Mal ein ganz anderes Thema, das sich aus einer (für mich) topaktuellen Begebenheit ergibt. Eigentlich eine Kleinigkeit, die das Leben nicht allzu schwer tangiert. Trotzdem beschäftigt es mich: Wie geht es eigentlich meinem Handschuh, den ich heute morgen leider durch Unachtsamkeit verloren habe?!
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Die Geschichte trug sich so zu: eine mir persönlich bekannte Websitebetreiberin und zufällig auch Verfasserin dieser Worte fuhr heute Morgen wie fast jeden Morgen mit dem Fahrrad zur Arbeit. Zu Beginn ists immer kalt, deswegen trägt sie Handschuhe und eine Mütze. Nach 20 Minuten ist es nicht mehr kalt, sondern heiß, also müssen Handschuhe und Mütze weichen, sie wandern in den Rucksack im Fahrradkorb hinten. Unbemerkt öffnete sich der Rucksack aber im Laufe der folgenden zehn Minuten. Als ich (oh, jetzt ist es raus..) ankam, stellte ich fest, dass Handschuhe und Mütze weg waren.
Die Mütze war ein handgestricktes Geschenk, aber ich hatte sie noch nicht so lange. Schade zwar, aber noch kein so hoher emotionaler Wert. Die Handschuhe dagegen begleiten mich seit 11 oder 12 Jahren. Ich hatte sie mal auf einem Mittelalter-Weihnachtsmarkt in Köln gekauft: Mit Schaffell gefüttertes Wildleder. Super tolle Handschuhe und mir sehr ans Herz gewachsen. Seit über einem Jahrzehnt ein verlässlicher Garant für warme Hände. Ich hab immer gut drauf aufgepasst und war mir ihres Wertes (für mich) sehr bewusst.
Die folgende Stunde saß ich im Büro am Rechner und konnte mich nicht konzentrieren. Liegen die Sachen heute Nachmittag noch irgendwo unterwegs rum? Kann ich sie dann zufällig wiederfinden? Oder sind sie echt weg? Egal, womit ich auf der Arbeit anfing, nach kurzer Zeit kamen meine Gedanken darauf zurück, dass meine Handschuhe nicht mehr in meinem Besitz sind.
„Ich will es zurück!“
Kennst du das auch? Wenn dir ein Gegenstand abhanden gekommen ist, an den du sehr gewöhnt bist, und du dann immer daran denkst, dass er nun nicht mehr da ist?
„Klagt die gerade ernsthaft im Internet über verlorene Handschuhe? Bei all den Problemen, die wir auf dieser Welt haben? Bei täglichen tragischen Unfällen mit Todesfällen und bedauernswerten tödlich Erkrankten?“ …. Ja, warum denn nicht – wenn man danach ginge, dürfte man eigentlich nie klagen, denn es kann immer schlimmer sein.
Klar – eine Trennung in einer Beziehung ist eine ganz andere Qualität. Oder der Verlust eines Menschen. Das ist nicht wirklich vergleichbar. Aber dennoch, dafür, dass es nur ein lebloses Objekt ist, reagiere ich relativ heftig darauf.
Um halb 9 hielt ich es nicht mehr aus, sattelte ich mein Rad erneut und fuhr zurück bis zu der Stelle, an der ich die Sachen weggepackt hatte. Unterwegs fand ich den rechten Handschuh einsam am Straßenrand in einem Wohngebiet liegen. Nur ein Auto war drüber gefahren (also fast nicht platt). Gleich übergestreift, aaah, dieses wohlvertraute Gefühl! Die linke Hand musste leider am Lenker frieren. Unterwegs ließ ich meinen Blick über den Boden schweifen, fand aber keinen 2. Handschuh und auch keine Mütze.
Und da bin ich nun. Nur noch ein Handschuh übrig und die Mütze ist weg.
Irrationales Mitgefühl mit Gegenständen
Und jetzt wird es irrational. Die Vorstellung, dass der arme andere Handschuh irgendwo da draußen liegt, vielleicht mehrfach überfahren, vielleicht im Müll, allein in der Kälte, weg von der gewohnten Besitzerin, die ihn wertschätzt – weggeworfen. Mir blutet das Herz.
Eine andere Erfahrung, die ich als junge Erwachsene mit 18 Jahren gemacht habe: Ich wuchs mit einem Kuschelkissen auf. Es war immer bei mir, seit ich denken kann. Im schönen Milleniumsjahre 2000 fuhr ich mit meinem damaligen Freund auf die EXPO/Weltausstellung in Hannover. Das Kissen war mit dabei, denn „ohne mein Kissen kann ich nicht schlafen“. Leider ließ ich es dann im Hotel liegen. Ich fand zu Hause keine Ruhe, und obwohl ich telefonieren hasse (damals noch weit mehr als heute), rief ich bei der Gastwirtin an und bat sie, mir das Kissen zuzuschicken. „Ich hätte es gern wieder und kann es gut gebrauchen.“ – „Ja, ich auch“, war ihre Antwort. Da war mir schon klar: Das Kissen bekomm‘ ich nicht wieder. Trotzdem wartete ich wochenlang, ob der Postbote nicht doch eine gute Nachricht hätte. Hatte er nicht.
