Details zum Buch
Titel: Der Metropolist – Roman
Autor: Seth Fried
Veröffentlichung: 15. Juli 2019 (englisches Original März 2019)
Seiten: 317
Hast du mal wieder Bock auf eine mit Humor geschriebene und daher erfrischend zu lesende Charakterstory mit Science Fiction-Einflüssen im Abgang und einer leicht gesellschaftskritischen Botschaft? Dann kommt hier das richtige Buch für dich! :D
Es war einmal … ein Terroranschlag
Henry Thompson ist Beamter, wie er im Buche steht (…tut er ja auch … :D). Er arbeitet für das Bundesamt für kommunale Infrastruktur in Suitland, einer Stadt „gleich neben Washington, D.C.“. Straßen, Abwassersysteme, U-Bahn-Taktfrequenzen sowie Regeln, Paragraphen und Bürokratie im Allgemeinen, das sind die Dinge, für die sein Herz schlägt. Und Modelleisenbahnen. Ungefähr so beschreibt man wohl den absolut unspannendsten Sesselhocker.
An dieser Stelle gebe ich allerdings zu, dass ich mich ebenfalls für solche Dinge erwärme, habe ich doch im Studium und auch danach über (historische) Straßen und römische Wasserleitungen geschrieben, und ja, Transport Fever mit seinen Zügen und Taktfrequenzen ist eines meiner Lieblingsaufbauspiele :D Okay, jedenfalls hat Henry, diese Personifikation gelebter Langeweile, von Anfang an meine Sympathie :D
Okay, zurück zu Henry. Henry ist leitender Angestellter bei seinem Verkehrsreferat und er liebt seinen Job. Hier trägt er zur Effizienz der Verkehrsführung und zur Entwicklung seiner Stadt bei, und er übt seine Tätigkeit mit der gesamten Leidenschaft aus, die das Gesetzbuch, Projektfinanzierungen und Arbeitszeitverordnungen hergeben.
Bis seine Welt auf einmal erschüttert wird. Ein Computervirenangriff lässt den Zentralrechner der Behörde, OWEN, kollabieren, und, noch viel schlimmer, die Dienststelle in Metropolis, einer 35-Millionen-Stadt, fliegt in die Luft. Es gab keine Opfer, doch der Dienststellenleiter der dortigen Behörde, Terrence Kirklin, eine Legende der Infrastrukturplanung, ist seitdem zusammen mit der achtzehnjährigen Tochter des Bürgermeisters untergetaucht. Sehr verdächtig, findet auch Henrys Chef. Möglicherweise könnten die Anschläge mit dem Verschwinden Kirklins in Zusammenhang stehen.
Henrys Chef benötigt also jemanden vor Ort in Metropolis. Er wendet sich an Henry, der zwar keine Freunde hat, aber trotzdem alle Mitarbeiter gut kennt. Henry freut sich, dass er jemanden vorschlagen darf – bis ihm klar wird, dass nicht jemand anderes, sondern er selbst den Koffer packen soll. Und nicht nur das – er bekommt auch noch einen unbekannten Partner zur Seite gestellt!
Ein trinkender und rauchender Computer als Partner
Dieser Partner stellt sich als OWEN heraus. Die künstliche Intelligenz, eine Art verbesserte „Alexa“, war bisher für die Organisation aller Vorgänge in der Behörde zuständig. Doch die Technik schreitet voran – in Form einer Krawattennadel lässt sich OWEN am Körper herumtragen. Und diese Krawattennadel kann erstaunliche Dinge tun: Damit projiziert OWEN sich selbst als dreidimensionales Abbild eines Menschen in die Umwelt und ist kaum noch von einem richtigen Menschen zu unterscheiden.
Okay, wie das gehen soll, bleibt etwas undurchsichtig, aber akzeptieren wir das einfach: OWEN ist ein Hochleistungsrechner, den Henry mit sich herumträgt, und der extrem wirklichkeitsgetreu dreidimensionale Bilder erzeugen kann.
Projektionen sind nun nichts Neues im Science-Fiction-Genre, aber die weitere Entwicklung ist ziemlich unterhaltsam! Denn: OWEN ist keine lahme Alexa, sondern er hat ein Persönlichkeits-Upgrade erhalten. Im Gegensatz zu Paragraphen-Henry weiß OWEN die Vorzüge von gepflegtem Regelbruch durchaus zu schätzen.
