen – egal, wie nervig der Tag oder ätzend die Nachrichten aus aller Welt waren, das konnte ich nicht mehr.
Nachruf auf eine meiner unfassbarsten Lebensphasen
Und so lief es sich mit dem Streamen aus. Es wurde immer unregelmäßiger und je länger die Abstände, desto höher die Hemmschwelle, wieder live zu gehen und zu sagen “Hallo ihr Schnapponauten, ich bin wieder da, wie geht’s?”. Im November 2024 war mein letzter Stream und ich weiß nicht, ob nochmal ein weiterer kommt. Manchmal habe ich spontan Lust – aber spontan geht das nicht. Ohne Zuschauer möchte ich nicht und ohne Ankündigung kommt niemand. Und so sitze ich oft mit Trauer und schlechtem Gewissen da und habe das Gefühl, alles im Stich zu lassen, was ich aufgebaut habe.
Vielleicht finde ich irgendwann nochmal eine Wiedereinstiegsmöglichkeit. Ich hätte selbst Lust darauf, aber für längerfristige Pläne bräuchte ich einen Rahmen, der irgendwie funktioniert.
Es war jedenfalls ein unglaublicher Ritt. Ich habe viel über mich selbst gelernt und die Bestätigung bekommen, dass ich doch irgendwie mit Menschen kann :D
Allen meinen Zuschauern und Begleitern bin ich unglaublich dankbar für ihre Zeit und ihr Commitment. Viele davon waren nicht nur oft dabei oder haben mich mit Geld unterstützt, sondern haben sich auch anderweitig eingebracht. Durch Moderation im Stream oder auf Discord, durch Beratung oder Unterstützung in Multiplayer-Spielen. Oder einfach durch nette Worte im Stream, die meinen Chat fast immer zu einer Wohlfühlzone gemacht haben.
Vielen vielen Dank, ich liebe euch alle <3
Auch auf Discord sind viele Menschen aktiv, die nicht oft in den Streams dabei waren, aber doch an anderer Front die Stellung halten. Hier möchte ich besonders CeKay hervorheben, ein absolutes Urgestein der Community. Auch Angi, die erst spät dazu kam, aber immer gut gelaunt, offen und fröhlich mit allen kommuniziert, verdient ein dickes “Danke, du bist toll!”.
Mein ganz, ganz besonderer Dank geht an Baradion, Boromir vom Rabenstein, General Honigblume und Toddi, die so oft dabei waren und durch ihre Anwesenheit meinen Chat und Stream verschönert haben. Ich müsste noch viel mehr Personen erwähnen, aber dann wüsste ich nicht, wo aufhören. Ich denke sie wissen, wenn sie gemeint sind.
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