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Details zum Buch
Autor: Ken Follett
Titel: Kingsbridge | Der Morgen einer neuen Zeit
Deutsche Übersetzung: Dietmar Schmidt, Rainer Schumacher
Seiten: 1024
Ken Folletts historische Romanreihe über die Stadt Kingsbridge in England zählt zu seinen größten Erfolgen als Autor. Den Grundstein dafür legte er mit dem 1989 erschienenen Buch Die Säulen der Erde, das den Bau einer Kathedrale im 12. Jahrhundert in den Mittelpunkt stellt. Ich hab das Buch irgendwann um 2000 herum (mehrfach) gelesen und vermutlich ist es auch mit dran Schuld, dass ich mich später im Studium für romanische und gothische Kathedralen interessierte :D
Vor fast genau 10 Jahren rezensierte ich eines der beiden Folgebücher, Die Tore der Welt. Und jetzt ist es wieder soweit. Kingsbridge – Der Morgen einer neuen Zeit erschien bereits 2020 und versetzt uns in die Zeit der Entstehung der Stadt Kingsbridge um das Jahr 1000. Und natürlich in die Lebensdramen ihrer Bewohner. Das Buch deckt dabei mit nur rund 10 Jahren einen vergleichsweise kurzen Zeitraum ab.
Der Morgen einer neuen Zeit“ spielt ca. 140 Jahre vor „Die Säulen der Erde“. Wer einen Überblick über die Geschehnisse der Kingsbridge-Romane und auch der Charaktere braucht, der findet bei Audible sehr gute Informationen.
Der Morgen einer neuen Zeit – Handlung
Wir schreiben das Jahr 997. Großbritanniens Küsten werden zu dieser Zeit noch immer von Wikingern heimgesucht. Die Nordmänner plündern und zerstören ganze Dörfer. Viele Menschen werden getötet oder in die Sklaverei verschleppt. Das Dorf Combe an der englischen Südküste blieb bisher aber verschont. Hier lebt der junge Bootsbauer Edgar mit seinen beiden älteren Brüdern und seinen Eltern.
Doch zu Beginn des Buchs haben Ruhe und Frieden ein Ende: Wikinger landen nachts am Strand und brennen das Dorf nieder. Auch Edgars Vater wird erschlagen, die Familie steht nun völlig mittellos da.
Ihr Landesherr, Alderman Wilwulf, überlässt der Witwe und ihren Söhnen nun ein kleines Stück Land und einen heruntergekommenen Hof im Weiler Dreng’s Ferry zur Pacht. Dieser kleine Ort besteht aus nicht viel mehr als ein paar ärmlichen Hütten, einem Gasthaus, einer kleinen Stiftskirche und einer Nonnenabtei. Gastwirt Dreng ist Vorsteher des Ortes und Besitzer der Fähre, der einzigen Möglichkeit, den Fluss zu überqueren. Er hat zwei Ehefrauen und eine Sklavin und herrscht mit harter Hand über seine Familie.
Bald, nachdem Edgar und seine Familie im Ort ankommen, legt er sich nicht nur mit Dreng an, sondern vermutet auch, dass die Bewohner ein Geheimnis hüten.
Gleichzeitig werfen wir einen Blick auf die andere Seite des Ärmelkanals, in die Normandie. Die Normannen waren einst selbst Wikinger, doch mittlerweile haben sie sich fest hier niedergelassen, sind zum Christentum übergetreten und haben die Sprache des Landes angenommen. Ragna ist die kluge Tochter des Grafen von Cherbourg und verliebt sich in Wilwulf, der zu Verhandlungen über die Wikingergefahr aus England nach Cherbourg gereist war.
Ihr Traum geht in Erfüllung und bald kann Ragna selbst nach England in die Stadt Shiring reisen, um Wilwulf zu heiraten. Auf der Durchreise begegnet sie Edgar in Dreng’s Ferry, und von nun an sind die Schicksale der beiden jungen Leute miteinander verknüpft. In Shiring angekommen, realisiert Ragna jedoch, dass das Leben, die Menschen und auch Wilwulf selbst ihr fremd sind. Sie beißt die Zähne zusammen und versucht, das Beste aus der Situation zu machen.
