Kürzlich hat Elon Musk, der große Tech-Visionär, der in sieben Jahren zum Mars fliegen will, auf Twitter eine Aussage gemacht, die viele Menschen schwer irritieren dürfte: Mit 40 Wochenstunden habe noch niemals jemand die Welt verändert. In Zeiten, in denen flexible Arbeitsmodelle, mehr Teilzeit und Sabbaticals zur Selbstverwirklichung immer beliebter werden, kann man Musks Ansage, dass wir alle zu faul seien, schon irgendwie persönlich nehmen. Was steckt dahinter?
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Was war passiert?
Es begann damit, dass Musk einen Artikel des Wall Street Journals teilte, in dem festgestellt wird, dass Musks Firma Tesla bei Bewerbern extrem beliebt sei, obwohl das Arbeitspensum sehr hoch sei. Musk schrieb dann dazu, dass Angestellte seiner Firmen die Chance haben, „neue technologische Welten“ zu schaffen. Er gibt zu, dass es „einfachere Arbeitsplätze“ gebe, aber
„niemand hat jemals die Welt mit 40 Wochenstunden verändert.“
Das ist die gewagte Aussage Nr. 1. Daraufhin fragte ihn jemand, wie viele Stunden pro Woche denn exakt nötig seien, um die Welt zu verändern. Er antwortete darauf mit Aussage Nr. 2 sehr detailliert:
Das hängt von der Person ab, aber ungefähr durchschnittlich 80, manchmal auch bis über 100 pro Woche.
Obwohl ich bekennender Musk-Fan bin und vieles einfach toll finde, was er macht, musste ich hier erstmal schlucken. Bin ich faul mit meinen „nur“ 40 Stunden? Arbeite ich zu wenig? Müsste ich doppelt so viel arbeiten, um etwas zu ändern, und ist mein Leben also sinnlos?
Eine 80-Stunden-Woche wären über elf Stunden pro Tag – an sieben Tagen die Woche. Oder, falls man das Wochenende frei haben möchte, 16 Stunden an fünf Tagen. Ein solcher Einsatz ist nur dann möglich, wenn man entweder keine Wahl hat (Näherinnen in Bangladesh?) oder wenn man für das, was man tut, wirklich brennt. Denn dann ist wirklich keine Zeit mehr für irgendetwas anderes. Der Job ist buchstäblich der Lebensinhalt, oder anders gesagt: man lebt für das, was man tut – weil es einem Spaß macht und/oder weil man es für sinnstiftend hält.
Und damit sind wir wieder bei Elon Musk. Er hat natürlich wegen seiner Aussage in den Medien die Hucke voll bekommen – auch nicht ganz unverdient. Aber dennoch muss man sie relativieren bzw. im Kontext sehen. Hier also ein wenig Kontext. Das bin ich ihm irgendwie schuldig :D
Hintergrund zu Elon Musk
Musk ist natürlich Idealist und ein Ausnahmemilliardär. Er hält nichts von langen Reisen, Yachten und sonstigem Schnickschnack.
Und was man so hört, soll er auch im zwischenmenschlichen Bereich ein paar Mängel haben. Sein Leben scheint seine Arbeit zu sein. Was ihn antreibt, ist tatsächlich der Wille, mehr zu erreichen als bestehende Probleme zu lösen und die üblichen Status Symbole – also Geld und Macht – anzusammeln. Er möchte den Mars besiedeln.
Im März 2018, kurz nach dem erfolgreichen Testflug der Falcon Heavy-Rakete seiner Firma SpaceX, wurde er auf einer Veranstaltung gefragt, warum er ein Raumfahrtunternehmen gegründet hat. Seine Antwort – die ihr unten im Video selbst anhören könnt – sagt viel aus:
There are a lot of negative things in the world, terrible things happening all over the world, all the time. […] Live cannot just be about solving one miserable problem after another. That can’t be the only thing. There need to be things that inspire you. That make you glad to wake up in the morning, to be part of humanity. That’s why we did this. This guy called Tuchowsky, an early russian rocket scientist, had a great saying: „Earth is the cradle of humanity, but it cannot stay cradle forever. It is time to go forth, become a star faring civilization, be out there among the the stars, expand the scope and scale of human consciousness„. I found that incredibly exciting. That makes me glad to be alive. I hope you’re feeling the same way.
