Ich bin 37 Jahre alt und habe keine Kinder – und ich möchte auch keine. Als ich das vor nicht allzu langer Zeit erstmals laut aussprach, fühlte sich das an wie ein Befreiungsschlag aus einer immer vor mir hergeschobenen Verpflichtung. Denn einen echten Kinderwunsch hatte ich nie. Aber die meiste Zeit meines Lebens hatte ich die Möglichkeit einer bewussten Entscheidung für oder gegen Kinder nicht einmal sehen können.
Heute gibt es mal einen ziemlich persönlichen Beitrag, in dem ich über den Prozess bis zu dieser Lebensentscheidung berichte. Zumindest einige Jahre lang war der Prozess ziemlich quälend, weil ich dachte, ich muss jetzt doch langsam Kinder kriegen, sonst bin ich zu alt, und dann wird es mir ewig leid tun.
Dabei wäre es einfacher gewesen, wenn ich mir schon viel früher diese einfache Frage gestellt hätte:
Möchtest du denn wirklich Kinder? Kannst du dich als Mutter sehen?
Ein „nein“ als Antwort ist immerhin genauso legitim wie ein „ja“. Aber diese Frage stand für mich eigentlich nie auf der Agenda. Denn…
Kinder? Ja natürlich, das gehört doch so!
Irgendwann Anfang der 90er. Mein kleiner Bruder und ich sitzen auf einem altmodischen Sofa in einem dusteren Zimmer mit zugezogenen, schweren Vorhängen, die kaum Licht einlassen. Die Luft ist auch schwer und riecht nach Alter und Krankheit. Uns gegenüber in einem altbackenen, plüschbezogenen Ohrensessel sitzt Tante Minna, sie ist die Schwester unseres Opas und uuuuuuralt. Wir waren auf dem Weg zwischen dem Spielen im Wald und dem örtlichen Tante Emma-Laden (um Süßigkeiten zu kaufen) bei ihr vorbeigekommen, obwohl sie uns kaum kannte (ich glaube, wir hofften auf irgendwelche Bonbons von ihr, die Oma-Generation ist schließlich so nett). Tante Minna hat einen kleinen Dackel zu ihren Füßen liegen. „Er ist mein einziger Freund, sonst kümmert sich niemand mehr um mich“, sagt sie.
Oh man, ist das schlimm, denkt mein ungefähr zwölfjähriges Ich. Alt und einsam sein, das ist ja schrecklich! Zum Glück werde ich später Kinder haben, die dann mit mir am Tisch sitzen und Würfelspiele spielen. Das ist vollkommen klar.
Das war schon immer vollkommen klar. Natürlich. Wir hatten eine tolle Kindheit und wenn es uns gut geht, dann geht es auch den Eltern gut, und ich will ja, dass ich später auch mal eine glückliche Mutter mit so tollen Kindern bin. Wer spielte im Kindergarten nicht „Vater, Mutter, Kind“ und konnte es gar nicht abwarten, selbst zu heiraten und Kinder zu bekommen?
Für mich stand niemals zur Debatte, ob ich Kinder möchte oder nicht. Das ist genausowenig eine sinnvolle Frage wie „Möchtest du eigentlich atmen?“. Natürlich möchte ich.
Warum nicht jetzt schon hinter sich bringen?
Sommer 2004, ich bin 22 und frisch verheiratet. Wir sitzen im Garten unseres alten, letztes Jahr gekauften Bauernhauses, genießen die Sonne und ein Glas Wein. „Hey, wie wäre es jetzt mit einem Kind?“ frage ich ihn. „Dann sind wir nicht so alt, wenn es unabhängig wird und wir können dann noch reisen und so.“ Er starrt mich entgeistert an. „Was, jetzt?“ – „Ja, warum nicht, ich habe doch gerade sowieso keine Arbeit, ist doch eine super Gelegenheit!“. Ich hatte nach der Ausbildung noch keinen Job bekommen. Er überlegt ein wenig herum. „Najaa, ich wollte noch ein wenig warten, fühle mich noch nicht bereit. Wir könnten noch so viel unternehmen. Vielleicht in fünf Jahren?“. Er ist übrigens 33 – und ich bin wegen der Abfuhr ein wenig beleidigt. „Du weißt ja, ich habe nicht ewig Zeit, irgendwann bin ich zu alt!“.