Außerdem trinkt er gerne. Virtuellen Alkohol natürlich, aber um den Kern der Sache zu treffen, hat er sich einen Patch geschrieben, durch den sich beim Trinken seine Rechenleistung verringert. Warum also nicht mal zusammen mit einer KI saufen gehen und betrunken Gespräche über die Welt führen? :D
Zwei ungleiche Partner ermitteln
Allerdings brauchen die beiden eine Weile, bis sie miteinander warm werden. Denn OWEN hält nicht damit zurück, um welchen gigantischen Faktor höher seine Denkfähigkeit liegt, und Henry hat – natürlich – Probleme mit OWENs Vorgehensweise bei ihren gemeinsamen Ermittlungen, die weit außerhalb seiner eigenen Komfortzone liegt.
Zwar hat OWEN nicht wirklich einen Körper, um sich durchzusetzenn – mit seinen Hologrammen aber kann er viel vorspielen, was es gar nicht gibt. Und das reicht oft schon. Illusionen sind ein mächtiges Instrument der Manipulation! Insbesondere, wenn die Illusion mit Waffen auf dich zielt.
Und es passt Henry nicht, dass OWEN eine Bindung zu ihm aufbauen möchte und ihn immer wieder mit psychologischem Faktenwissen über die menschliche Psyche zutextet. Dass OWEN nicht unfehlbar ist, nimmt Henry aber mit Genugtuung zur Kenntnis:
[Nach einer kleinen Prügelei blutet Henry aus der Nase.] OWEN hielt sich die Hände vor das Gesicht. Die Krawattenklammer auf der Ablage gab ein Surren von sich, und seine Projektion flackerte.
„Ihr seid so … verwundbar. Ich meine, rein intellektuell war mir das bewusst, aber das hier…“
Offenbar hatten die Filme, die er sich mit Klaus [seinem menschlichen Schöpfer zur Formung seiner Persönlichkeit] angesehen hatte, ihn nur auf stilisierte Gewalt vorbereitet. […] Er stand auf und ging durch mich hindurch zur Tür.
„Sieht aus, als hätten Sie alles im Griff“, sagte er. „Wahrscheinlich wäre es das Beste, wenn ich einfach…“
Ehe er den Satz beenden konnte, verwandelte er sich in eine französische Bulldogge und fiel in Ohnmacht.
Die Zunge aus dem Maul hängend, lag er regungslos in seinem Hundekörper da. Über ihm kreiste langsam eine Fehlermeldung in fett gedruckten Buchstaben. Ich beschloss, ihn nicht zu wecken, in der Hoffnung, dass mir dadurch der Rest seines Aufsatzes erspart blieb.
Übrigens muss ich bei dem Ermittlungsduo auch gleich an den Polizisten Elijah Baley und den ihm neu zugeteilten Partner, den Roboter R. Daneel Olivaw, aus Isaac Asimovs Klassiker „Die Stahlhöhlen“ denken. Bis auf die Detektivgeschichte in einer futuristischen Stadt und die Vorbehalte, die die beiden menschlichen Parts ihren „künstlichen“ Partnern zunächst haben, gibt es aber keine Gemeinsamkeiten. Zumal OWEN wiederholt gegen diverse Gesetze der Robotik verstößt :D
OWEN – Hologramme, Hologramme überall!
Die Science Fiction-Komponente des Buches präsentiert sich uns in Form von OWEN. Der scheint einfach alles zu können – außer physisch präsent zu sein. OWEN ist auf der einen Seite natürlich ein Supercomputer mit Zugriff auf im Grunde alles – beispielsweise Satellitendaten, Ampelsteuerungen und Gebäudepläne.
Auf der anderen Seite kann er problemlos glaubhaft mehrere Menschen oder wahlweise Fantasiemonster in die Umgebung projizieren, Lichteffekte und Geräusche dazu anpassen – und alle Menschen denken, sie sehen die Realität. Aber nicht nur das – er projiziert auch mal einfach andere Kleidung über Henrys Körper oder legt ein anderes Aussehen drüber. Und das so echt, dass Passanten es nicht bemerken.
OWEN ist somit also eigentlich ein verdammt fähiger Magier. Kurzzeitig habe ich mich gefragt, ob ich darüber nachdenken soll, wie unrealistisch sowas ist. Aber ich habe es gelassen und die Geschichte einfach akzeptiert. So macht das Lesen mehr Spaß :D Und nicht zu vergessen: OWEN hat auch eine Persönlichkeit und eine Art freien Willen. Ein leicht durchgeknallter Computer mit freiem Willen und nicht unbedingt erlesenem Geschmack – aber trotzdem legt er Wert auf Anstand. Das ist echt niedlich.