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Es gibt viele negative Dinge auf der Welt, schlimme Dinge passieren auf der ganzen Welt, die ganze Zeit. […] Im Leben kann es nicht nur darum gehen, ein elendes Problem nach dem anderen zu lösen. Das kann nicht das einzige sein. Es muss Dinge geben, die euch inspirieren. Die euch glücklich machen, morgens aufzuwachen und Teil der Menschheit zu sein. Darum tun wir das. Ein Typ namens Tuchowsky, ein früher russischer Raketenwissenschaftler, sagte: „Die Erde ist die Wiege der Menschheit, aber sie kann nicht immer die Wiege bleiben. Es ist Zeit, weiterzugehen, eine raumfahrende Zivilisation zu werden, da draußen zwischen den Sternen zu sein und den Umfang und die Größe des menschlichen Bewusstseins zu erweitern„. Ich fand das unglaublich aufregend. Das ist es, was mich glücklich macht, am Leben zu sein. Ich hoffe, ihr findet das auch.
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Sein schnelles Twitter-Statement über die Mindestarbeitszeit, um die Welt zu verändern, bezieht sich wohl auf seinen eigenen Anspruch. Elon Musk betreibt mehrere Firmen, mit denen er die Welt verändern will und teilweise schon hat. Und das wäre wohl wirklich kaum mit einer 40-Stunden-Woche möglich. So mag seine strenge Burnout-Aussage dann stehen bleiben. Seine als unzureichend bezeichnete 40-Stunden-Woche steht dann natürlich auch als Metapher für „Stempelkartendienst nach Vorschrift“ und jeden anderen „Nine to Fife Job“, den viele Menschen abspulen – auch das muss man sehen.
Woran misst man den Wert von Arbeit?
Dennoch habe ich an Musks Aussage zu knabbern. Sie sagt ganz kompromisslos: Mit 40 Stunden kann niemand die Welt verändern. Dazu braucht es schon 80 Stunden oder sogar deutlich mehr.
Oder in anderen Worten: Jeder, der deutlich weniger arbeitet als 80 Stunden pro Woche, kann nicht dazu beitragen, die Welt zu verändern. Ganz egal, was man tut – deine Arbeit ist damit Mainstream und für die Menschheit eigentlich wertlos, da sie nicht zu ihrer Entwicklung beiträgt.
„Niemand hat jemals die Welt in einer 40-Stunden-Woche verändert.“ Elon Musk macht damit den Wert einer Tätigkeit von der Arbeitszeit abhängig. Ich finde, diese Aussage geht am Ziel vorbei. Hier ein paar Beispiele.
Ein paar wichtige Weltveränderungen
Was ist mit Martin Luther, der sich im 16. Jahrhundert gegen Kaiser und Papst stellte („hier steh ich nun und kann nicht anders“). Er zeigte den Menschen auf, dass sie von der Kirche ausgenutzt werden und trug mit seiner Bibelübersetzung dazu bei, dass die Menschen sie (theoretisch) selbst lesen konnten, anstatt lateinische Gebete auswendig zu lernen. Wie waren seine Arbeitszeiten als Kirchenreformator? Legte er freitags nach 80 Stunden seine Schreibfeder weg? Oder hat Luther etwa ganz anders gedacht als in Wochenstunden?
Und wenn wir schon dabei sind, was ist mit Martin Luther King? Er träumte in den 1960ern von einer Welt ohne Rassismus, in der alle Menschen gleich behandelt werden. War er Träumer mit festen Arbeitszeiten? Nein, er war Teilzeit-Pastor und Bürgerrechtler. Was ist da überhaupt die Arbeit – das, womit er sein Geld verdient, oder das, was er neben der Arbeit macht? Es geht hier nicht um eine 40- oder 80-Stunden-Woche! Durch Menschen wie Martin Luther King veränderte sich die Welt – aber nicht durch die Stechuhr, sondern durch seine Vorstellungen von einer besseren Welt, und seinem Mut, öffentlich davon zu sprechen (später wurde er erschossen).
Die Welt zu verändern erreicht man auch nicht nur per langer, ausdauernder Arbeit. Manche Menschen haben die Welt mit einzelnen Taten oder Entdeckungen verändert. 1928 vergaß der Bakteriologe Alexander Fleming eine Petrischale mit Brot im Waschbecken und stellte dann zufällig fest, dass sich dort ein Antibiotikum gebildet hat, das Keime abtötet. Er hatte ein „Wundermittel“ entdeckt, das er Penicillin nannte. Seitdem sterben deutlich weniger Menschen an lebensgefährlichen Infektionen.
