Es gibt sie noch, die klassischen Spieleentwickler, die ganz allein am heimischen Rechner ein Spiel zusammenprogrammieren. Aus Spaß an der Freude. Genau so entstand „Before we leave“. Auf einmal fanden’s Bekannte und Verwandte auch gut, auf einmal überlegt man sich, das Spiel wirklich auf den Markt zu bringen. Auf einmal kündigt man seinen Job und entwickelt in Vollzeit am Hobbyprojekt weiter, stellt noch ein paar Leute ein und dann ist der kleine Titel ab dem 8. Mai 2020 auf einmal exklusiv im Epic Games Store als Early Access-Version zu haben.
Das ist im Zeitraffer die Geschichte hinter dem Siedler-Civilization-Konglomerat Before we leave. Der namenlose Entwickler aus Down Under – ich hab auf seiner Website einfach keine Info zur Person gefunden – hat diese Geschichte in seinem Blog festgehalten. Dort könnt ihr das alles nachlesen und euch auch ganz frühe Screenshots aus 2017 anschauen, die mit der heutigen Optik des Spiels kaum noch etwas gemeinsam haben. Ist jedenfalls sehr interessant, mal nicht nur das (fast) fertige Spiel zu sehen, sondern auch die Entwicklung verfolgen zu können!
Aber kommen wir jetzt mal zum Spiel. Ich habe einfach mal nach einem Review Key gefragt und tatsächlich auch einen bekommen, so dass ich Before we leave schon anspielen konnte. Meine Gehversuche habe ich aufgenommen und als siebenteilige Mini-Serie auf YouTube hochgeladen. Hier geht es los.
Was gibt es in Before we leave?
Irgendwo im Blog gibt der Entwickler an, dass sein Spiel von Die Siedler und Civilization inspiriert ist. Und das sieht man auch auf den ersten Blick. Allerdings hätte ich zuvor nicht gedacht, dass man die beiden Spiele irgendwie vermischen kann. Beides sind Aufbauspiele, aber ihr Fokus liegt völlig anders:
- In rundenbasierten Civilization spielt ihr eure eigene Version der Weltgeschichte nach und errichtet im Optimalfall ein weltumspannendes Imperium. Der Globus ist in sechseckige Felder unterteilt, die ihr in Before we leave sofort wiedererkennt
- Die Siedler findet dagegen in Echtzeit statt und der Fokus liegt auf einer kleinen Region, in der ihr eure Siedlung errichtet, Produktionsgebäude baut und dann euren Siedlern zuschauen könnt, wie sie Ressourcen und Produkte durch die Gegend transportieren (ähnlich wie zB. in Foundation)
Wie kann man das nun zusammenbringen? Before we leave nimmt „Die Siedler“ und setzt sie auf eine deutlich verkleinerte „Civilization“-Welt. Und zwar nicht nur als verkleinerte Karte, sondern wirklich auf einen Planeten, der im All schwebt. Inklusive Tag-Nacht-Zyklus und Wolken um den Planeten herum!
Diesen Planeten müssen wir aber erstmal entdecken. Zu Beginn sehen wir erstmal nur unseren eigenen Kontinent auf dem Planeten. Wie in Civilization gibt es einen Forschungsbaum, und sobald wir die entsprechende Forschung haben, können wir mit einem kleinen Kolonieschiff in See stechen, um die Weltmeere zu erkunden. Dabei stoßen wir dann auf andere Kontinente mit anderen Biomen, wo wir eine Kolonie errichten können.
Das mit der Kolonie wiederum funktioniert dann wie in Anno: Pro Insel gibt es ein Kontor, das als Hafen und Lagerhaus dient. Dorthin geschickt, könnt ihr euer Schiff be- und entladen und dann weitersegeln. Es gibt auch Transportrouten, für die ihr einfach zwei Kontore miteinander verbindet. Dann schippern die Kähne von allein umher und nehmen selbstständig das mit, was ihr ihnen zuvor auf die Liste geschrieben habt.
Später könnt ihr auch Raumfahrt erforschen und dann mittels einer Kolonisierungsrakete zu neuen Planeten aufbrechen.
Worin sich Before we leave deutlich von den Vorbildern abhebt, ist die völlige Gewaltlosigkeit. Es gibt keine Konkurrenten, also andere Völker, die euch bedrohen könnten. Ihr könnt also in Ruhe und Frieden eure Planeten besiedeln. Allerdings soll es Weltraumwale geben, vor denen sich der Spieler hüten sollte :D
Zu guter letzt dürft ihr euch auch mit Umweltverschmutzung und unglücklichen oder erschöpften Pöppels herumschlagen. Geht es den Pöppels nicht gut, zuckeln sie nur noch langsam herum, während alle anderen an ihnen vorbeiflitzen. Gegen verschmutzte Landschaften hilft ein spezielles Gebäude, in dem Besen und Eimer darauf warten, zum Einsatz zu kommen.
