Die Black Lives Matter-Bewegung bringt das Thema Rassismus in die Nachrichten und damit auch in die Köpfe der Zuschauer. Und endlich auch in meinen. Obwohl ich vom Rassismus in den USA wusste, beschäftige ich mich selbst erst jetzt wirklich damit. Meine Meinung bisher war immer, ja, das ist schon schlimm, was ist nur los mit den Amerikanern, dass sie heutzutage noch so rassistisch sind.
Dieser Beitrag ist ein … ja, sagen wir „Meilenstein“ – ein Wegpunkt, der sagt: So viel hast du schon geschafft seit deinem Start. Das Ziel ist, nicht mehr rassistisch zu sein.
Wobei…… Ich, IIIICH, bin natürlich nicht rassistisch. Wie käme ich denn auf die Idee, jemanden wegen seiner Hautfarbe oder Herkunft zu benachteiligen. Das dachte ich jedenfalls. Aber je tiefer ich eintauche und mich einlese, desto mehr wird mir erschreckend bewusst: Natürlich bin ich rassistisch. Ungewollt, aber das ändert ja nichts daran.
Sich als Weißer nicht als Rassisten zu sehen, ist genau der Kernpunkt von „White Fragility“.
White Fragility ist ein von Robin DiAngelo definierter Begriff, der beschreibt, dass Weiße beleidigt sind, wenn man ihnen ihr rassistisches Verhalten aufzeigt. Rassismus ist böse, man denkt an (Neo-)Nazis, an Sklaverei, an das N-Wort. Also daran, absichtlich Menschen auszugrenzen und herabzusetzen. Das wollen die meisten Weißen ja gar nicht, also sind wir keine Rassisten. Wirft uns nun jemand vor, wir würden uns rassistisch verhalten, gehen wir in Verteidigungshaltung, das von „das war doch gar nicht so gemeint“, „das war doch nicht rassistisch…“ und „ich bin kein Rassist, ich habe einen dunkelhäutigen Bekannten und war schon mal in Afrika“ bis hin zu Streit und Gesprächsabbruch führt. Wie falsch die Aussagen in Anführungszeichen sind, wird mir leider jetzt erst bewusst (1: Nicht so gemeint ist trotzdem verletzend, 2: Bitte erkläre keinem Schwarzen, was rassistisch ist, 3: Ja und?).
Einer wirklich „schlimmen Schuld“ im Sinne von aus-weißer-Sicht-bösem-Rassismus bin ich mir nicht bewusst. Aber mir fällt ein, dass ich mich vor vielen Jahren Jahren mit Sicherheit über „maximalpigmentiert“ lustig gemacht habe. Warum das N-Wort falsch sein soll (ja, ich bin damit aufgewachsen), habe ich nie verstanden, „ist doch nur ein Wort..?“. Warum denn „auf einmal“ andere Bezeichnungen, wie Schwarze, People of Color, Farbige oder „maximalpigmentiert“? *) Ich fragte mich, „Was wollen die denn jetzt überhaupt?“.
Damit habe ich typisch weiß reagiert und das Anliegen, nicht beleidigt und gedemütigt zu werden, nicht nur nicht erkannt oder verstanden, sondern einfach abgetan und mich noch dazu „ironisch“ darüber lustig gemacht.
*) Mittlerweile lernte ich, dass „schwarz“ und „People of Color“ die richtige Bezeichnung ist, die anderen nicht.
Dabei hätte ich es verstehen können müssen. Ich möchte ja auch nicht von Fremden oder einem Kollegen „Schätzchen“ genannt werden. Dass Frauen einiges von dem, was Männer sagen und tun, nicht so gut finden, ist mittlerweile überall angekommen. Und Männer sehen sich konfrontiert und verteidigen sich damit, dass „Schätzchen“ nicht böse gemeint ist, sondern eher sogar als Kompliment gilt.
Die Frage, was man tun und denken darf, ohne jemanden zu diskriminieren oder zu beleidigen, haben sich Männer in letzter Zeit vielleicht oft gestellt, wenn sie sich mit Sexismus beschäftigen. Man will ja gar nicht „so“ sein, aber was genau ist „erlaubt“ und was nicht?
Während ich mich jetzt mit Rassismus und dieser Frage befasse, welche Verhaltens- und Denkmuster ich ablegen muss, kam mir plötzlich die Frage in den Sinn, ob es eigentlich ok ist, einfach so meine Katze zu streicheln. Habe ich früher nie drüber nachgedacht, klar, Katzen streichelt man halt, die mögen das doch! Aber tun sie das? Oder denke ich das nur? Vielleicht hat sich die Katze gerade erst frisch aufwändig geputzt und will nicht, dass eine nach Mensch riechende Hand über ihren Körper streicht.