Edward Snowden veränderte die Welt, indem er sein Wissen über das systematische Abhören und Ausspionieren aller Menschen weltweit publik machte. Das ist in Arbeitszeit nicht zu messen. Natürlich gelangte er während seiner Arbeitszeit (keine Ahnung, wie viele Wochenstunden) an diese Erkenntnisse, aber er arbeitete dabei nicht darauf zu, die Welt verändern zu wollen. Sein Whistle-blowing war eine Gewissensfrage, die ihn persönlich sehr viel gekostet hat, da er nun nicht mehr zurück in seine Heimat kann. Musks Aussage wird solchen Fällen nicht gerecht.
Arbeit, die man liebt – ein Privileg
Und wo zieht man überhaupt die Grenze zwischen Arbeit und Leben? Bei den beiden Martin Luthers oben zeigte es sich schon: Manche Menschen sind untrennbar mit ihrer Arbeit, oder sagen wir – mit ihrer Berufung verwoben. Wenn ein Christoph Kolumbus nach Westen segelte, um Indien zu entdecken, dann war er 24 Stunden am Tag an Bord und theoretisch „auf der Arbeit“. Genauso Charles Darwin, der als erster die Evolution als fortschreitenden Prozess beschrieb. Dadurch veränderte sich unser Verständnis vom Leben auf der Erde grundlegend. Dafür war er jahrelang auf einem Schiff unterwegs, beobachtete Tiere und Pflanzen, machte sich Aufzeichnungen. Darf man hier von „Arbeit“ sprechen?
Auch Elon Musk darf man vielleicht mit in diese Kategorie von fast schon „fanatisch Berufenen“ stecken. Da kann nach 8 Stunden am Tag natürlich nicht Schluss sein. Er gibt den Kurs seiner Unternehmen vor, inspiriert und motiviert durch seine Visionen.
„If you love what you do, it (mostly) doesn’t feel like work“ – Wenn du liebst, was du tust, dann fühlt es sich (meistens) nicht wie Arbeit an
Dieses Zitat, das Musk im Zusammenhang mit seinen beiden Tweets gebracht hat (siehe oben), stimmt natürlich. Nur lieben die meisten Menschen nicht das, was sie tun, aus unterschiedlichen Gründen. Eine solche Arbeit zu haben oder sogar Firmen aufzubauen, die die Welt verändern, ist ein Privileg.
Aber nicht jeder kann seine Arbeit als Berufung sehen – auch nicht bei Tesla. Schaut man sich an, wie viele Manager das Unternehmen oft nach nur wenigen Monaten wieder verlassen, sieht wohl, dass die Tätigkeit für eine Firma, „die die Welt verändern will“, oft nicht ausreicht. Und auch die Arbeiter am Band, die die mittlerweile 1000 Model 3-Neuwagen pro Woche zusammenschrauben und -schweißen, teilen vielleicht Musks Visionen, aber eben nicht seine Berufung. Die Sekretärinnen, die Buchhalter, – all diejenigen, die „nur“ abarbeiten und nicht selbst kreativ entwickeln, alle die werden wohl nicht „jeden Morgen glücklich damit sein“, ihre Arbeit zu machen.
Es ist wichtige Arbeit, die getan werden muss – aber es ist keine weltverändernde Arbeit. Sekretärinnen, Buchhalter und Fließbandarbeiter gibt es überall. Kann es Berufung sein, am Band zu stehen? Möchte man dafür sein gesamtes Privatleben opfern? Auch, wenn Tesla natürlich tolle Autos baut, deren Existenz die Autoindustrie weltweit komplett umgekrempelt hat.
Was braucht es, um die Welt zu ändern?
Und dann muss man fragen: Darf Elon Musk einen solchen Einsatz, den er selbst gern bringt, von seinen Heerscharen an Mitarbeitern erwarten, die nur Befehle empfangen? Von denen viele eher repetative und vielleicht auch wenig erfüllende Aufgaben erledigen? Nicht jeder hat das Glück, genau das machen zu können, was man sowieso gern macht und wofür man sich begeistert.
Wozu also diese Aussage mit den 80 Wochenstunden? Warum kann man die 80 Stunden nicht auf zwei 40-Stunden-Mitarbeiter verteilen, anstatt sich Burnout-Kandidaten heranzuzüchten?