Dabei wollte ich gar nicht unbedingt ein Kind um des Kindes Willen. Irgendwann würde ich ja sowieso Kinder haben, und nach Hochzeit und Hauskauf ist doch der richtige Zeitpunkt und außerdem würde ich dann weiter im Mittelpunkt stehen. Hochzeit, Haus und Kind, so läuft das doch. Mein Gott, war ich dumm und naiv. Hätte er damals zugestimmt, hätte ich niemals das Abi nachgeholt und studiert, ich wäre ein völlig anderer Mensch geworden (der ich gar nicht sein wollte!).
Tatsächlich war diese Situation 2004 für viele Jahre das letzte Mal, dass ich über Kinder nachdachte. Lange vor Ablauf der fünf Jahre hatten wir uns getrennt, ich begann eine Fernbeziehung und fand eine Vollzeittätigkeit. 2009 fing ich wieder an, die Schulbank zu drücken, um das Abitur nachzuholen und ab 2011 folgte das Studium in Heidelberg. Und so gingen tatsächlich zehn lange Jahre ins Land, in denen ich an vieles dachte, nur nicht an Kinder.
Wären diese zehn Jahre zwischen 22 und 32 anders gelaufen, ohne diese „Hindernisse“ Fernbeziehung, Schule und Uni… dann hätte ich ganz sicher in dieser Zeit „aus Langeweile“ ein Kind bekommen. Aber so war es eben nicht.
Wann denn nun Kinder?
Mädelsabend Anfang 2014. Mädelsabende waren nie mein Ding, aber ich bin über Pierre in seinen Freundeskreis gerutscht und da gabs das nunmal. „Wollt ihr Kinder haben? Und wann?“ fragt Pierres damalige beste Freundin mit dem Weinglas in der Hand, wir waren schon ziemlich betrunken. Mmmmh, jaaa, ich denke schon, muss ja, aber wann? Bin ja auch schon 32, sooo viel Zeit ist nicht mehr dafür. Habe gerade meine Bachelor-Arbeit geschrieben und brauche noch zwei Jahre für den Master. „Mh, so in drei Jahren vielleicht“, sage ich. „Dann habe ich ein Jahr gearbeitet und kann dann mal aussetzen und Pierre ist dann hoffentlich auch fertig mit dem Studium“.
Was ich mir aber eigentlich dabei dachte: Oha, aber drei Jahre gehen ziemlich schnell rum. Sehe ich mich denn wirklich in drei Jahren mit einem Kind? Und wozu dann das Studium, wenn ich sowieso doch dann eher zu Hause bleibe oder vielleicht erstmal nur Teilzeit arbeite?
Ja, so langsam begann ich wieder, mir Gedanken zu machen. Aber einen echten Kinderwunsch, also den Wunsch, Kinder zu haben – den hatte ich nicht. Langsam war ich eher besorgt, weil sich eben dieser Kinderwunsch nicht einstellte. Ich beneidete die Leute, die sich wirklich darauf freuten, denn ich freute mich nicht, sondern wusste nur, dass ich irgendwann da durch muss – weil Tante Minna, und weil gehört ja dazu. Ein bisschen Vorfreude wäre da schon hilfreich gewesen!
Kinder? Sehe ich bei mir irgendwie nicht..
