Mir geht es heute um Spoilerkultur und besonders um Online-Berichterstattung – und zwar wie immer natürlich absolut spoilerfrei! :D
Dass TV-Serien inzwischen längst kein Verbotene-Liebe-Soap-Opera-Hausfrauen-Thema mehr ist, sondern Millionen Fans an sich binden können, ist spätestens seit Game of Thrones klar. Da fiebern derart viele Menschen mit, dass bei neuen Episoden Server wegen zu vieler Zugriffe überlastet werden, während Pornoseiten zur Ausstrahlung der Premiere Einbrüche der Zugriffszahlen verzeichnen. Die Nachfrage nach so einem Produkt ist hoch, so dass nicht nur die Pay-TV-Sender, die diese Serien anbieten, daran verdienen, sondern auch der Merchandise-Markt und nicht zuletzt auch die Onlinesparten seriöser Nachrichtenmagazine. Berichterstattung über fiktive Ereignisse – wo kommt man da hin?
Und darauf gehe ich jetzt genauer ein.
In Zeiten, in denen Besucherklicks in Geld umgerechnet werden können, geht es darum, möglichst viele Besucher zu sich zu holen. Und das geht kaum einfacher als bei einem derart populären Thema wie einer seit Jahren beliebten Serie.
Serien-Hype und Spoilerspaß
Ich bin heute konkret zu dieser Thematik gekommen, weil ich gerade Teil des Millionenpublikums bin und diese Art der Berichterstattung mich persönlich betrifft. Während der Game of Thrones-Hype bei mir noch vorübergegangen ist, erwischt er mich jetzt bei „The Walking Dead„. Innerhalb weniger Monate haben wir alle 6 bisher verfügbaren Staffeln angeschaut und mussten dann nur noch wenige Wochen bis Ende Oktober warten, wo die Premiere der im Wochenrhytmus ausgestrahlten 7. Staffel lief. In der Zeit seit Ende der 6. Staffel im April bis zur Premiere übertrafen sich Fans und Newsportale gegenseitig mit Spekulationen über das Schicksal der liebgewonnenen Charaktere. Da wurden kommende Verpflichtungen der Schauspieler geprüft und versucht, daraus abzuleiten, ob möglicherweise jemand stirbt oder nicht, und genau wie bei Game of Thrones überschlugen sich die Nachrichtenportale mit Mutmaßungen und Fotos von den Sets, wer denn nun noch dabei sei und wer nicht.
Vom Beispiel Game of Thrones kannte ich diese Theorien-Maschinerie, und ich kannte die im Internet allzeit zirkulierenden Memes, die schon am Tag nach der Ausstrahlung auftauchen und auf Ereignisse der letzten Episode Bezug nehmen. Außerdem gibt es im Internet genug Idioten, die anderen Leuten einfach nur den Spaß verderben und beispielsweise unter ein Soundtrackvideo zur Serie ohne Warnung einen dicken Spoiler in die Kommentare schreiben. Oder die krude Geschichte, bei der ein Mann von seiner Ex-Freundin vor jeder neuen Folge gespoilert wird und nichts dagegen tun kann. Sprich: Von Game of Thrones wusste ich, dass es schwer ist, nicht gespoilert zu werden, wenn man die Serie nicht zur Erstausstrahlung schaut.
Für Walking Dead wollte ich das vermeiden. Ich hatte absolut keine Lust darauf, schon im Voraus zu wissen, was wann passiert, wer stirbt und wie eine Staffel sich wendet, bevor man sie gesehen hat. Daher habe ich erstmals im Leben ein Pay-TV-Abo abgeschlossen und kann die Serie nun also so früh wie legal möglich anschauen.
UND DENNOCH WERDE ICH GESPOILERT!?
