Es gibt Grund zum Jubeln! Eines der schönsten und aussagekräftigsten neuzeitlichen Kartenwerke über die süddeutschen Landen steht jetzt für die Öffentlichkeit zur Verfügung – die Schmitt’sche Karte von Südwestdeutschland aus den Jahren 1797 und ’98. Mit der (digitalen) Karte habe ich dank „Sondergenehmigung“ an der Uni vor 2-3 Jahren schon gearbeitet und sie auch in meiner Masterarbeit verwendet. Aber es war nicht erlaubt, sie auf irgendeine Art und Weise zu veröffentlichen. Sonst hätte ich damals schon eine halbe Milliarde Beiträge damit zugekleistert :D
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Was zeigt die Schmitt’sche Karte?
Die Karte deckt mit ihren 198 Kartenblättern die gesamte südliche Hälfte Deutschlands ab, dazu in Österreich noch Teile von Vorarlberg, Tirol und Salzburg. Damit eignet sie sich ziemlich gut für großräumige Betrachtungen. Ich bin von der Schmitt’schen Karte deswegen so begeistert, weil sie zum einen wirklich sehr hübsch aussieht, sie mutet fast wie ein Kunstwerk an! Aber vor allem zeigt sie die Landschaft vor der Industrialisierung und spart dabei auch nicht mit Details. So sind Wege und Straßen je nach Wichtigkeit abgebildet, aber auch Gewässer sind sehr genau wiedergegeben sowie herausragende Punkte in der Landschaft, wie Mühlen, Galgen, Bildstöcke etc. Wer sich für Regionalgeschichte interessiert, kann darauf wirklich sehr interessante Entdeckungen machen.
Nun stellte ich durch reinen Zufall fest, dass das Wiener Kriegsarchiv, wo die Kartenblätter im Original lagern und das die Rechte an der Digitalversion hat, diese nun frei zur Verfügung stellt. Und zwar zur einfachen Verwendung bereits komplett georeferenziert und in einen Kartenviewer eingebunden.
Hier eine Vorschau: Ihr könnt mit dem Mausrand reinzoomen und mit der linken Maustaste den Ausschnitt bewegen.
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Wer mehr Funktionen möchte, der sollte direkt auf die Mapire-Website gehen. Um die Schmitt’sche Karte anzuschauen, wählt oben unter „Landkarten“ einfach „Europakarten“ und dann „Europa im 18. Jahrhundert“. Dort ist auch eine moderne Open Street Maps-Karte eingeblendet. Durch das Verringern der Transparenz der Schmitt’schen Karte oben rechts („Opazität“) könnt ihr beide Karten direkt vergleichen. Per Klick auf „Synchronisierte Ansicht“ unter der Karte werden die jeweils gleichen Ausschnitte beider Karten nebeneinander eingeblendet.
Entstehung und Genauigkeit der Karte
Die Kartenblätter entstanden zwischen Anfang 1797 und Ende 1798 im militärischen Kontext, nachdem Frankreich unter Ludwig XVI. der Habsburgermonarchie 1792 den Krieg erklärt hatte (Erster Koalitionskrieg). Aus dem Grund ist die Karte auch nicht – wie heute üblich – genordet, sondern gewestet. D.h. oben ist nicht Norden, sondern Westen. Wer von Österreich aus gegen die Franzosen ins Feld zieht, der marschiert gen Westen und hat auf der Karte das Ziel somit immer vor sich :D
Der Maßstab der Karte beträgt ca. 1:57.600 (umgerechnet aus Wiener Klafter und Zoll), insgesamt umfasst die Kartensammlung 198 Blätter á ca. 63 x 42 cm. Verantwortlich für die Anfertigung der Landesaufnahme war der Generalquartiermeister Heinrich von Schmitt. Die Schmitt’sche Karte war wegen des militärischen Hintergrundes streng geheim und verschwand offenbar direkt nach Fertigstellung im Kriegsarchiv.