Auf einem Campingplatz auf Korsika im Jahre 2014. Pierre und ich verbringen hier zwei Nächte und beobachten abends von unserem Platz aus eine deutsche Familie mit zwei ungefähr knapp zehnjährigen Kindern. Die beiden Kinder, Bruder und Schwester, sind lebenslustig und aktiv, sie spielen irgendwo, während Mama das Hauszelt aufräumt und das Essen vorbereitet. Papa sitzt mit ein paar Flaschen Bier im Campingstuhl. Die Eltern reden nicht miteinander, man bemerkt, dass der Hauszeltsegen schief hängt. „Juuuuuuuliaaaaaan! Mariiiiieeeee!“ ruft dann Mama, als sie fertig geschnippelt und gekocht hat. Von irgendwoher kommen verdreckt die Kinder an, sie erinnern mich an mich und meinen Bruder früher (nur mit glücklicheren Eltern). „Julian, zieh dir eine Jacke an! Marie, leg das jetzt weg und komm hier her!“. Gelebte Idylle. Abends verzieht sich Papa in den Familienkombi zum Schlafen, die Kinder bleiben bei Mama.
Was ich daraus mitnahm: Ist das etwa auch meine Zukunft? Oh mein Gott. Dafür bin ich nicht bereit…. Werde ich das jemals sein? Das ganze Bild ist ein Alptraum… Urlaub ist zur Erholung da, um die Seele baumeln zu lassen und mal was anderes zu sehen, und nicht nur eine weitere Zeit, um die Kinder anders zu bespaßen.
Irgendwie kann ich mich und uns weder in drei Jahren, noch in fünf dort sehen. Diese beiden Bilder – ich jetzt mit meinem studentischen Lotterleben und den vielen Wünschen für danach, und ich als Mama – passen einfach überhaupt nicht zusammen. Vielleicht bin ich in acht Jahren bereit, wer weiß? Aber dann bin ich doch schon 40, ist das nicht zu spät?
Was soll ich also tun? Jetzt die Kinder bekommen, obwohl ich gar keinen Kinderwunsch habe und eigentlich nach dem Studium viele Reisen nachholen möchte? … Oder etwa … keine Kinder bekommen? Aber das geht doch nicht, Kinder gehören doch dazu? Was ist im Alter, ich einsam im Schaukelstuhl, niemand, der mich besucht?
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Für mich wurde das Thema zu einem wunden Punkt. Ich fühlte mich unter Druck gesetzt: Die Uhr tickt, und wenn ich jetzt zu lange rummache, dann ist es zu spät, das würde mir doch ewig leid tun.. Aber es passte einfach nicht in mein/unser Leben. Ich konnte mir ganz und gar nicht vorstellen, eine gute Mutter zu werden und auf meine Freiheit und Unabhängigkeit zu verzichten.
„So viel Zeit hast du ja nicht mehr!“
Zu Besuch einem jungen Paar. Es ist Ende 2015 und die beiden haben vor wenigen Monaten ihr erstes Kind bekommen. Irgendwie bin ich mit Kindern und Babys total hilflos und weiß auch gar nicht recht, was ich damit nun anstellen soll. „Hier, nimm‘ mal, Debbie!“ sagt sie und reicht mir ihre winzige Tochter. Mit großen, blauen Augen schaut sie mich an und lächelt. Süß, ohne Frage. Und jetzt? Ein bisschen schaukeln – und vor allem lächeln, damit die stolze Mutter noch stolzer auf ihr Werk ist. Nun schaltet sich ihr Mann ein: „Ja, wann ist es denn bei euch soweit?“ Mit der Frage habe ich nicht gerechnet. Woher will er denn wissen, ob ich überhaupt Kinder möchte? „Erstmal Geld verdienen“, brummle ich also, während das Baby auf mein Oberteil sabbert. „Naja, so viel Zeit hast du ja nicht mehr, in deinem Alter“, erzählt er mir nun. Oh, danke für den Hinweis, das war mir ja gar nicht klar! „Jetzt nicht“, sage ich etwas rüde und es herrscht kurz betretenes Schweigen. Offenbar hatte sich das Gespräch anders entwickelt als erwartet.