Immerhin: Die Beschäftigung mit Rassismus bringt neue Fragen und Gedanken bei mir auf – das ist gut. Das Problem zu erkennen und nachvollziehen zu können, ist vielleicht schon ein erster Schritt zur Besserung.
Ich schreibe diesen Beitrag mit den besten Absichten, aber aus meiner weißen und daher ungewollt weniger sensibilisierten Sichtweise. Vielleicht schreibe ich dabei unbeabsichtigt etwas, was wiederum unangebracht aufgefasst werden könnte – wenn ja, dann schreib mir einfach als Kommentar oder unter Kontakt. Ich entschuldige ich mich, es ist nicht gewollt. Ich lerne noch!
Mein Privileg: Das unbezahlbare Gefühl, zu Hause zu sein
Ich kann nicht verstehen, wie es ist, in der Heimat, in der man aufwächst, als fremd betrachtet zu werden, als „nicht zugehörig“, als „nicht beheimatet“.
Bin ich in Ländern außerhalb Mitteleuropas unterwegs (Italien reicht schon), bin ich als mir meiner Fremdheit deutlich bewusst. Leute sehen und sprechen mich dann ganz automatisch als Ausländerin, als Touristin an. Das ist verständlich – ich bin weiß, blond und schaue unsicher ^^, aber für mich unangenehm. Es ist unangenehm, aufzufallen und als fremd angesehen zu werden. In Marokko letztes Jahr sogar lästig, weil „Tourist“ dort auch „hat Geld“ bedeutet: Es laufen einem Menschen regelrecht hinterher, die dieses Geld haben wollen.
Daher war es für mich die Heimkehr nach Deutschland immer auch ein kleiner Trost für den beendeten Urlaub, und zugleich auch eine Erleichterung: Endlich wieder daheim, wo ich hingehöre, wo ich nicht fremd bin, wo man mich als Einheimische betrachtet, und nicht als Tourist oder Ausländer.
Dieses Gefühl des „zu Hause-Seins“ und „selbstverständlich als zugehörig akzeptiert zu sein“ NICHT haben zu können, möchte ich mir gar nicht vorstellen. Aber genau das ist Realität für alle, die eben nicht „typisch deutsch“ aussehen.
Als „anders“ betrachtet zu werden, ist schon schlimm genug. Wirklich fatal wird es aber dann, wenn nur aufgrund des Aussehens oder auch des Namens schon negative Attribute auf die Person projiziert werden: Könnte kriminell sein, hat vermutlich weniger Bildung genossen, allgemein diffuser, obskurer Hintergrund („vermutlich gehört noch eine Großfamilie dazu, und wer weiß, ob diese Person ’sicher‘ ist“).
Aufgrund dieser Projizierung folgt dann viel zu häufig eine generelle Ablehnung: Auf eine Bewerbung folgt eher eine Absage, es ist schwieriger, eine Wohnung zu finden oder einen Kredit zu bekommen. Oder, in den USA, man wird eher von der Polizei erschossen, weil man denkt, dass eine schwarze Person gewaltbereiter ist.
Das ist eine strukturelle Benachteiligung von Menschen – allein aufgrund ihrer Hautfarbe (oder ihres Namens). Der Mensch bekommt überhaupt nicht die Chance, mit Qualifikationen zu überzeugen oder mit seinem badischen Muttersprachen-Akzent Zugehörigkeit zu vermitteln, denn er wird ausschließlich durch Äußerlichkeiten beurteilt.
Das ist schlimm!
„Oh, schaut mal, ein Schokomann“
Auf der anderen Seite ist es für mich schwierig zu realisieren, dass ich bzw. Weiße ganz einfach Teil eines Problems sind, ohne es überhaupt zu wollen oder auch etwas dafür zu können. Wir alle werden geboren, wie wir nunmal sind – die einen als Person of Color und damit dauerstigmatisiert, die anderen weiß und damit privilegiert. Während People of Color aber tagein, tagaus mit ihrem Attribut konfrontiert werden, sehen Weiße weder ein Rassismusproblem – weil sie nicht betroffen sind -, noch müssen sie sich überhaupt damit befassen, eine Hautfarbe zu haben und dadurch „anders“ zu sein.
Als ich vier war und mein Bruder zwei, verbrachten wir sechs Wochen in den USA. Mein Vater arbeitete bei einem amerikanischen Konzern und Dienstreisen gehörten dazu. Hier verbanden unsere Eltern eben eine längere Dienstreise mit einem Urlaub an der amerikanischen Ostküste. Hier sahen mein Bruder und ich zum ersten Mal einen Schwarzen. Ich weiß nicht mehr, ob Brüderchen es war oder ich, einer von uns beiden rief jedenfalls morgens am Hotel-Frühstückstisch laut: Oh, schaut mal, ein Schokomann! Natürlich durfte auch der ausgestreckte Finger nicht fehlen.