Diese Vorstellung, was mit dem geliebten Ding passiert, ist glaube ich das Schlimmste – obwohl es doch nur Gegenstände sind. „Mein armes Kissen liegt jetzt in Hannover, ganz allein und weit weg von zu Hause.. Niemand kümmert sich darum oder weiß es zu schätzen, und irgendwann landet es auf dem Müll. Ich will es wieder bei mir haben..!“
Woher diese emotionale Reaktion? Ich weiß doch, dass Gegenstände wohl kaum zu bemitleiden sind. Tue ich mir selbst mehr leid, weil das Teil nun weg ist und projiziere das irgendwie in Trauer und Sorge statt in Wut (auf mich selbst, weil ich unachtsam war)?
Der Einfluss tragischer Märchen auf das kindliche Gemüt
Oder ist es eine traumatische Kindheitserinnerung an diverse, sehr tragische Märchen von verloren gegangenen Zinnsoldaten oder Weihnachtsbäumen, die nicht beachtet werden und danach im Ofen landen, ohne zu verstehen, warum ihnen das passiert?
Zufällig habe ich eins meiner alten Märchenbücher da. Sie begleiten mich schon mein ganzes Leben etc. pp und ich darf sie btw. niemals verlieren! Werd ich auch nicht. Jedenfalls, hier seht ihr Auszüge aus „Der Tannenbaum“ nach Hans Christian Anderson, dessen Geschichten irgendwie nie gut ausgehen.
Märchen habe ich immer geliebt, sie bilden so eine phantasievolle Welt ab, voller Wunder, Zauber, Königssöhnen .. Einfach Geschichten aus einer anderen Welt und Zeit. Aber manche davon sind einfach unfassbar tragisch. Da bekommt man „schöne Geschichten“ vorgelesen, aus denen man mitnimmt, dass der arme Baum schrecklich einsam ist, nicht weiß, was ihm geschieht, sich zurück in die Heimat sehnt und am Ende verbrannt wird, ohne, dass es jemanden kümmert. Great! „Schöne Geschichten zum Vorlesen“ – also ich hab bei dieser Geschichte IMMER geheult, manchmal tu‘ ich das auch heute noch. Ja, das sind genau die Gedanken, die ich über meinen Handschuh derzeit habe, bzw. über das Kissen damals.
Kreisende Gedanken – ein Alptraum
Noch ein (etwas anders gelagertes) Beispiel: Meine Katzen. Es sind Freigänger, d.h., sie laufen draußen herum, wenn sie Lust haben. Zweimal kam es vor, dass eine der beiden länger als zwei Tage nicht nach Hause kam (Lopis Story/Lunas Story). Ein Alptraum – spätestens ab dem Moment, an dem man sich sagt: Luna/Lopi ist normalerweise nur maximal ein paar Stunden weg und kommt abends und morgens immer heim. Wenn sie/er jetzt herkommen KÖNNTE, dann WÜRDE er/sie das auch tun. Also kann sie/er nicht. Also muss was passiert sein. Überfahren, vergiftet, von einem perversen Tierquäler entführt, der sie nun bei lebendigem Leib häutet, von einem bösen Nachbarn geschnappt und 100 km weit weggefahren….
Das Kopfkino lässt sich nicht ausschalten. Es bringt einen dazu, nachts um 1 wieder aufzustehen, heulend durch die Straßen zu laufen und nach dem Tier zu rufen – getrieben von dem Gedanken: Es könnte ja irgendwo verletzt liegen, vielleicht kann ich jetzt noch helfen und morgen wäre es tot. Und ich erfahre es niemals und muss mit der Ungewissheit leben. Die fünf Tage Kater-Abwesenheit haben mich richtig kaputt gemacht, ein normales Leben war kaum noch möglich. Und das Schlimmste war nicht der Gedanke, dass er tot sein könnte – jeder muss irgendwann sterben. Sondern die Ungewissheit. Dass er vielleicht gerade in diesem Moment leidet, und ich tue nichts, um ihm zu helfen.
Zum Glück sind bisher beide wieder aufgetaucht und es geht ihnen gut. Aber trotzdem, der Tag kann kommen… Am Liebsten würde ich die Katzen drin behalten. Aber das geht nicht, dann zerlegen sie die Bude. Sie wollen ja raus.
Was tun gegen Verlustängste?
Natürlich sind Katzen wieder was anderes als ein Handschuh. Aber die Gedanken sind in der Quintessenz dieselben: Es ist schwierig, ein Lebewesen oder einen Gegenstand, für das/den man die Verantwortung trägt, zu „verlieren“. Vielleicht ist das Problem auch die Hilflosigkeit, da man aus eigener Kraft nichts unternehmen kann, um diesen Zustand zu beenden.
Letztes Jahr wurde mir auch das Fahrrad geklaut, das ich von meiner Mutter geerbt habe. Wochenlang habe ich mir Gedanken gemacht, ob es dem Fahrrad wohl gut geht. Und vor wenigen Wochen habe ich mein Schweizer Taschenmesser auf einem Parkplatz vergessen – ich hab es vor 15 Jahren oder so zum Geburtstag bekommen. Nun schneidet es bei jemand anderem T_T
Sollte man vielleicht die Dinge, die man mag, weil sie einfach hochwertig und gut sind … nicht benutzen, um sie nicht zu verlieren? Aber verlieren sie dann nicht die Eigenschaft, derentwegen man sie (unter anderem) so schätzt?
Ich werd über meinen Handschuh hinwegkommen. Aber der Verlust wird mich noch einige Tage beeinträchtigen.
Kennst du das auch, dass du mit Gegenständen mitfühlst?
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