Ich war stinksauer wegen der direkten Frage und der indirekten Beleidigung wegen meines Alters, und die Frage hatte mich total überrumpelt. Dass er ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass andere genau die gleichen Lebensplanungen haben wie er selbst, und die Frage, wann man diese Erwartung denn nun erfüllen will. Diese Unterstellung und die damit verbundene Erwartungshaltung schockierte mich. Und ich war sauer über den Hinweis auf mein Alter. Als ob ich das ohne ihn nicht wüsste. – Obwohl ich das Argument des Alters selbst schon viele Jahre zuvor als Druckmittel eingesetzt hatte.
Deswegen traf die Frage ja auch genau meinen wunden Punkt. Ich glaube, diese etwas dreiste Nachfrage war es nun aber, die mich dazu drängte, nun langsam mal zu einer Entscheidung zu kommen. Dann hätte ich beim nächsten Mal schon eine passende Antwort parat, ohne peinlich berührt herumzustottern.
Aber so schnell ist eine Lebensentscheidung nunmal nicht getroffen.. Ich hatte die K-Frage immer im Hinterkopf und versuchte, mir ein Leben mit Kindern vorzustellen, fragte mich aber auch, ob es eine Alternative wäre, keine Kinder zu bekommen.
Ist es okay, wenn Frauen keine Kinder wollen?
In den nächsten zwei Jahren las ich im Internet immer mal wieder Beiträge von Frauen, die sich bewusst gegen Kinder entschieden hatten (z.B. hier). Ich las, dass sie ähnlich wie ich nie das Bedürfnis hatten, ein Kind großzuziehen. Dass ihnen ihre Unabhängigkeit und das freie Erwachsenenleben wichtiger sind.
Und ich las auch die Anfeindungen, mit denen sie umgehen mussten. Sie seien egoistisch und karrieregeil und sowieso irgendwie „kaputt“, weil ihnen das „Muttergen“ fehle. Und außerdem grundsätzlich vorlaute Schlampen, weil sie nicht das tun, was von ihnen erwartet wird. Sie sollen gefälligst nicht die jungen Frauen verwirren. Wow…
Weiteren Input erhielt ich dann aus erster Hand. 2015 und 2016 schien alle Welt auf einmal Kinder zu bekommen, auch im näheren Kreis von Kollegen, Bekannten und auch in der Familie. Mein kleiner Bruder wurde stolzer Vater.
Und von all den jungen Eltern hörte ich dann die typischen Elterngeschichten von nächtlichem Geschrei, Kacke-Explosionen in der Windel, Elternzeit, Kampf um einen Kitaplatz und das „spontane Wegfahren“ mit Kinderwagen und quasi einem ganzen Urlaubsgepäck im Auto, damit für alle Eventualitäten vorgesorgt ist. „Aber“, erzählen die strahlenden Eltern, „Kinder sind trotzdem das Schönste auf der Welt!„. Ich glaube euch von ganzem Herzen, aber sorry, es hört sich nicht so an.
Ich las mich nun weiter ein, wollte noch mehr über das Mutterwerden erfahren. Was ich aber erfuhr, ließ mich gruseln: Dammrisse bei der Geburt, mögliche Inkontinenz und womöglich auch Gebärmuttervorfall danach. Postnatale Depressionen, Schreikinder, Überlastungen durch Schlafmangel und völlige Selbstaufgabe, um nur noch für das Kind da zu sein. Wer möchte das denn haben, fragte ich mich. Ich jedenfalls nicht, das klingt doch wie ein nicht endenden wollender Horrortrip!
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Eine der größeren Debatten, die auch für mich eine Bedeutung hatte, war Regretting Motherhood – das Bereuen, Mutter geworden zu sein. Die israelische Soziologin Orna Donath hatte diese Diskussion 2015 mit ihrem Buch rechts angestoßen. Ich las das alles und dachte bei jedem einzelnen Bericht: Genau da wärst du auch. Klar, ich würde mein Kind über alles lieben, aber ich würde alles drumherum hassen. Das Hinterherräumen, die Babysprache, die ich dann sprechen würde, die Kindermusik, die wir dann hören würden, die Familienurlaube.