Was ist die Hintergrundstory von Before we leave?
Die Story war bis zum Release sehr rudimentär, aber vielleicht tut sich daran noch etwas. Wie in Civilization fangen wir ganz klein an, nämlich mit einem Aufzugschacht ins Innere des Planeten. Dort haben unsere Pöppels (Übersetzung für „Peeps“, also Leute ^^) für viele Jahrhunderte gelebt, bevor sie sich, warum auch immer, in den schützenden Untergrund begeben haben.
Zu Beginn des Spiels kommen sie erstmals wieder heraus und finden noch ein paar Ruinen von Bauwerken ihrer Vorfahren vor. Das alles erklärt, warum wir nicht, wie in Civilization, irgendwann im Jahr 4000 v.Chr. beginnen und dann ganz langsam erstmal Lesen und Schreiben lernen müssen. Andererseits haben wir auch nicht, wie in Siedler, schon alles parat, sondern müssen erstmal die Hinterlassenschaften der Ahnen erforschen, um das Wissen um den Bau von Kraftwerken, Raumschiffen usw. aufzufrischen.
Auf was sich „before we leave“, also „bevor wir weggehen“, bezieht, ist mir auch nicht ganz klar. Klar, wir verlassen den Planeten irgendwann – aber wir lassen ihn nicht zurück, sondern erweitern unsere Kolonie um eine interplanetare Variante.
Wow, ist das liebevoll!
Man merkt von der ersten Minute an, wie viel Liebe fürs Detail in Before we leave steckt. Dazu müssen wir nicht mal auch nur ein einziges Gebäude gebaut haben. Wenn die Sonne langsam aufgeht und die Sonnenstrahlen durch die Wolken brechen, ist das einfach unheimlich schön.
Die Grafik muss sich allgemein nicht verstecken. Ja, sie ist etwas einfacher als Siedler heutzutage, aber trotzdem kommt sie sehr detailliert und gut animiert daher. Wir haben da zum Beispiel einen kleinen hölzernen Aufzug, der die Pöppels von der grasigen Ebene höher hinauf ins Gebirge befördert. Ton und Animation passen perfekt zusammen, wenn ein Pöppel den Aufzug betritt und eine Seilwinde über dem Aufzug die Kabine nach oben zieht.
Aus den Schornsteinen dringt Rauch und nachts fällt Licht aus den Türöffnungen, wenn ein Pöppel sein Haus verlässt oder betritt.
Und apropos Pöppel: Das kleine Studio hat irgendwann später jede Menge kleine Mini-Biographien erstellt. Jeder Pöppel hat einen Namen, und klickt ihr einen an, seht ihr so einen kleinen Satz wie „Kleidet sich schick, kann sich selbst versorgen und ist einfach adrett“. Ich habe bisher keine Dopplungen bemerkt, und allein das Lesen der Beschreibungen bringt mich immer wieder zum Schmunzeln. Meistens sind das absolute Unsinn-Sätze, wie „Gibt an, 1,78 Meter groß zu sein, ist aber nur 1,77 Meter groß“ oder „Weiß genau, wie viele Fische Fischers Fritz gefischt hat“.
Die Pöppel selbst sind nicht viel mehr als kleine Brettspielfiguren. Aus der Ferne (mehrere Meter über dem Boden) sehen wir unterschiedliche Frisuren, Haarfarben und Kleidung. Bei manchen Pöppels ist ein Zylinder und ein dicker Schnurrbart zu sehen. Auch hier wieder: Liebevolle Details!
Auch die akustische Untermalung kann sich hören lassen. Wo was los ist, gibt es Geräusche. Ganz wie in Siedler wird gesägt, gehämmert, geblubbert, gelodert und noch viel mehr. Und zwar je deutlicher, je näher ihr euch dem Geschehen nähert – wenn ihr euren Planeten aus der Entfernung betrachtet, hört ihr dagegen eine Art „Hintergrundrauschen“ des Universums und seht dazu auch von Sternen beleuchtete Staubnebel in den Weiten des Alls.
Gelegentlich setzt im Spiel auch eine gut passende, entspannende Hintergrundmusik ein – und auch das war es noch nicht. Ein Highlight ist für mich die Gute-Laune-Musik eurer Pöppels. Sind die nämlich gut drauf, spielen sie in ihren Häusern irische Folklore-Musik – das hören wir nicht nur, sondern wir sehen über dem Haus auch Noten herumfliegen. Das Gleiche auch bei Schiffen, die dann eine Fahne aus Noten hinter sich herziehen. So niedlich! Da kamen mir sofort fröhliche Seeleute in den Sinn, die gut gelaunt über die Meere schippern.