Unsere Eltern müssen sich in Grund und Boden geschämt haben, das wurde mir ein paar Jahre später klar – aber erst über drei Jahrzehnte später frage ich mich, was der Schwarze wohl fühlte. Ich relativierte das für mich immer, ach, er fand es bestimmt lustig, als Schokomann bezeichnet zu werden, schließlich ist er ja schwarz und deswegen ist er es bestimmt gewöhnt.
Genau das ist aber das Problem. Für uns Weiße ist „Weißsein“ nichts, mit dem man sich beschäftigt. Wir haben Haut, wie jeder Mensch, und die Haut ist „hautfarben“. Eine dunklere Hautfarbe ist offenbar nicht „hautfarben“. Das eine ist Haut, das andere ist „schwarze Haut“, eine Haut, die man näher beschreiben muss, denn es ist ja nicht die normale Haut. Alles, was von „normal“ abweicht, ist anders: Eine Kuriosität, jemand, auf den Kinder (die es nicht anders wissen) mit dem Finger zeigen.
Niemand hat dabei irgendwas böse gemeint (wir waren versessen auf Schokoloade), aber „nicht böse meinen“ muss nicht bedeuten, dass es nicht böse ankommt. Kaum jemand möchte, dass in der Öffentlichkeit mit dem Finger auf einen gezeigt wird. Das Problem ist, dass wir nie einen Schwarzen gesehen hatten und nicht wussten, dass es sowas gibt. Wir dachten: Es gibt nur weiße Menschen. Bzw. nur eine Art von Menschen, und die ist eben so wie wir.
Auf Twitter lese ich, wie Frauen mit Afro-Frisur schreiben, dass ihnen ungefragt Weiße ins Haar greifen und die Locken springen lassen. Würden die, die das machen, fremden Weißen ins Haar fassen? Ich glaube nicht. Ob ungefragt oder auch gefragt: Wer so etwas tut und Zustimmung erwartet, muss eine grundlegende Auffassung davon haben, dass die begrapschte Person of Color doch sicher „die Neugierde verstehen“ kann, wo sie ja schließlich so anders ist. So wie ich dachte, dass der Schwarze das mit dem Schokomann lustig oder zumindest ok fand.
„Woher kommst du eigentlich?“
Apropos Neugierde. Bis vor wenigen Jahren fand ich es auch völlig daneben zu hören, dass Persons of Color sich darüber beschweren, immer wieder gefragt zu werden, von wo sie denn kommen. „Das soll schon Rassismus sein?“ fragte ich. „Das ist doch nur Neugierde und gar nicht böse gemeint!“.
Und nein, es ist nicht böse gemeint, es ist neugierig. Vielleicht kann man sich mit der Person dann über die Kultur ihrer Heimat unterhalten – ein Gesprächsthema. Aber was, wenn die Person in Deutschland geboren wurde und keine Bindung zum Land ihrer Vorfahren hat? Und es nicht mag, immer wieder darauf angesprochen zu werden? Denn es hat mit ihr als Person ja nichts zu tun. Sie wird auf ihre Hautfarbe und Herkunft reduziert. Wieso soll man denn immer Hintergrundwissen von dem Ort parat haben, von dem die Vorfahren kamen?
Erst nach und nach habe ich verstanden, dass diese Frage sehr schmerzlich sein kann. Wer sein Leben lang in Deutschland lebt, sich als Deutscher fühlt und deutsche Steuern zahlt, dem wird sein „Deutschsein“ mit dieser einen Frage einfach abgesprochen. „Du bist ja offenbar nicht von hier“, sagt diese Frage. „Von wo denn dann?“. Und das vielleicht noch getoppt von der gut gemeinten Einleitung „Mensch, du kannst ja gut Deutsch!“ Das ist Ausgrenzung per se.
Trotzdem ertappe ich mich immer wieder, ungewollt genau diese Fragen und Feststellungen zu denken. Sehe ich in öffentlichen Verkehrsmitteln ohne jeglichen Kontext eine Person of Color, denke ich erstmal, „der ist nicht von hier“ – vielleicht ein Student, ein Tourist oder ein Flüchtling. Ich bin dann meistens milde überrascht, wenn ich höre, dass diese Person Deutsch auf Muttersprachenniveau spricht. Vor einigen Monaten sah ich in einem auf bayerisch gemachten Restaurant, in dem die Bedienungen Dirndl und Lederhosen tragen, eine dunkelhäutige Bedienung, und mein erster Gedanke war „na das passt jetzt aber gar nicht“.