Und ich würde allem hinterhertrauern, was dann nicht mehr möglich wäre: den verpassten Reisen, dem Division-Marathon am Wochenende, dem stundenlangen Schreiben an meinem Blog, dem Baumeln in der Hängematte, dem langen Schlafen am Wochenende.
Auf jeden Fall wurde mir durch die Berichte anderer bewusst, dass es – trotz aller Hasskommentare – vollkommen in Ordnung ist, eben einfach keine Kinder zu wollen. Dass es Frauen eben nicht angeboren ist, die Mutterschaft als Sinn ihres Lebens aufzufassen, und dass es eine echte Entscheidungsmöglichkeit gibt.
Es ist zwar „gesellschaftlich nicht normal“, aber die Maßstäbe für mein Leben möchte ich selbst setzen. Pierre überließ die langen Gedanken und damit auch die Entscheidung übrigens komplett mir allein. Ich denke, wenn ich gerne Kinder gewollt hätte, dann wäre das für ihn in Ordnung, aber ansonsten spielte die Aussicht, Vater zu werden, für ihn ebenfalls überhaupt keine Rolle im Leben.
Gut, dass ich damals, 2004, nicht überschnell Mutter geworden bin, sondern soweit gekommen bin, mir erstmal bewusste Gedanken darüber zu machen, ob ich überhaupt Mutter werden möchte!
Kinderfrei statt kinderlos
Ja, es war wirklich an der Zeit. Pierre und ich setzten uns also Ende 2016 zusammen und redeten über die Entscheidung, die ich bzw. wir nun mit gutem Gewissen und noch besserem Gefühl treffen konnten: Kinder – das ist nichts für uns. Ich möchte keine Kinder, und Pierre auch nicht. Wir leben unser Leben weiter, aber ohne den Druck, evtl. bald ein Kind zu bekommen.
Eine tonnenschwere Last fiel mir von den Schultern. Mein ganzes Leben hatte ich das „Schicksal, Mutter zu werden“ vor mir, obwohl ich mich nie so richtig damit anfreunden konnte. Und jetzt war ich auf einmal ganz frei!
Ich musste nicht mehr 20 Jahre „vorreservieren“, in denen ich mich und meine Pläne und Wünsche zurückzustellen habe. Auf einmal schien es, als hätte sich mein Leben verlängert! Wir können reisen, wohin und wie wir wollen! Ich werde weiterhin in Vollzeit arbeiten können (wenn ich das möchte), um Geld für unsere Träume zu verdienen! Wir können uns vielleicht ein alternatives, winziges Bauernhaus mit Tieren kaufen! Oder ganz egal, wir können tun, was wir wollen! ICH BIN FREI!!
An dieser Stelle möchte ich ganz klar betonen, dass ich keine Kluft zwischen Eltern und Kinderfreien aufbauen will! Ich möchte hier nicht meine eigene Lebensweise propagieren und als die einzig Richtige darstellen. Sie ist aber für mich die Richtige, und deswegen ist es so wichtig, darüber nachzudenken, was man möchte!
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Ja, kinderfrei. „Kinderfrei statt kinderlos“ ist auch der Titel eines Buches von Verena Brunschweiger (du siehst es rechts verlinkt), einer Lehrerin. Ich habe das Buch nicht gelesen, aber dafür den Aufschrei, den die Autorin provoziert hat. Sie schreibt, dass es auch gut für die Umwelt sei, auf Kinder zu verzichten. Das ist kein Aspekt, auf den ich bei der K-Frage Wert gelegt hätte (genauso wenig wie darauf, dass man gefälligst Kinder in die Welt setzen solle, um die Rente zu sichern) – denn Kinder sind eine persönliche Entscheidung. Wer Kinder möchte, soll sich den Wunsch erfüllen, und wer nicht, der eben nicht.