Der Early Access-Status des Spiels
Das klingt alles schon sehr gut. Nach meinen ersten rund zehn Stunden Spielzeit war mir noch nicht klar, was hier für die Langzeit-Spielmotivation sorgen könnte. Forschungen gehen sehr schnell und in kürzester Zeit entdecken wir Strom und können unseren Planeten vollständig entdecken. Mir ging das deutlich zu schnell.
Sehr groß sind die Kontinente nicht, ihr könnt da also keine Mega-Städte errichten. Im Gegenteil, der Platz wird relativ schnell eng. Das liegt auch daran, dass jedes Gebäude, auch Kartoffelfelder und Gemüsegärten, an einer Straße gebaut werden muss, und eine Straße nimmt ein ganzes Sechseckfeld ein. So ist es gar nicht so einfach, überhaupt einen dicht besiedelten Ortskern zu bekommen. Oder eher unmöglich. Gerade in eurer Ortsmitte werden am Ende am wenigsten Häuser stehen, weil sich hier so viele Straßen kreuzen.
Ich kann nicht genau den Finger drauf legen, was genau mich gestört hat, aber ich habe mich die ganze Zeit etwas getrieben gefühlt. Ich folgte dem einführenden Tutorial, und das sagte eben: Baue zwei Gebäude hiervon, repariere das da, entdecke eine neue Insel. Das waren die Ziele, die ich schnellstmöglich erreichen wollte. Und sie sind auch schnell zu erreichen – schwups, steht ihr auf einer neuen Insel und baut dort genau wie auf der ersten Insel Erze ab.
Das Problem ist also eigentlich, dass alles zu schnell geht. Das Spiel soll ermöglichen, entspannt und gewaltfrei zu siedeln – aber von entspannt kann keine Rede sein, wenn uns schnell alles vor die Füße fällt und es gar nicht notwendig ist, viel Zeit auf der ersten Insel zu verbringen. Schnell wird die erste Insel „zu dieser einen Insel da“, wo ich schnell immer neue Werkzeuge abholen kann.
Das Spiel läuft einfach zu schnell ab und es fehlt die Motivation, „entspannt zu siedeln“. Warum soll ich mich um meine erste Stadt kümmern, wenn ich doch mehrere Städte habe und wenn ich die benötigten Gebäude einfach nur an eine Straße knallen muss. Und ja, ich habe in normaler Geschwindigkeit gespielt, wir können das Spiel auch doppelt oder vierfach so schnell ablaufen lassen.
Es fehlt einfach das Gefühl, eine Verbundenheit zur Stadt aufzubauen und ihr freudig beim Wachsen zuzuschauen, wie etwa in Foundation. Oder in Siedler natürlich, wo wir Ewigkeiten damit zubringen können, den Siedlern zuzusehen.
Mal sehen, wohin die Reise geht…
Für Early Access sieht „Before we leave“ schon richtig gut aus. Es gibt viel zu entdecken und Interface, Animationen und Grafik müssen sich nicht vor größeren, teureren Titeln verstecken. Vor dem Hintergrund des kleinen Entwickler-Teams sieht das Interface, also die Fenster zur Bedienung und Info-Icons, überirdisch gut aus.
Im Vergleich zu Industries of Titan, das sich ebenfalls seit kurzem im Early Access befindet, gibt es auch schon sehr viel Content.
Mein Fazit zu Before we leave sieht so aus: Das Spiel macht kaum den Eindruck, erst Early Access-Status zu haben. Ihr bekommt ein gut abgerundetes Spiel und steht nicht, wie im erwähnten Industries of Titan nach kurzer Zeit schon an der „Content-Grenze“, wo euch nur eine Roadmap auf zukünftige Inhalte vertröstet.
Ich wünsche Before we leave alles Gute, es ist aufgrund der liebevollen Details ein echtes Spiel der Herzen. Dafür hoffe ich, dass der Entwickler und sein Team mit guten Verkaufszahlen belohnt werden, um weiterzumachen. Sollte das Spiel etwas „entzerrt“ werden, so dass wir bspw. mehr mit Ressourcen haushalten müssten oder sonstige strategische Entscheidungsmöglichkeiten hätten (außer, wo man welches Haus platziert), könnte ich mir vorstellen, dass es ein Spiel wird, das man immer mal wieder gern aufmacht.
Ich bedanke mich bei Balancing Monkey Games und beim Epic Games Store für den kostenlosen Review-Key!
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