Details zum Buch
Titel: Unser Hof in der Bretagne
Untertitel: Neuanfang zwischen Beeten, Bienen und Bretonen
Autor: Regine Rompa
Veröffentlichung: 16. April 2019
Seiten: 254
Normalerweise lese ich eher selten Lifestyle- bzw. „Meine Geschichte“-Bücher, aber dieses Buch wollte glaube ich zu mir kommen :D Ich habe es gesehen, ein bisschen reingeblättert und es hat mich sofort angesprochen. Der Untertitel lautet „Neuanfang zwischen Beeten, Bienen und Bretonen“ – und weil ich gerade selbst mein Leben auf den Kopf gestellt hatte, war es war genau dieses Wort „Neuanfang„, das mich so neugierig machte.
Warum diese Sehnsucht nach einem Neuanfang?
Im ersten Kapitel, „Ausbruch aus dem alten Leben“, berichtet Autorin Regine Rompa, wie ich Jahrgang 1981, warum sie einen Neuanfang brauchte. Im Grunde genommen las ich hier nochmal nach, warum ich selbst wenige Tage zuvor gekündigt hatte: Der Job – sie war stellvertretende Chefredakteurin in Berlin – beginnt das Leben komplett zu vereinnahmen.
Rompa beschreibt, wie sie jeden Tag für die Arbeit lebte. Sie bekam zwar gutes Geld, aber nach der Arbeit war sie meistens zu müde für irgendwas anderes oder bestellte sich einfach neue Sachen im Internet. Aber eigentlich fühlte sie eine innerliche Leere, eine latente Unzufriedenheit, ein Gefühl, nichts Sinnvolles zu machen. Ohja, das kannte ich auch.
Und eines Tages, Ende 2016, sprach sie sich mit ihrem Lebenspartner Anton – der genau das gleiche dachte. Und da diese Worte jetzt ausgesprochen waren, beschlossen Regine und Anton, dass daraus nun auch Taten folgen müssen. Denn sonst würden sie wieder in die Lethargie zurückgleiten.
Auch dieses Gefühl kenne ich. Nicht immer ist die grundsätzliche Unzufriedenheit auch spürbar – oft ist das Leben und die Arbeit auch „ganz ok“ und man macht sie eben. Auch, wenn man genau weiß, dass man es eiiigentlich gar nicht möchte, aber .. es gibt eben Geld und Veränderung ist auch anstrengend.. Genau das wollten Regine und Anton verhindern, und deswegen zogen sie konsequent einen Schlussstrich unter ihr altes Leben.
Die beiden kündigten von einem Tag auf den anderen und beschlossen, dass sie raus mussten aus Berlin. Diese ersten Seiten sagten also zu mir: „Du bist nicht allein, sieh nur! Mir ging es genau so! Und ich habe es geschafft, ein anderes Leben zu beginnen!“ Klar, dass ich dieses Buch sofort haben musste.
Wie möchte man sein Leben verbringen?
Rompa nimmt den Leser nun mit auf ihre Reise in ein neues Leben. Sie berichtet darüber, wie unvernünftig es ist, einfach so alle Zelte abzubrechen, ohne einen Plan zu haben, wie es weitergeht. Aber: „Vernünftig ist wie tot, nur vorher“ – warum mit dem Traum bis „irgendwann später“ oder bis zur Rente warten, wenn man gar nicht weiß, was dann ist?
Die beiden verkauften ihre Wohnung in Berlin und mieteten erstmal einen Wohnwagen, mit dem sie mit Hund Twix erstmal herumfuhren, bis sich ein neuer Plan ergeben würde. Okay, das klingt jetzt unvernünftiger als es wirklich war: Die beiden hatten sowieso schon immer auch selbstständig als freie Autorin und Programmierer gearbeitet – darauf konnten sie nun aufbauen. Diese Voraussetzungen hat natürlich auch nicht jeder.
Wer aussteigt, bringt sich in eine Situation, in der er sich nicht mehr wie gewohnt an Bekanntem und Bekannten orientieren kann. Gleichzeitig birgt das aber auch die Freiheit, den eigenen Weg zu gehen. Natürlich macht man dabei auch Fehler oder scheitert sogar. Das ist riskant. Aber wechseln wir einmal die Perspektive: Ist es nicht auch ein Risiko, auf diese Freiheit zu verzichten? Für Anton und mich besteht diese Freiheit darin, ein Leben zu führen, das anderen Menschen, unserer Umwelt und den Tieren möglichst wenig schadet und möglichst viel hilft.