Was OWEN nicht kann, ist, tatsächlich physisch anwesend zu sein. Zwar hält er mit seinen Hologrammen mehrere Gegner im Schach, so dass Henry sich davonschleichen kann – aber eigentlich ist Henry ganz allein vor Ort präsent.
Der Metropolist ist Henrys Geschichte
Obwohl OWEN die Attraktion des Duos ist, lesen wir in Der Metropolist Henrys Geschichte. Seth Fried schreibt das Buch aus Henrys Ich-Perspektive. Als Ich-Erzähler ist es nicht so einfach, sich selbst so zu beschreiben, dass sich der Leser nicht über das viele „ich“ langweilt und sich dabei auch noch ein Bild von der Figur machen kann. Aber Seth Fried gelingt das.
Er schafft es beispielsweise immer wieder, Henrys Faszination für Aspekte der Infrastruktur verständlich darzustellen. Er stellt ihn also nicht als „freudlosen Langweiler“ dar, der er eben ist – das würde sich auch mit der Ich-Perspektive nicht vertragen. Wer hält sich selbst schon für schrecklich langweilig ^^ Sondern er geht auch ein wenig in die Tiefe und zeigt, WARUM Henry eben so ist, wie er ist, und das auch nicht langweilig findet.
Als er [ein Mitarbeiter von Henry, den er in sein Büro bestellt hat] einen kurzen Blick auf die Modelllokomotive auf meinem Schreibtisch warf, hoffte ich einen Moment lang, er werde vielleicht lächeln. Neben meinem Namensschild hatte ich die Nachbildung einer achtachsigen C8 Manley & Wrexler im Maßstab 1 : 64 gestellt. In unserer Behörde eilte mir der Ruf einer gewissen Freudlosigkeit voraus, deshalb hatte ich das Modell von zu Hause mitgebracht, um meinen Arbeitsplatz etwas lockerer zu gestalten. Es entstammte einer Serie von Sammlerstücken namens „Lokomotiven von gestern“, die klassische Zugmaschinen bis ins kleinste Detail nachbildete. Eigentlich richtete sich die Reihe an ein älteres Publikum, aber ich war zweiunddreißig und besaß mehr als zwei Dutzend von diesen Modellen. Mir gefiel die schmucke kleine Lok auf meinem Schreibtisch, und die C8 hatte, solange sie im Einsatz war, nie einen Unfall gehabt. Es war also auch ein Element von Inspiration enthalten. Dennoch verzog Marcuzzi das Gesicht, als er sie bemerkte.
Henry über seine Interessen, wegen der er von den meisten Kollegen für verschroben gehalten wird
Pulp Fiction meets Science Fiction!
Das steht so auf dem Buchrücken. Vor dem Lesen fragte ich mich, was das Buch wohl mit dem Tarantino-Filmklassiker Pulp Fiction zu tun hat – und ob ich diesen Zusammenhang überhaupt erkenne. Und ja, ich denke, ich habs rausgefunden :D Es sind diese skurrilen WTF-Szenen. Einmal treibt OWEN Henry mit seinen Abhandlungen darüber, wie man respektvoll diskutiert und Kompromisse schließt in den Wahnsinn, während die beiden einen gefangenen Gangster im Autokofferraum haben.
Das erinnert einfach an das Killer-Duo Vincent Vega (John Travolta) und Jules Winnfield (Samuel L. Jackson), die gerade versehentlich jemanden auf der Autorückbank erschossen haben. Nun bekommen sie Hilfe von einem „Cleaner“, der die Leiche beseitigt – und Vincent beschwert sich darüber, dass der nicht „bitte“ sagt, als er ihnen dabei Anweisungen gibt.
Pulp Fiction ist voll mit diesen Situationen – genau wie Der Metropolist. Es sind diese ernsthaften Dialoge der beiden Protagonisten – naja, und auch OWENs Verhalten, während sie in Metropolis Terroristen jagen, die die Situationen irgendwie so irre machen. Vor allem in der ersten Hälfte wirkt jede Seite wie ein neues Theaterstück, bei dem man sich fragt, was als nächstes Merkwürdiges passiert :D
Toller Schreibstil und tolle Figuren
Der Metropolist liest sich so gut, weil es so gut geschrieben ist. Es sind gerade die Details, die den nüchternen Sätzen so viel Würze verleihen. Und die beiden Charaktere passen so wunderbar schlecht zusammen, dass es einfach Spaß macht, ihre Interaktion zu verfolgen.
