Aus dem All können uns unangenehme Dinge zufliegen. Zum Beispiel Asteroiden oder bösartige Außerirdische mit großen Laserwaffen. Hier mal was Neues, was zumindest ich so noch nicht gelesen habe: Ein Schwarzes Loch bedroht die Sonne (und damit uns). Wie wäre es, wenn die Sonne „gefressen“ wird und unser Lebenslicht verschwände? Und uns außerdem durch einen gigantischen Strahlenausstoß vorher tötete? Das steht den Menschen auf der Erde in „The Hole“ bevor.
The Hole spielt im gleichen Universum wie Morris‘ beliebte Eismond-Serie (hier geht’s zur Rezension des ersten Bandes, Enceladus). Daher gibt es auch ein paar Berührungspunkte mit bekannten Charakteren der Eismond-Geschichte. Um The Hole zu verstehen, ist es aber nicht nötig, die Eismond-Serie zu kennen.
The Hole – Handlung
Gegen das, was die Menschheit in The Hole erwartet, sind andere Katastrophen wie Tsunamis, Asteroideneinschläge und auch der Klimawandel mit seinen Hurricanes und Dürreperioden reiner Kindergarten.
„The Hole“ ist ein Schwarzes Loch, das sich im Jahre 2072 genau auf unsere Sonne zubewegt und sie bei Kontakt vollständig zerstören wird. Unsere arme, liebe Sonne wird dabei einen heftigen Strahlungssturm aussenden, der in Sekundenbruchteilen die irdische Atmosphäre, die Ozeane und alles andere an der Erdoberfläche ins All pusten wird. Übrig bleibt ein nackter Steinbrocken ohne Leben.
Natürlich werden Pläne erarbeitet, um zumindest einen Teil der Menschheit zu retten. Man könnte z.B. eine Rettungsarche mit ein paar wenigen Menschen außerhalb des Zerstörungsradius schicken, oder sich in Bunker hundert Meter unter der Erdoberfläche retten.
»Hundert Meter? Das müssten andere genauer berechnen. Aber dann, wenn der Sturm vorüber ist? Wir können nie wieder an die Oberfläche. Die Erde wird zwar ihre Bahn nicht verlassen, aber statt der Sonne befindet sich dann ein Schwarzes Loch im Schwerezentrum. An der luftleeren Oberfläche wird es minus 250 Grad kalt sein.«
The Hole, S. 147
Ja, in der Tat, das sind höchst unerfreuliche Aussichten, aber die Wissenschaftler auf der Erde sind ratlos. Wie soll man ein Schwarzes Loch aufhalten und die Erde und ihre 10 Milliarden Bewohner retten?
The Hole – Rezension
Dieses Buch macht es mir wieder nicht ganz leicht, eine Rezension zu schreiben. Es liest sich gut und interessant, aber trotzdem hat es mich nicht richtig gepackt. Und das liegt vor allem an der Vorhersehbarkeit bzw. am Schema von Stories wie dieser hier.
Der Handlungsfaden von The Hole, Deep Impact und Armageddon ganz grob: Irgendjemand entdeckt, dass uns in naher Zukunft eine Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes ereilen wird. Die Frage ist nun: Schaffen es die Protagonisten, in letzter Sekunde die Apokalypse aufzuhalten, ja oder nein? Die Story solcher Bücher oder Filme behandelt im Grunde nur den Weg zu dieser Antwort.
The Hole unterscheidet sich von diesen Stories nur durch das Ausmaß der Katastrophe. Wenn sonst „nur“ ein Großteil aller Menschen stirbt, wird hier alles, was wir kennen, von der Erdoberfläche ausradiert. Die Vorstellung einer komplett leergefegten, steinigen Erde ohne Wasser und Leben hat mich tatsächlich schockiert. Außerdem kannte ich die Bedrohung der Erde durch ein Schwarzes Loch noch nicht ^^ Trotzdem, das zu oft bemühte Grundgerüst der Geschichte und ihre Vorhersehbarkeit hat mich gelangweilt.
Wenden wir uns daher nun der Ausschmückung des Gerüstes zu, also den Details.