Ja, und das überrascht mich tatsächlich. Zur Zeit wird, wie erwähnt, die 7. Walking-Dead-Staffel ausgestrahlt. Sonntag abends läuft sie in den USA, und annähernd zeitgleich, dh. um 4 Uhr morgens, läuft sie bei uns in Originalfassung auf englisch im PayTV. Die deutsche Version ist dann Montag abends verfügbar, also einen Tag später. Ich bin nicht so verrückt, dass ich nachts um 4 Uhr aufstehe, um die OV zu schauen, und kann auch den ganzen Montag noch abwarten. Dass ich dementsprechend montags auf YouTube aufpassen muss und mich vor den Spoilerplattformen hüten muss, ist mir klar.
Klicks = Gewinn
Nein, die Spoilergefahr besteht durch (semi)seriöse Nachrichtenportalen. Weil man Klicks generieren muss. Letzten Montag habe ich wie jeden Tag die Google-News-Seiten überflogen, wo es mit Hilfe verschiedener Nachrichtenseiten immer einen guten Überblick über die wichtigsten News des Tages gibt. In der Kategorie „Unterhaltung“ fand sich eine Überschrift: „Walking Dead – Das passiert in Folge 2!“. Darunter zwei Zeilen Teaser, der die Geschehnisse ganz kurz zusammenfasst. Ohne überhaupt auf den Artikel zu klicken. Schnell-Leser haben hier die Stichpunkte schon gescannt, als sie wegschauen können.
Schockiert und empört verbannte ich diese Seite für alle Zeiten aus meiner News-Zusammenstellung. Dieses Beispiel zeigt, dass es schon längst nicht mehr darum geht, den Leser zu informieren und Besucher anzuziehen, indem man Content generiert, der für sie einen Mehrwert bietet. Wer die Serie mag und sie selbst schaut – wer will denn dann bereits im Voraus eine Zusammenfassung lesen? Ja, direkt danach googelt man und unterhält sich vielleicht auf Foren über die aktuellen Geschehnisse. DANACH. Aber nicht davor, nicht BEVOR die Episode überhaupt bei uns gelaufen ist. Wer sich also für die Serie interessiert, der schaut sie erst selbst, und zwar in Deutschland meistens Montag abends oder irgendwann später, und nicht Montag vormittags. Und wer sich nicht dafür interessiert, interessiert sich auch nicht für so einen dämlichen Beitrag. Und wer den Beitrag liest, nachdem er die Episode liest, der weiss selbst, was passiert ist.
Nein, es geht nur darum, ein Stück vom Hypekuchen abzuschneiden und sich selbst einen Platz an der Sonne zu reservieren. Die halbe Welt ist scharf auf Walking Dead, also versucht man, einen Teil der wilden Klicker auf die eigene Seite zu lenken und dort für deren Klicks belohnt zu werden.
Ich finde, dass man an diesem Beispiel schön einige Problematiken der Gesellschaft ablesen kann. Es geht nicht mehr darum, fundierte und gut recherchierte Artikel zu schreiben, wie man sie aus den Printmedien noch kennt. Es geht einzig und allein darum, Klicks zu generieren. Da muss die Überschrift sitzen und den Blick anziehen. Dann muss der Teaser weiter anfixen und den Leser zum Draufklicken animieren. Und dann ist eigentlich egal, was im Artikel steht, und ob die Info irgendjemandem was bringt. Sie sollte natürlich nicht falsch sein, aber wie relevant oder nicht sie dann ist, ist völlig egal. Der Artikel über das „unheimliche Phänomen am Nachthimmel„, den ich erst vor einer Woche empört hier gepostet habe, passt genau in dieses Schema.
Masse statt Klasse, Sensation statt Deeskalation
Es scheint immer mehr zur Realität zu werden, dass Masse die Klasse ersetzt. Man haut Artikel schon raus, bevor es überhaupt sichere Informationen gibt. Verwundert überfliege ich auch immer wieder Artikel, die mit Mutmaßungen über das Leben irgendwelcher Promis um sich werfen und sich letztendlich nur auf einen minimalistischen Twitter-Post stützen.