Unser Hof in der Bretagne, von Regine Rompa, Nachwort
Dann schritt Väterchen Zufall ein: Im Winter wurde es im Wohnmobil in Süddeutschland einfach zu kalt. Die beiden nahmen mit ihrem Straßenkreuzer Kurs auf die Bretagne, wo die Temperaturen laut Internet erträglicher waren. Dort landeten sie dann … und sahen, dass quasi am Ende der Welt in einem winzigen Dorf ohne Müllabfuhr und Straßenbeleuchtung ein kleines Haus mit 13.000 m² Land inkl. Wald zum Verkauf stand. Für wenig Geld. Und sie schlugen zu.
Entschleunigen auf dem Land
Ab dem vierten Kapitel können wir Regine und Anton dabei über die Schulter schauen, wie sie ihre ersten Schritte im neuen Leben wagten, ohne französisch zu können oder Ahnung von Gärtnerei und Landwirtschaft zu haben. Wie sie einfach anfingen, Beete anzulegen und Gemüse einsäten. Welche Erfahrungen sie als Fremde mit den Franzosen auf dem Land machten und dabei erstmal die Sprache lernen mussten. Welche Rückschläge sie hinnehmen mussten. Wie schön es ist, nach wenigen Monaten im Wortsinne die Früchte ihrer Arbeit zu ernten.
Regine und Anton richteten auf ihrem Land ein Wildtierschutzgebiet ein, in dem Jäger nicht mehr jagen dürfen, und sie gaben ehemaligen Legehennen aus einem Massentierhaltungsstall ein neues Zuhause (sowas gibt’s in Deutschland auch: Rettet das Huhn e.V. – irgendwann würde ich auch gern ein paar Hühner retten <3).
Trotz aller Schwierigkeiten, die dabei erstmal auf einen zukommen, klingt das neue Leben von Regine und Anton einfach traumhaft! Sie verrichten keine abstrakte Arbeit nur für den Gehaltsscheck, sondern erarbeiten mit den eigenen Händen genau das, was sie brauchen. Im eigenen Rhythmus, selbstbestimmt und ohne weiter viel zu viel und sinnlos einfach nur zu konsumieren.
Es muss doch gar nicht sein, immer mehr zu verdienen, sich eine immer größere Wohnung zu leisten und immer mehr Zeug zu kaufen. Und dabei nicht mal zu wissen, woher das kommt, was man isst. Oder paradoxerweise auch noch mehr Geld für Bio-Lebensmittel auszugeben, obwohl man die doch auch selbst anbauen kann, und das noch viel günstiger. Dabei leben sie im Einklang zusammen mit Tieren, die hier Lebewesen sein dürfen, anstatt als Produkte behandelt zu werden.
Tatsächlich dachte ich beim Lesen: IHR HABT MEINEN TRAUM GEKLAUT! :D Ich hatte selbst vor wenigen Jahren einen Moment, in dem mir bewusst wurde, dass ich mein Leben nicht ewig so weiterleben will – wenn es dich interessiert, lies ganz unten auf dieser Seite mehr dazu.
„Unser Hof in der Bretagne“ bestätigt meinen eigenen Wunsch nach so einem Leben nun nochmal. Regine berichtet davon, dass in der Bretagne viele Sorgen von ihr abfallen, die sie zuvor immer geplagt haben. Die ganze Alltagshektik im Büro mit den klingelnden Telefonen, den „sofort erledigen!“-Mails und dem abzuarbeitenden Aufgabenstapel fällt weg. Der Großstadtlärm mit so vielen Menschen, Uhren und Reklame-Dauerbefeuerung: weg!
Statt Beton gibt es nun Natur, statt Autos und Feinstaub umgeben einen Bäume und Pflanzen, und nachts sieht man die Milchstraße, weil es keine Straßenlaternen gibt. Ja, das klingt einfach nur traumhaft!
Wie liest sich das Buch?
Nun habe ich sehr viel darüber geschrieben, wie sehr mich persönlich der Inhalt des Buches anspricht. Aber vielleicht sollte ich auch noch ein wenig auf das Buch selbst eingehen :D
Regine Rompa schreibt aus ihrer Ich-Perspektive – und sie schreibt sehr gut. Sie fängt den Leser ein und lässt ihn ihre Erlebnisse und Erfahrungen miterleben. Obwohl Regine für mich ein fremder Mensch ist, der über sein persönliches Leben schreibt, schafft sie es, dass ich mich dabei nicht langweile. Ihre Geschichte ist sehr anschaulich geschrieben, so, als wäre ich als Leser tatsächlich dabei.