Der Morgen einer neuen Zeit – Rezension
Hach wie schön, mal wieder ein gut recherchiertes Buch! Ich zunächst großen Spaß und konnte die nächste Lesesession immer kaum abwarten.
Was Follett wirklich gut kann
Gleich auf den ersten Seiten in „Der Morgen einer neuen Zeit“ brilliert Follett mit unzähligen Details. Scheinbar mühelos lässt er vor den Augen des Lesers eine für uns fremde und oftmals schockierende Welt entstehen. Besonderen Augenmerk legt er dabei auf das alltägliche Leben armer Familien, das ständig am seidenen Faden zu hängen scheint.
Ob es Wikinger sind, die ein Dorf niederbrennen, wodurch die Überlebenden buchstäblich vor dem Nichts stehen und sie in die freiwillige Versklavung zwingt. Oder berechnende Landesherren, denen die Lebensrealität ihrer Pächter egal ist. Die Tatsache, dass ein Esser mehr in der Familie für alle Familienmitglieder Verzicht bedeutet. All das passiert in Der Morgen einer neuen Zeit und die Geschichte dreht sich unter anderem darum, wie die Menschen trotzdem ihr Leben bewältigen (oder eben nicht).
Im Gedächtnis blieb mir auch ein Satz: Das Dorf ist arm, so etwas wie ein Bett hat hier niemand. Alle Bewohner schlafen natürlich zusammen in einem Raum in den Binsen am Boden. Darüber hinaus verweist Follett vor allem am Anfang darauf, dass Menschen mit 30 oder 40 schon als alt gelten. Klar, Frauen haben zu dem Zeitpunkt schon mehrere Geburten hinter sich und alle leben ein Leben voller Entbehrungen. Krankheiten und eine hohe Arbeitslast tun ihr Übriges und so scheint klar zu sein, dass um 1000 das Leben eines Erwachsenen schon in den frühen Teenager-Jahren beginnt und häufig bereits im Kindbett, oder zumindest lange vor der 50 endet.
Zu den historischen Details habe ich einen Disclaimer: Ich habe zwar selbst Geschichte studiert und kenne mich auch ein wenig mit dem Wikingerzeitalter aus. Aber ich kann nicht aus dem Stegreif bestätigen, ob alle alltäglichen Details, die Follett so beiläufig erwähnt, Hand und Fuß haben. Das Buch ist und bleibt ein Roman und kann Raum für Fiktion bieten! Insgesamt wirkt es auf mich aber schlüssig.
Der Leser erfährt durch das Buch viel über die Zeit, in der es spielt. Um 1000 n. Chr. war die europäische Welt im Umbruch. Wir nähern uns dem Ende des Zeitalters der Wikinger, die für alle Menschen an den Küstensiedlungen Großbritanniens und des nördlichen Kontinents eine stetige Bedrohung darstellten. Die späteren typischen gesellschaftlichen Strukturen des Mittelalters, die bis heute spürbar sind, waren aber noch nicht so gefestigt.
So greift Follett ganz selbstverständlich auf die Haltung und gnadenlose Ausnutzung von Sklaven in England zurück. Gern nutzte man dafür Waliser, also keinesfalls Menschen „von weit her“, sondern direkte Nachbarn, die von den Angelsachsen im Rahmen von Rachefeldzügen verschleppt werden. Schockierend für uns sind auch deren völlige Entrechtung, ein Leben voller Missbrauch und damit zusammenhängend auch Kinderschwangerschaften.
Auch die Vorstellung, dass es offenbar noch möglich war, mehrere Ehepartner zu haben, mutet für uns fremd an. Obwohl das Christentum in Europa natürlich zu dieser Zeit schon etabliert war, hatte die Kirche noch keinen so starken Einfluss auf das alltägliche Leben der Menschen. Auch ein Heiratsverbot für Priester gab es hier noch nicht, so dass Follett’s Priester durchaus nicht nur Familie, sondern auch Mätressen haben konnten. Und nicht zuletzt scheint es noch keine Ehe „bis dass der Tod euch scheide“ gegeben zu haben. Wer eine neue Hauptfrau braucht, „versetzt“ die andere Gattin einfach formlos und schon ist Platz für eine Neue.