Vermutlich galten für die Kartierer die gleichen Anfertigungsvorgaben wie für eine etwas ältere Karte:
„…daß eine vollständige Militärkarte zu gestalten der Auftrag ist, folgsam nicht allein die größeren Gegenstände nehmlich Städte, Markflecken, Dörfer,Schlösser, Klöster, Berge, Thäller, Wälder, Weingärten, Felder mit Unterscheidung des sandig-steinig- und leimigten Grundes, dann Flüsse, Hauptstrassen mit Unterscheidung der Post- und anderen Wegen, sondern auch kleineren Objekta, zum Exempel: Brücken, Hügeln, Hohlwege, Fußsteige, Bächlein, Teiche, Moräste, Gebüsche, Ravinen, Pässe, wo mit oder ohne Wägen durchzukommen, wo Flüsse entweder zu Pferd passieren, oder Brücken zu schlagen thunlich, wo Verhacke anzubringen, oder wo, im Fall die Gränitz besetzt werden müsste, die notwendigsten Hauptposten mit oder ohne Fortification auszustellen…“ (zitiert nach Häberlein – Hagel, s.u., S. 2)
Wenn ihr die Karte in eine moderne Karte überblendet, seht ihr, dass sie im Großen und Ganzen stimmt. Aber eben nicht exakt. Die Schmitt’sche Karte lässt sich nicht genau 1:1 auf eine moderne Karte übertragen. Für die damalige Zeit war diese „fast“-Übereinstimmung aber eine ziemlich beeindruckende Leistung, finde ich. Und für den Zweck – Orientierung in der Landschaft bei Vormarsch, Angriff und Verteidigung – reicht das auch vollkommen aus. Die Karte wird deswegen trotz einiger Ungenauigkeiten als „weitgehend zuverlässig“ betrachtet. Wer heute ganz bestimmte Wege oder Ortsdurchfahrten identifizieren will, muss aber ein wenig mitdenken und genau vergleichen. Wenn es ganz genau übereinstimmen würde, wäre es aber auch langweilig, oder? :D
Die Ungenauigkeiten in den Entfernungen sind aber auch kein Wunder, wenn man bedenkt, wie Entfernungen gemessen wurden: „Anvisiert wurden beispielsweise Knickpunkte von Wegen und Bächen, vor allem Brücken und Gebäude sowie Nutzungsartengrenzen und Geländeknicke. Die Entfernungen zu diesen Punkten [vom Messtisch aus] wurden wohl in der Regel durch Abschreiten zu Fuß und – bei längeren Strecken – durch Abreiten mit dem Pferde ermittelt. Punkte von besonderer Bedeutung bestimmte man durch Vorwärtseinschneiden von zwei Standpunkten aus. So manche Entfernung dürfte allerdings mit dem Auge geschätzt worden sein.“ (Häberlein – Hagel, S. 2)
Interessanter Blick in die Vergangenheit
Es lohnt sich, die Karte sehr genau anzuschauen – ganz besonders die Regionen, die ihr selbst gut kennt. Auch, wenn sie nicht exakt mit den tatsächlichen Begebenheiten übereinstimmt, werdet ihr faszinierende Entdeckungen machen. Ihr werdet z.B. eine riesige Fülle an Mühlen finden. Mühlen sind einfach überall! Man sollte kaum glauben, wie viele Mühlen es vor der Industrialisierung gab – und wie wenig präsent sie jetzt sowohl in der Landschaft als auch in der Wahrnehmung sind. Übrigens werdet ihr feststellen, dass ihr oft dort, wo es früher eine Mühle gab, heute immerhin einen Mühlenweg oder sowas finden werdet, der daran erinnert.
Faszinierend ist auch zu sehen, wie sehr sich fast alle Ortschaften verändert und vergrößert haben. Bei Seckenheim ist auf der Karte beispielsweise ein Stück außerhalb des Ortes eine Kapelle eingezeichnet. Vergleicht ihr das mit dem heutigen Stadtgrundriss, dann seht ihr, dass diese Kapelle längst vom Ort „geschluckt“ wurde. Aber! Nicht ganz. Die Kreuzung, an der die Kapelle früher stand, ist heute der dicht umbaute Kapellenplatz und ein größerer Kreisverkehr. Faszinierend, oder? Wenn man sich vorstellt, wie man um 1800 von dort aus ein Stück weit entfernt den Ort sehen konnte, hier an der Kapelle aber seine Ruhe hatte. Was gibt es bei euch so zu entdecken?