Aber tatsächlich finde ich die Begriffe tatsächlich wichtig: Kinderfrei statt kinderlos. In der Gesellschaft gibt es zwei Arten von Erwachsenen: Eltern und Kinderlose. Kinderlos klingt wie arbeitslos: Man befindet sich in einem erbarmungswürdigen Zustand, in dem etwas fehlt. Kinderlose sind also nicht vollständig. Das suggeriert jungen Menschen, dass sie diesen Zustand irgendwann beenden müssen – genau, wie es mir über lange Jahre ging. Ich dachte ja auch immer, dass ich irgendwann noch Kinder bekommen muss, denn das ist ja schließlich normal.
Wer sich aber dafür entscheidet, ein Leben ohne Kinder zu führen, der braucht keine Kinder. Er ist demnach frei von Kindern und den Belastungen, die sie mit sich bringen. Diese Entscheidungsmöglichkeit transportiert der Begriff „kinderlos“ aber gar nicht. Er transportiert eher einen Vorwurf („Du erfüllst deine gesellschaftliche Pflicht nicht“) und eine Aufforderung („Bekomme Kinder, um vollwertig zu sein“).
Alt werden ohne Kinder – völlig okay!
Es ist 2018 und ich segle mit meinem Magier irgendwo in Azeroth herum und renne irgendwelchen World of Warcraft-Quests hinterher. Im Chat schreibe ich ein bisschen mit meinem alten WoW-Kumpel Ray. Er ist irgendwie düster drauf und sagt, dass er irgendwann alt und einsam sterben wird. Ich bin entrüstet: „Was? Nö, das wird lustig! Alt, ok, aber bis dahin gibt es tolle Prothesen und Zeug. Und einsam auch nicht, wir gehen in ein Zockeraltersheim mit Gleichgesinnten. Wenn du keinen Bock auf die hast, gehst halt zocken oder verschwindest in die neue VR-Welt. Is doch geil!“
Nein, ich glaube nicht, dass ich oder wir sehr einsam sein werden. Auch Altersheime haben ihren Schrecken als „Abstellkammer für Todgeweihte“ verloren, wenn man doch mit den Leuten auch zusammen durch virtuelle Welten streifen kann.
Dass ich zu einer „Tante Minna“ werde, wage ich daher zu bezweifeln. Unsere Großeltern und Urgroßeltern haben tatsächlich ein traurigeres Schicksal als wir – und auch als die früheren Generationen. Über Jahrtausende waren Großfamilien die Regel: Hier lebten viele Generationen zusammen in einem Haus. Hier wuchs man zusammen auf, und hier kümmerte man sich auch um die Alten. Einsame Senioren im Ohrensessel sind also eigentlich eine Anomalie in einer Zeit des Wandels, in der das Einfamilienhaus schick geworden war.
Auch meine Oma ist mit ihren 91 Jahren leider eine „Tante Minna“ geworden. Sie gehört zur letzten „Offline-Generation„, zu den Menschen, die zwar Satelliten-TV und Festnetz-Telefon kennen, aber das Internet und seine Möglichkeiten zu abstrakt finden. Nun sitzt sie allein in ihrer Wohnung und schaut TV-Shows und sagt traurig: „Nein, Besuch bekomme ich nicht mehr. Sie sind doch alle tot oder können nicht mehr gut gehen.“ Und ich denke mir: Mein Gott.. Oma, wenn du wüsstest, welche Möglichkeiten es gibt…. Du müsstest nicht allein sein! Aber es hilft alles nichts, bei diesem Thema blockt sie ab.
Naja – wie auch immer es in 40 Jahren aussieht, aber ich denke, dass halbwegs rüstige Senioren wie meine Oma sicher nicht einsam und allein vor ihrem Fernseher werden sitzen müssen. Ich glaube fest daran, dass wir uns dann frei in faszinierenden Welten bewegen können :D Da würde der Besuch der Kinder sowieso nur stören ^^
Kinderfreie sind egoistisch? – Ja, natürlich!