„Geler“ war das franzönsische Wort für „gefrieren“. Leider war es zu spät, als ich das am nächsten Morgen herausfand. Uns erwartete ein Feld der Zerstörung. Unsere hübschen kleinen Pflänzchen in den Anzuchtstatioen waren alle über Nacht eingegangen. Als wäre der Frost nicht genug gewesen, hatte es auch noch gehagelt. Der Garten war verwüstet. Es sah nicht so aus, als hätte viel überlebt. Anton schritt den Tatort ab.
Unser Hof in der Bretagne, von Regine Rompa, Kapitel „Das Gewächshaus“
„Ah, die Zucchinipflanzen auch. Und die Paprika! Die kleinen Salatbabys!“ Klagend rief er die einzelnen Opfer aus. Ich hätte am liebsten geheult.
„Die ganze Arbeit…“ setzte ich an. „Ich hatte mich schon so darauf gefreut, das alles zu ernten.“
Die kleinen Zucchinipflanzen lagen schlaff auf der Erde. Die Radieschen ließen die Blättchen hängen. Selbst die Banane, die wir gepflanzt hatten, war gebeugt und braun. Vielleicht hatten ein paar der Pflanzen noch eine Chance, aber meine Laune war jedenfalls am Boden. Wir hatten die Pflänzchen jetzt fast zwei Monate lang gehegt und gepflegt, und eine einzige Nacht hatte alles zerstört. Und das, obwohl ich eine Warnung bekommen hatte. Ich ärgerte mich wahnsinnig.
Das gelingt ihr, indem sie einerseits Situationen mit vielen Details beschreibt, so dass der Leser sie sich besser vorstellen und damit einfühlen kann. Das Buch ist nicht nur ein steriler Bericht von Erlebnissen und Gesprächen („und dann fuhren wir in die Bretagne, und dort besichtigten wir ein Haus“), sondern ein szenischer Aufbau verschiedener Schlüsselsituationen. Da knatscht auch mal Schnee unter den Füßen und die nächtliche Dunkelheit auf dem Lande, die zunächst bedrückend wirkte, verliert ihre Bedrohlichkeit.
So baut sich der Leser automatisch sein eigenes Bild von Regines Welt zusammen. Hilfreich dabei sind auch die Farbbilder, die in der Buchmitte mitgeliefert werden. Hier sieht man dann die tatsächlichen Personen und auch Haus und Garten, von denen Regine Rompa im Buch berichtet. Das bietet zusätzlich ein Fenster in das Umfeld der Aussteiger.
Andererseits fügt Rompa auch immer mal wieder ihre Gedanken zusammen. Was dachte sie damals in Berlin, als ihr klar wurde, dass das Alltagsleben in der Großstadt nichts mehr für sie ist? Wie weit war ihr Fortschritt auf der Suche nach dem Sinn ihres Lebens zu diesem Zeitpunkt? Später gibt es dann Updates dieser Gedanken – denn die Suche nach dem Sinn ist eben ein Prozess, bei dem neue Erfahrungen zu einer besseren Herauskristallisierung der eigenen Wünsche führen. Ein paar dieser Gedankengänge habe ich hier in der Rezension als Zitat aufgeführt :D
„Unser Hof in der Bretagne“ ist aufgrund dieser Prozessbeschreibung mit seinen Schlüsselsituationen sehr eingänglich. Es ist ein Buch, das Spaß macht zu lesen – es gibt zwar keinen Spannungsbogen und keine innovative Story, aber dafür inspiriert es: Der Leser bekommt vor Augen gehalten, dass es im Leben eine Wahl gibt. Und dass man nicht immer der Vernunft den Vorzug geben muss, sondern auch mal den Schritt ins Unbekannte wagen kann. Und vor allem, dass eine der Wahlmöglichkeiten eine Rückbesinnung auf die Einfachheit ist.
Unser Hof in der Bretagne – Wertung
Das Buch ist sehr inspirierend – für jeden, der dafür empfänglich ist, einen Schritt zurückzutreten und sich zu fragen, wo er seinen Sinn im Leben wirklich sieht. Und es ist auch „gefährlich“, denn es könnte auch dich als Leser aus deiner Lethargie wecken und dir vielleicht eine Unzufriedenheit vor Augen führen, die du bisher vielleicht lieber verdrängt hast.
Wer natürlich rein gar nichts damit anfangen könnte, aus der Großstadt wegzuziehen, der wird hier ein Buch aus einer fernen Welt lesen, die ihm langweilig erscheinen mag. Aber ansonsten gewährt Regine Rompa mit ihrem Buch unterhaltsam geschrieben wertvolle, authentische Einblicke nicht nur in die Gefühlswelt, sondern auch wirklich in den Alltag eines Aussteigers.