All diese Details lassen das Buch interessant und spannend wirken. Aber ich habe auch starke Kritik an „Der Morgen einer neuen Zeit“.
Was mir am neuen Kingsbridge-Buch nicht gefällt
Nach den ersten 100 oder 200 Seiten machte sich langsam Ernüchterung breit. Das Buch hat meiner Meinung nach zwei große Probleme:
- die einfallslose Geschichte
- die völlig platten Charaktere
Kommen wir erst zur Geschichte. Im Wesentlichen sind sowohl die Figuren als auch die Story die gleiche wie im berühmten Vorläufer „Die Säulen der Erde“. Baumeister Edgar entspricht Baumeister Tom Builder, Grafentochter Ragna ist Grafentochter Aliena und Bruder Aldred ist Prior Philip. Es gibt eine lang gehegte, aber nicht auslebbare Liebe „aus der Ferne“, Vergewaltigungen mit Zwangsverheiratung und am Ende bekommt jeder, was er verdient.
Am Ende habe ich den Eindruck, dass Follett einfach nochmal seinen Erfolg mit „Die Säulen der Erde“ aufleben lassen wollte. Das historische Setting ist anders, aber die Handlung ist nahezu gleich. Das allein ist nicht unbedingt zu verurteilen. Schließlich muss nicht jeder den alten Schinken aus 1989 kennen. Vielleicht soll „Der Morgen einer neuen Zeit“ Kingsbridge-Neulinge ansprechen. Und denen ist es herzlich egal, was Follett schon einmal in einem anderen Roman geschrieben hat. So gesehen kann man das Buch ganz gut lesen.
Da ich „die Säulen“ aber kenne, bin ich enttäuscht gewesen. Es geht zwar nicht um so ein Mammutprojekt wie den Bau einer Kathedrale. Aber das Bauen bleibt wichtig. Baumeister Edgar baut einfach alles. Vom Floß zur Brücke, vom Wassergraben bis zur Kirche. Und auch einen Steinbruch verwaltet er mit links. Obwohl „die Säulen“ offenbar das große Vorbild für Folletts neuen Roman war, gelingt ihm nur eine „Light-Version“ – die Geschichte umspannt nicht so eine lange Zeit, auch historische Ereignisse und Personen werden nicht so stark betrachtet.
Und auch Kingsbridge-Neulingen fällt sicher auf, wie einfach die Charaktere geschrieben sind. Damit kommen wir zur zweiten Schwäche des Buches, nämlich die Figuren. Sie sind in ihren Charaktereigenschaften ganz klar auf Gut und Böse angelegt: Die einen schaffen durch Klugheit und Rechtschaffenheit den Aufstieg in der Gesellschaft und können sich Anerkennung verschaffen. Die anderen sind niederträchtig, machtbesessen und teilweise übertrieben rachsüchtig und eifersüchtig.
Diese Kritik muss man allerdings auch an „Die Säulen der Erde“ adressieren, da ist es auch nicht anders. Es macht den Anschein, als hätte sich Follett überlegt, welche guten und schlechten Eigenschaften es gibt. Die einen hat er seinen Hauptfiguren verliehen und die anderen deren Gegenspielern. So haben wir Charaktere wie auf einem Schachbrett: Bauern, Läufer und Könige, und zwar komplett in schwarz und weiß.
Der Morgen einer neuen Zeit – Fazit
„Der Morgen einer neuen Zeit“ ist nicht schlecht. Aber auch nicht wirklich gut. Das Buch liest sich recht flüssig und die über 1000 Seiten hatte ich überraschend schnell durch. Follett ist einfach unglaublich gut darin, seine Leser komplett in die Zeit seiner Geschichte zu ziehen.
Die sehr einseitigen Figuren, die Follett einfach aus früheren Geschichten recycled hat, kann ich ihm aber nicht recht verzeihen. Drei Jahrzehnte später hätte man doch eine gewisse Reifung erwarten können. Das ist schade.
Insgesamt kann man das Buch ganz gut lesen, insbesondere, wenn man „Die Säulen der Erde“ nicht kennt.
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