Wir haben die völlig durchgeknallte KI OWEN, die sich gern komplett unpassend „anzieht“, sich auf dem Beifahrersitz gentleman-like einen virtuellen Whisky ins virtuelle Glas gießt und Gangster mit einem virtuellen Samurai-Schwert bedroht.
Und auf der anderen Seite Henry, der grundlegend anständig ist, Regelbrüche hasst und am Liebsten am Schreibtisch sitzt. Wie die beiden sich zusammenraufen, und welche Hürden es dabei gibt, ist wirklich herrlich zu verfolgen.
Die Geschichte könnte in schlichten Sätzen und ohne Ausschmückungen auch viel schneller erzählt sein – genau wie auch Pulp Fiction, wenn Tarantino die vielen überflüssigen Dialoge weggelassen hätte. Aber dann würde ihr das Fehlen, was sie eigentlich ausmacht: Die vielen WTF-Momente, in denen man einfach mal loslachen muss.
Relativ triviale Geschichte, serviert als Leckerbissen
Die Story selbst finde ich nicht so mitreißend. „Der Metropolist“ ist eine wortgewandte Lesespaß-Reise, in der die eigentliche Geschichte ein wenig in den Hintergrund tritt, bzw. auch treten darf. Eigentlich ist ja auch Pulp Fiction nichts anderes als eine Charakterstudie (mit unkonventioneller Chronologie :D).
Der umgekehrte Fall – ein eigentlich interessanter Story-Ansatz, der leider völlig emotionslos und ohne echte Einbeziehung der Figuren ausgebreitet wird, stört mich deutlich mehr.
Übrigens habe ich bis zum Schluss nicht wirklich verstanden, was die Stadt „Metropolis“ genau sein soll. Steht diese Stadt für eine andere, reale amerikanische Stadt? Oder soll es in der Welt der Geschichte irgendein Modellprojekt sein? Ich bin mir nicht mehr sicher, aber im Buch wird es glaube ich nicht wirklich erwähnt – Fried geht nur darauf ein, wie modern die Stadt ist und wie gut die Infrastruktur für die größtenteils recht gut betuchten Bewohner funktioniert. Nunja, davon bemerkt der Leser allerdings nicht.
Genauso unklar ist mir, wer „der Metropolist“ überhaupt sein soll, und warum. Ist es Henry, weil er sich so für seine Stadt (eigentlich Suitland, nicht Metropolis) einsetzt? Oder Kirklin, der Metropolis zu einer so gut funktionierenden Stadt gemacht hat?
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Ein paar gesellschaftskritische Aspekte dürfen in Seth Frieds „Der Metropolist“ auch nicht fehlen. Wir lernen Henry als jemanden kennen, der die Regeln befolgt und sie grundsätzlich für gut und richtig hält. Auf der anderen Seite gibt es aber Terroristen, die sich diesen Regeln entgegenstellen und sie abschaffen wollen. Das allein reicht Henry zunächst, um selbst zum Regelbrecher zu werden, um die Terroristen dingfest zu machen.
Im Laufe des Buches erfahren wir aber mehr von den Motiven der Terroristen und fragen uns verwundert – haben die nicht eigentlich Recht? Und sind die Regeln und Gesetze nicht eigentlich schrecklich unfair? Deswegen ist es spannend zu verfolgen, ob Henry weiterhin den geschriebenen Regeln folgt wie eine Eisenbahn ihren Gleisen – oder ob er seine Haltung überdenkt und seine eigenen Schlüsse zieht.
Der Metropolist – Wertung
„Der Metropolist“ eignet sich perfekt als Urlaubslektüre oder für unterwegs: Es ist ein garantiert skurriler und herrlich liebenswürdiger Lesespaß, der sich super für zwischendurch eignet. Obwohl die Story selbst wenig zu bieten hat, lässt Fried aber doch ein paar ernste Töne anklingen.
Schnell steht fest: Eigentlich ist das Buch zu kurz, ich hätte gern mehr davon gehabt!
» So funktioniert die Buchbewertung
Ich bedanke mich bei der Randomhouse-Verlagsgruppe, die mir das Buch zur Rezension überließ. Meine Meinung zum Buch wurde nicht durch das geschenkte Exemplar beeinflusst!
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