Mich spricht Rompas Buch gleich doppelt oder dreifach an: Weil ich mich durch Alter und ähnlicher beruflicher Branche mit der Autorin verbunden fühle, und weil sie im Grunde genau den Traum lebt, der mir irgendwann Anfang 2017 selbst in den Kopf gekommen war (siehe unten).
Insgesamt habe ich das Buch in wenigen Tagen verschlungen und bin froh, es gelesen zu haben :D
» So funktioniert die Buchbewertung
Im Nachgang: Mein eigener „Ich muss weg hier“-Moment 2017
Zu dem Zeitpunkt, als Regine und Anton gerade in ihr Haus in der Bretagne einzogen waren, hatte ich selbst so einen Moment, in dem sich mein eigener Traum zu formen begann. Ich weiß es noch genau.
Im Frühjahr 2017 war ich mit dem Auto auf dem Weg zur Arbeit. Als ich an einer Ampel nahe des Autobahnzubringers bei Heidelberg stand, sah ich auf der Gegenfahrspur einen überfahrenen, toten Igel liegen. Traurig genug…
Als die Ampel dann aber auf grün schaltete und die Autos losfuhren, sah ich, wie der entgegenkommende SUV einfach nochmal über den Igel drüberfuhr. Eigentlich kann der Fahrer das Tier nicht übersehen haben, man schaut doch vor sich auf die Straße.. Okay, tot ist tot, aber dennoch, dieses völlig achtlose Drüberfahren schockierte mich.
In diesem Moment spürte ich gewaltigen Weltschmerz und Hass auf die Zivilisation. Auf uns Menschen, die mit den Straßen als „Todesstreifen“ Landschaften durchschneiden und damit Tiere gefährden, die wie schon seit jeher nichts anderes tun, als ihrer Wege zu gehen. Auf uns Menschen, die die Umwelt zerstören und Tiere als Produkte behandeln. Die mit Beton alles zupflastern und anderen Erdbewohnern die Lebensgrundlage nehmen.
In diesem Moment wollte ich nur noch weg. Weg von allem, kein Teil mehr von unserem System sein, mich irgendwohin zurückziehen, wo möglichst wenige Menschen sind. Und dort ein Leben führen, mit dem ich möglichst wenig kaputt mache. Mit Sonnenkollektoren zur Stromgewinnung, vielleicht sogar mit Wasserkraft über einen Bach, der irgendwas antreibt. Mit Tieren, die bei uns ein gutes Zuhause bekommen. Möglichst ohne Verschmutzung und Müll.
Wenn ich schon lebe und zur Raubtierart „Mensch“ gehöre, dann aber möglichst ohne Raubtier-Attitüde, dafür naturnah und mit Respekt für die Umwelt.
Wenn wir unsere Nahrung selbst anbauten und die Tiere bei uns lebten, würde es für Anton und mich keine solche Entfremdung [zwischen Mensch und seiner Nahrung, bzw. ihrer Herkunft] mehr geben. Wir hätten frisches Gemüse und nicht einmal einen Schaden für die Umwelt durch lange Transportwege und Plastikverpackungen. Wir hatten zwar kaum praktische Erfahrungen mit Landwirtschaft oder Landleben, aber wir wollten, dass unsere Vorstellung davon möglich wäre. Ich hoffte damit insgeheim nicht weniger, als dass es mir gelingen würde, unschuldiger zu leben, als Anton und ich es in unserem bisherigen Leben gewesen waren. War ein unschuldiges Leben heutzutage überhaupt möglich? Ich wusste es nicht. Aber ich wollte gern herausfinden, wie weit ich in diese Richtung gehen könnte.
Unser Hof in der Bretagne, von Regine Rompa, Kapitel „Vernünftig ist wie tot, nur vorher“
Ich weiß noch, wie ich mit meiner Schwester darüber redete, die es zwar gut fand, ein Ziel im Leben zu haben, aber sie fand meine Schlüsse falsch kanalisiert. Sie meinte, wenn mich etwas so sehr stört, dann soll ich dafür eintreten und auch auf die Straße gehen. Naja, ich möchte mich lieber raushalten und eine eigene Oase des Einklangs schaffen, anstatt mich ins Getümmel zu stürzen.
Diesen Traum würde ich gern irgendwann irgendwie wahr werden lassen. Ganz ohne „nichts“ wird das aber nichts – also wird es noch ein wenig warten müssen.
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