Straßen und Wege spielen bei militärischen Überlegungen eine besonders wichtige Rolle, deswegen sind sie auch sehr sorgfältig vermessen und dargestellt (siehe weiter unten). Das ist besonders toll, wenn man sich für die Altwegeforschung interessiert <3 Auf der Karte seht ihr übrigens schon einige Chausseen, also neu angelegte Straßen mit fester Fahrbahndecke, die ungefähr ab der Mitte des 18. Jahrhunderts aufkamen und nach und nach das mittelalterliche Wegenetz ersetzten. Chausseen erkennt ihr meistens daran, dass sie als Hauptstraße eingezeichnet sind und meist gerader verlaufen als alte Wege.
Im Bild unten mal ein paar Beispiele aus dem Heidelberger Raum: Trassen auf alten Römerstraßen, neue Chausseen und die Bergstraße, die wohl schon vor der Römerzeit genutzt wurde. Eine Chaussee kann natürlich auch nur die begradigte und gepflasterte Version einer älteren Vorgängerstraße sein.
Jedenfalls: Die Schmitt’schen Karten spiegeln nicht mehr wirklich das mittelalterliche Straßennetz wieder, das vor dem Chausseebau Jahrhunderte lang weitgehend unverändert blieb. Aber sie zeigen auch die Situation vor dem Eisenbahnbau, der 50 Jahre später schon wieder deutliche Kerben in die Landschaft getrieben hat. Sie zeigen also die Infrastruktur in der Übergangszeit zwischen dem Mittelalter mit seinem Ortsverbindungen-Straßennetz und der Industrialisierung mit ihren massiven Eingriffen in die Topographie.
Hinweise zur Darstellung
In Ortschaften dürft ihr euch nicht darauf verlassen, dass der Grundriss korrekt wiedergegeben ist. Siedlungen sind oft vereinfacht dargestellt, die Umrisse stimmen aber ungefähr. Meistens könnt ihr immerhin die Hauptachsen der Straßen heraussehen und so mit dem heutigen Straßennetz im Ort vergleichen.
Die Kartenblätter sind untereinander häufig sehr uneinheitlich: Manche sind sehr bunt und detailliert, andere wirken fast einfarbig.
Straßen
- Hauptstraßen: rot ausgemalte Doppellinie
- Nebenstraßen: braun ausgemalte Doppellinie
- Unbedeutendere Straßen: schwarze Linie mit braunem Farbsaum
- Wege: schwarze Linie (zB. Ochsenwege)
- Fußwege: punktierte Linie
- Alleen: zusätzlich zur Linie noch Bäume entlang der Linie
Einzelsignaturen
- Bildstöcke (angedeutetes Kreuz)
- Brücken
- Furten
- Galgen (zwei- oder dreibeiniges Gestell)
- Kapellen
- Kirchen
- Mühlen (Kreis mit Speichen nach außen)
- Schanzen
- Wegkreuze
- Steinbrüche, Ziegeleien, Zollhäuser, einzeln stehende Wirtshäuser, Bergwerke (häufig auch beschriftet)
Bei manchen Siedlungen sind rote Zahlen angegeben, die als Anzahl der Herdstellen (also Haushalte?) im Ort gedeutet werden.
Vegetation
- Wälder: grauschwarz mit Strichen
- Wiesen: hellgrün
- Sumpfwiesen / Sümpfe: grüne Flächen mit waagerecht liegenden blauen Strichen
- Obstgärten: olivgrün
- Weinberge: lachsrot, manchmal mit Weinstöcken
Ackerland und Ödland sind nicht dargestellt.
Verwendete Literatur:
R. Häberlein – J. Hagel, Die Schmitt’sche Karte von Südwestdeutschland 1:57 600. Erläuterungen, Reproduktionen alter Karten (Stuttgart 1987)
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