Nur, weil jemand sehr viel arbeitet, heißt das auch nicht, dass er damit die Welt verändert oder verändern will oder kann. Dazu bedarf es auch anderer Faktoren als reiner Zeitinvestition:
- Beharrlichkeit, Zielstrebigkeit und oft auch Mut – siehe Beispiele oben
- Aber auch: Glück
Glück insofern, dass man zufällig eine Entdeckung macht, bevor es jemand anderes tut. Aber auch, dass man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist und eine wichtige Chance bekommt oder einen super Deal abschließen kann. Und natürlich das Glück, privilegiert zu sein und die Möglichkeit zu haben, sich Fähigkeiten aneignen zu können. Oder auch das Glück, von Anfang an über genügend Geldmittel zu verfügen, mit denen man seine Ziele erreichen kann.
Charles Darwin beispielsweise stammt aus der Oberschicht und konnte sich im Zeitalter der Industrialisierung und der ausgenutzten Fabrikarbeiter eine hervorragende Ausbildung und lange Schiffsreisen leisten. Bei Bill Gates trifft sogar beides zu: Er entstammt ebenfalls der Oberschicht und hatte Zugriff auf Computertechnik, als diese noch extrem selten verfügbar war. Und dann hat er ein paar sehr vorteilhafte Deals einfädeln können, die letztlich dazu führten, dass seine Software auf einem Großteil aller Computer weltweit läuft. Und wer könnte sich heute ein Büro ohne Word und Excel vorstellen?
Arbeitszeiten sagen nicht alles aus
Auch die Erbauer der ersten Atombombe veränderten übrigens die Welt. Zu Kriegszeiten vielleicht sogar mit 80 oder mehr Wochenstunden, das kann sein. War die Änderung gut? Für die Menschen in Nagasaki und Hiroshima war sie tödlich, aber immerhin sorgen Atombomben danach, dass der Kalte Krieg kalt blieb. Dennoch – die Mitarbeiter des Manhattan-Projektes veränderten die Welt eindeutig. Indem sie die tödlichste Waffe überhaupt bauten. Viel arbeiten heißt nicht unbedingt auch edler Zweck.
In seiner Aussage misst Elon Musk aber den Workaholics bzw. ihrer Arbeitskraft mehr Wert zu, einfach weil sie dem Unternehmen mehr Zeit zur Verfügung stellen.
Das wird aber eigentlich niemandem gerecht:
- nicht denjenigen, die durch Mut und Überzeugung die Welt verändert haben, anstatt durch lange Arbeitszeiten – siehe weiter oben.
- nicht denjenigen, die extrem viel arbeiten (müssen), aber die Welt nicht verändern (können), wie Ärzte oder Näherinnen in Bangladesh.
- nicht denjenigen, die leider keinen Job haben, der ihnen so viel Spaß macht.
- nicht Müttern, die quasi 20 Stunden des Tages nur für ihre Kinder da sind (okay, vielleicht heißt eines der Kinder Elon Musk und wird einmal die Welt verändern)
- nicht denjenigen, die neben ihrer langweiligen, rechnungsbezahlenden Haupttätigkeit durch politischen Einsatz, auch auf Demonstrationen, dazu beitragen, dass die Welt sich verändert.
- nicht denjenigen, die zwar selbst die Welt nicht verändern, aber etwa Geld an Organisationen spenden, die das tun (Greenpeace, Plastiksammler im/am Meer, Artenschutz-Organisationen).
- nicht denjenigen, deren Berufung ihre Familie ist, oder der eigene Reiseblog, oder die Vereinsarbeit.
- nicht den Pendlern, die drei Stunden täglich unterwegs sind, um überhaupt arbeiten zu können.
- nicht den Bauarbeitern oder Straßenbauern, die körperlich gar nicht länger arbeiten können, egal, wie edel der Zweck des Bauwerks ist.
Ich mag Elon Musks Visionen sehr und ich bin auch schon vor seiner Inspire-Rede der Meinung gewesen, dass es durchaus legitim ist, sich fernen Zielen zuzuwenden, anstatt aktuelle Probleme zu lösen. Ohne solche Aufbrecher-Typen würden wir uns im Kreis drehen.
Dennoch ist Musks Aussage arrogant, denn sie lässt ausschließlich die Weltveränderer gut dastehen. Diejenigen, die den ganzen Rest machen und den Laden am Laufen halten (müssen) – die verschwinden aus seinem Bild der relevanten Tätigkeiten. Und das ist ziemlich unfair.
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