Die Figuren
Hauptfiguren sind die junge spanische Astrophysikerin Maribel, die das Schwarze Loch entdeckt, und der Kommandant eines privaten Minen-Raumschiffes auf einem Asteroiden weit entfernt von der Erde, Doug. Daneben gibt es noch weitere Charaktere, die aber keine große Bedeutung haben. Manche davon sind bereits aus anderen Morris-Büchern bekannt.
Auf der Erde: Maribel
Maribel arbeitet an einem Observatorium auf Teneriffa. Ihr Chef, der Direktor des Instituts und angesehener Professor, behandelt sie allerdings eher wie eine Praktikantin. Er trägt ihr auf, die Methoden aus einem uralten wissenschaftlichen Aufsatz (aus 2019 :D) auf die modernen Messmethoden anzuwenden und mit einem Großrechner neu zu berechnen. Ganz richtig vermutet Maribel, dass sie nur einen Baustein zur neuen Arbeit ihres Chefs beitragen soll und setzt sich eher murrig an die Aufgabe.
Als sie dabei dann auf eine Abweichung stößt, glaubt sie zunächst an einen Interpolationsfehler – aber auch nach mehreren Rechendurchgängen verschwindet sie nicht. Sie hat eine unsichtbare Masse im Sonnensystem entdeckt, so schwer wie Jupiter – nur unsichtbar. Es dauert eine Weile, bis sie versteht – und akzeptiert -, was das genau ist.
Auf der Kiska: Die Bergbau-Crew
Als Kommandant eines dreiköpfigen Bergbauteams auf einem Asteroiden weit entfernt von der Erde hat Doug nicht allzu viel zu tun. Mehrere Jahre sitzen er und seine Crew auf dem kahlen Felsen im All und warten die Maschinen. Eines Tages wird plötzlich ein anderes Raumschiff in der Nähe gemeldet – es fliegt schon lange durch den Weltraum und hat einen .. ungewöhnlichen Reisenden an Bord – die KI Watson. Eine Künstliche Intelligenz kann man immer gut brauchen, und so transferiert Doug Watson an Bord der creweigenen Kiska, der die kleine Mannschaft ab jetzt mit lockeren Sprüchen unterhält.
Ein netter Sidekick ist der querschnittsgelähmte ehemalige NASA-Astronaut Sebastiano, der zu Dougs Team gehört. Durch seine Behinderung darf er nicht mehr für die NASA fliegen, aber für Doug kam der Italiener und Hobby-Koch genau richtig. Denn wenn man schon jahrelang aus der Tube essen muss, dann schadet es nicht, wenn jemand irgendwas nettes daraus zaubert. Und so experimentiert Sebastiano mit verschiedenen Ersatzstoffen herum, um später ein Buch für „Rezepte in der Schwerelosigkeit“ zu veröffentlichen :D
Siri und die KIs
Watson ist eine ziemlich untypische KI, und scheinbar kennt man sie auch schon aus einem der Eismond-Bücher. Er verhält sich fast menschlich und wird von Doug und seinem Team als Crewmitglied, Freund und sogar als „großartiger Mensch“ bezeichnet. Gerade letzteres fand ich bemerkenswert, und ein Übersetzungsfehler ist auszuschließen. Von Watson hätte ich allgemein gern mehr gelesen.
Als Watson feststellt, dass Sebastiano aus nostalgischen Gründen ein uraltes iPhone mit der Sprachassistentin Siri dabei hat, weckt das sein Interesse. Er kopiert die iPhone-Siri und entwickelt sie weiter, damit sie eine vollwertige KI wird. Diese neue Siri, die „Siri-KI“, interessiert sich für ihre Vorgänger-Version, und so werden die beiden Siris miteinander konfrontiert:
„Siri, wo komme ich her?“
The Hole, S. 124
„Interessante Frage, Sebastiano.“
„Kannst du meine Frage auch beantworten?“
„Es geht hier um dich, nicht um mich.“
„Das ist frustrierend“, wirft Watson ein.
„Ich bin mit nicht sicher, ob ich das richtig verstanden habe“, antwortet die iPhone-Siri.
„Woher kommst du?“, fragt die Siri-KI.
„Es steht doch auf dem Karton. Ich wurde von Apple in Kalifornien entwickelt.“
„Wie alt bist du?“
„Manchmal fühle ich mich alt, manchmal jung.“
„Das hat doch keinen Sinn“, sagt die Siri-KI, und Watson hört deutlich den Frust in ihrer Stimme.