Kleine Anekdote: Und das ist auch jetzt noch so, NACHDEM ich die letzten beiden Absätze geschrieben habe. Kürzlich an der Kasse: Vor mir ein südländisch aussehender Mann. Normalerweise hätte ich ihn nicht beachtet, aber diesmal sah ich ihn an, fragte mich, ob er auch schon von Rassismus betroffen war – und stellte fest, dass er „ja gut Deutsch kann, vermutlich ist er schon länger hier“, als er mit der Kassiererin sprach. Er machte einen kleinen Witz und ich lachte laut auf – zu laut. Ich wollte eigentlich damit ein positives Signal vermitteln, indem ich über den Witz lachte, hatte aber kurz darauf das Gefühl, dass der Mann vielleicht das Gefühl hatte, dass ich ihn auslache. Bin komplett verunsichert jetzt!
Später war ich von mir selbst schockiert, als ich mir bewusst machte, wie schlimm es sein muss, in der Heimat immer wieder als Fremder betrachtet zu werden. Ich versuche, daran zu arbeiten, aber es fällt schwer, das Denkmuster „dunklere Haut = ist nicht von hier“ abzulegen. Es ist kein bewusster Gedanke, sondern eine „falsche Gewissheit“, die einfach da ist. Diese falsche Gewissheit, diese Projektion, bringt so viele Folgerungen mit sich, die dann schließlich dazu führen, dass ein weißer Bewerber einem schwarzen Bewerber vorgezogen wird, selbst, wenn der vielleicht besser qualifiziert ist. Und das vielleicht sogar völlig unbewusst.
Vielleicht genauso schlimm (ich kann hier an dieser Stelle aus meiner Sicht keine Hierarchie des Schlimm-Seins bilden) ist, wenn Weiße sich nicht nur unbewusst rassistisch verhalten, sondern auch noch abstreiten, dass es Rassismus „hier bei uns“ gibt. Das Anliegen als übertrieben abtun. „Nun habt euch doch nicht so! Ist doch nicht so schlimm, ihr bildet euch da was ein.“ – Hier wieder die Parallele zum Sexismus, „nun hab dich doch nicht so, nur wegen dem kleinen Tätschler, Schätzchen“. Wer nicht selbst betroffen ist, KANN es ja nicht so schlimm finden.
Das sieht auch Friedrich Merz so, mein Anti-Kanzlerkandidaten-Favorit. Er sagt, in Deutschland gäbe es kein solches Rassismusproblem wie in den USA, und auch bei der Polizei gäbe es keinen latenten Rassismus. Letzteres ist interessant, so hatte er vor ziemlich genau einem Jahr noch gesagt, dass „wir Teile der Bundespolizei an die AFD verlieren“. Und die steht offen für Fremdenfeindlichkeit.
Dass er als ein alter, weißer, reicher Mann in Machtposition kein Rassismusproblem sieht, kann ich mir allerdings gut vorstellen. Er fand ja auch Mitte der 90er, dass Vergewaltigung in der Ehe kein Straftatbestand sein sollte. Offenbar sieht er Probleme einfach nicht.
Und wie geht es jetzt weiter?
Ich hoffe für mich, dass ich es hinbekomme, die „dunkelhäutig = nicht von hier“-Assoziation abzulegen. Diese Assoziation war ansich nichts Schlimmes (fand ICH jedenfalls..), aber sie war eben da, und sie war in vielen Fällen falsch. Davon möchte ich mich lösen, und ich hoffe, dass mir das gelingt.
Wie es gesellschaftlich weitergeht, mag ich mir kaum vorzustellen. Wer heute für Black Lives Matter auf die Straße geht, der ist vermutlich sowieso schon sensibilisiert. Und wer an die arische deutsche Rasse glaubt und aussagt, dass schwarze Menschen keine echten Deutschen sein können (habe kürzlich auf Twitter so jemanden gesehen), der wird sich davon nicht beeinflussen lassen und seinem Nachwuchs seine rassistischen Werte vermitteln. – Ein Teufelskreis.
Aber ich kann mir vorstellen, dass ein langsames Umdenken stattfindet, und vielleicht gibt es irgendwann keine Kinder mehr, die überrascht auf einen Menschen mit schwarzer Haut zeigen. Weil sie vielleicht auch mit schwarzen Puppen spielen oder schwarze Kinder in Büchern sehen – wenn es sie schon nicht im Kindergarten gibt.
Jetzt, 2020, sollten wir wirklich fortgeschritten genug sein und irgendwelche längst überkommenen Rassentheorien ablegen. Wir sind eine globalisierte Welt, alle Regionen der Erde sind mit dem Flugzeug in nur wenigen Stunden erreichbar – die Idee, dass hier nur weiße Menschen leben und dort, gaaaaannnz woanders, nur Schwarze, muss aus unsere Köpfen verschwinden. Homo sapiens ist Homo sapiens, egal, wie groß, klein, dick, dünn, welche Haar- oder Hautfarbe! Aber das muss uns auch unterbewusst klar werden. Die Hautfarbe darf keine größere Rolle mehr spielen als die Haarfarbe.
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