Immer wieder lese ich, dass kinderfreien Frauen Egoismus und Karrieregeilheit vorgeworfen wird. „Du musst Kinder bekommen, damit die Rente gesichert wird!“ – nein. Fertig, aus. Der Generationenvertrag funktioniert sowieso nicht mehr. Mittlerweile – und in Zukunft noch viel mehr – verrichten Maschinen, Algorithmen und künstliche Intelligenzen immer mehr Arbeit. Es sind also gar nicht mehr so viele Menschen nötig, um als Gesellschaft weiterhin das Produktivitätsniveau zu halten und das Einkommen für alle zu sichern.
Daher ist es Sache der Politik, die erwirtschafteten Mittel so zu verteilen, dass jeder davon leben kann. Nicht von Frauen, die immer und immer wieder dafür zur Verantwortung gezogen werden, „doch mal an die Rente zu denken“.
Oder gar die Idee der „Arterhaltung“ – unsere Art ist schuld daran, dass der Planet vor die Hunde geht und täglich zig andere Arten aussterben. Nein danke, dieses Argument lass‘ ich nicht zu.
Darüber hinaus wage ich es zu bezweifeln, dass sich alle Eltern aus Verantwortungsbewusstsein der Gesellschaft gegenüber für ein Kind entschieden haben. Ich denke, dass es für die meisten zum persönlichen Lebensentwurf gehörte, eine Familie zu gründen. Sie handeln also aus Egoismus: Weil sie es so wollen. Wer sich dafür entscheidet, ein Kind großziehen zu wollen, der soll es doch tun, auch wenn der Gesellschaft dann vielleicht Einkommenssteuer aus einem Vollzeitgehalt entgeht .. :P
Ansonsten verstehe ich das Egoismus-Argument auch gar nicht. Wem gegenüber ist es denn egoistisch, länger zu schlafen, oder an Sommerabenden spontan zu einem Burgcafé zu fahren und bei schönster Aussicht einen Wein zu genießen? Dem fiktiven Kind gegenüber, das deswegen nicht entstehen wird? Najaaa… Sollte nicht jeder im persönlichen Bereich egoistisch sein, und so leben, wie er gerne leben möchte, anstatt so, wie es irgendjemand gerne hätte? Rücksichtslos egoistisch ist es nur, wenn man auf Kosten anderer oder der Umwelt seine Interessen durchsetzt – aber das kann ich beim Thema Nachwuchs einfach nicht sehen.
Daher plädiere ich für individuellen Egoismus! Wer Freude daran hat, morgens länger in den Federn liegen zu bleiben und seinen freien Tag dann nach eigenen Interessen zu verbringen, der soll so leben. Wer seine Freude daraus zieht, sein Kind lächeln zu sehen und ihm bei seinen ersten Schritten durchs Leben zur Seite zu stehen – bitte sehr ^^ Es gibt keine richtige oder falsche Entscheidung in dieser Hinsicht. Es mag vielleicht leichter sein, ein Leben ohne Kinder zu führen – aber zumindest für mich war diese Entscheidung alles andere als leicht.
Doch ich bin sehr froh, nach all den Jahren an dem Punkt angekommen zu sein, diese Entscheidung überhaupt wahrnehmen zu können. Dass es so schwer sein würde und ich ab etwa 30 so lange Kämpfe mit mir selber ausfechten musste, hätte ich mir niemals träumen lassen können.
„Willst du Kinder?“ – „Klar will ich Kinder, das gehört doch so“ – „Aber willst du denn wirklich Kinder?“ Das sollte sich jeder fragen und seine eigene, ganz persönliche Antwort finden. Ich wünsche dir, liebe Leserin oder lieber Leser, viel Erfolg dabei!
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