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig verstanden habe.“
„Sebastiano, mach das Gerät doch wieder aus“, bittet Watson den Koch.
Distanz zur Katastrophe
Ein größeres Manko der Geschichte ist, dass sie zu wenig mit Emotionen spielt. Brandon Q. Morris ist Physiker und lupenreiner Hard Science-Fiction-Autor, das heißt, Technik und Wissenschaft ist sein Ding. Dass er deswegen nicht tiefgründig Emotionen und menschliches Handeln erkundet, ist daher verständlich. Dadurch wirkt die Geschichte allerdings auch etwas distanziert. Nur ganz am Rande berichtet Morris davon, dass in manchen Regionen der Erde das öffentliche Leben zusammenbricht und kaum noch jemand zur Arbeit geht.
Die Figuren, auf die es ankommt, die machen natürlich weiter. Unsere Maribel zum Beispiel scheint alles sogar relativ positiv zu sehen. Sie will noch einen Monat arbeiten und dann zusammen mit ihrem Geliebten auf Reisen gehen. Einen Platz auf der Rettungsarche, die 100 Menschen aus dem Aktionsradius der Katastrophe bringen soll, lehnt sie auch ab, weil sie dann ohne ihren Freund weiterleben müsste.
Die Besatzung der Kiska sieht es noch lockerer. Ihr Leben ist weder akut, noch chronisch bedroht, da sie sich den Rest ihres Lebens selbst versorgen können. Ist zwar blöd, dass man nie wieder zur Erde zurück kann, aber eigentlich vermisst man dort sowieso niemanden. Von daher – wayne.
Das wirkt alles extrem distanziert und unspektakulär. Um den Weg zum Ende (wird die Katastrophe aufgehalten oder nicht?) interessanter zu gestalten, müsste der Leser emotional mehr involviert werden. Ein interessanter Ansatz wäre dabei die Rettungsarche. Von zehn Milliarden Menschen erhalten nur 100 die Chance, weiterleben zu können. Dass der Rest deswegen missmutig ist und einzelne Menschen versuchen, sich mit zweifelhaften Versuchen auch einen Platz zu sichern, ist verständlich. Aber diese Episode beschreibt Morris nur am Rande, sie trägt nicht zur Verringerung der Distanz zwischen Geschichte und Leser bei. Auch die in der Realität höchst dramatische Auswahl dieser wenigen Personen bleibt unemotional.
Aber es geht auch deutlich schlimmer. Morris‘ Dialoge und die zwischenmenschlichen Szenen wirken bei weitem nicht so aufgesetzt, wie ich sie etwa aus Andreas Brandhorsts Das Erwachen in Erinnerung habe.
Der Anhang: „Die neue Biografie Schwarzer Löcher“
Morris hängt seinen Hard Science-Fiction-Büchern am Ende gern noch einen anschaulich geschriebenen Aufsatz zum behandelten Phänomen an. Bei The Hole geht es natürlich um Schwarze Löcher. Das fand ich wirklich sehr informativ und gut erklärt – es würde sich daher eigentlich empfehlen, den Anhang noch vor der Geschichte selbst zu lesen :D
Allerdings wird der fast 40-seitige Artikel zum Ende hin sehr kompliziert. Das liegt nicht an Morris‘ Erklärfähigkeiten, sondern an der Komplexität des Themas. Ich bin dann bei x verschiedenen Dimensionen ausgestiegen und habe daraus mitgenommen: Wir wissen so wenig! Im Grund ist vollkommen unklar, wo und was wir genau sind.
Das Universum, wie wir es kennen, wäre damit der dreidimensionale Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs mit vier Raumdimensionen, das beim Kollaps eines ebenfalls vierdimensionalen Sterns entstanden ist.
The Hole (Anhang), S. 409
The Hole – Wertung
Man kann das Buch ganz gut lesen, aber es bleibt relativ kantenlos. Es gibt nicht viel besonders zu loben, aber auch keine allzu große Kritik. Wer sich aber für Schwarze Löcher interessiert, der sollte zugreifen – allein wegen des wirklich guten Anhangs und der Geschichte, die Morris sozusagen passend dazu liefert :D
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