So sehr ich sowieso Promiklatsch verabscheue, sind Nachrichten über die Trennung von „Brangelina“ doch immerhin wirkliche Nachrichten. Sowas hatte schon seit jeher seinen angestammten Platz auch in den Printmedien. Neu hinzu kommen nun solche „Pseudo-News“, die über fiktive Nachrichten berichten: Ereignisse in Serien und Netzkultur allgemein. Seitenweise Artikel, die sich nur mit aktuellen Serienentwicklungen beschäftigen. Und durch die die Konsumenten oft gar keinen Mehrwert haben: Spekulationen über zukünftige andere Projekte eines Schauspieler sind eben Spekulationen und keine Nachrichten. Tod und Verderben in einer Serie sind nicht Tod und Verderben in der wirklichen Welt – und eigentlich haben wir auch davon schon genug. Irgendwie ist das krank..
Durch das Internet sind Augenzeugenberichte und Videos von Katastrophen über Twitter schneller um die Welt gegangen, als jede seriöse Nachrichtenagentur reagieren kann, daher ist man gezwungen, sich ein Stück weit auf das „Laien-Niveau“ herabzulassen. Twitter und Facebook werden als Medium und Quelle genutzt, auf Kosten einer eingehenden Recherche. Statt einen Artikel in einigen Stunden zu schreiben, davor zu recherchieren und ein paar Grafiken zur Veranschaulichung anzufertigen, muss der Beitrag raus ins Internet, bevor alle anderen die Nachricht schon gebracht haben. Grafiken und Hintergrundinfos dürfen dann am nächsten Tag folgen, oder in den Printmedien.
Aber es wäre natürlich zu einfach, den Medien die Schuld für diese „Sensationsschreibe“ in die Schuhe zu schieben.
Das Internet ist schuld, nicht die Medien
Früher musste man für eine Zeitung Geld bezahlen, heute erwartet man von seriöse Berichterstattung, dass sie kostenlos und natürlich SOFORT im Internet verfügbar ist. Geht auch nicht anders, nimmt ein Portal Geld, dann bekommt man die News durch drei Klicks mit Google woanders kostenlos. Je günstiger ein Produkt, desto mehr Abstriche muss der Konsument machen – denn der Produzent muss von seinem Produkt leben. Wenn man nicht bereit ist, für die Berichterstattung Geld zu bezahlen, dann müssen sich die Nachrichtenagenturen und -portale eben auf die Klicks stürzen, und die gibt es nicht mit langweiligen Meldungen. Ein Teufelskreis..
Und ich, die ich immer der Meinung war, dass das Internet das Land der unbegrenzten Möglichkeiten – und daher grundsätzlich GUT – sei, bin nun erstmals besorgt über diese Entwicklungen. Welche andere, kleinere, aber ungleich wichtigere Nachricht fällt vielleicht aus dem sich ständig erneuernden Newsfeed, weil dieser mit Pseudo-News geflutet wird? Wo wird es hinführen, wenn Nachrichtenportale immer sensationslüsterne Überschriften bringen und ihre Artikel auch so gestalten, damit es nicht so auffällt, dass die eigentliche Nachricht völlig unwichtig und langweilig ist. Als Beispiel mag das „unheimliche Phänomen“ oben dienen, oder auch diverse Berichte über Asteroiden, die den Planet in fünffacher Mond-Erde-Entfernung passieren, aber für eine „Streifschuss!“-Meldung ausreichen und mit Worst-Case-Szenarien eines Einschlags unterfüttert werden.
Nachdem ich nun ein paar Tage über das „unheimliche Phänomen“ nachgedacht habe, komme ich sogar selbst zum Schluss, dass der Artikel nicht, wie von mir bezeichnet, völlig dämlich ist. Okay, er ist natürlich dämlich, aber er ist nicht aus Unwissenheit und schlechter Recherche entstanden, sondern sowas ist eben der Preis dafür, dass wir auf der anderen Seite jederzeit kostenlos Zugriff auf Informationen und Nachrichten haben.
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