Dieses Buch empfahl mir meine Schwester, die sich mehr für Philosophie interessiert als ich und ständig mit Schopenhauer-Zitaten daherkommt. Es geht um eine Passage aus Nietzsches Leben und allgemein die fremde Lebenswelt des 19. Jahrhunderts an der Schwelle zum modernen Leben.
Erstauflage: 1992
Seitenanzahl: 438 + Nachwort zu Personen
Zum ersten Mal gelesen: April 2013
Und Nietzsche weinte: Handlung
Der Wiener Arzt Breuer bekommt Besuch von einer faszinierenden Dame, einer Bekannten des bislang unbekannten Philosophen Nietzsche. Sie berichtet Breuer, dass Nietzsche diverse Krankheiten habe und zudem suizidgefährdet sei und bittet ihn, Nietzsche mit einer neuartigen, „seelischen“ Behandlungsmethode zu helfen. Das Problem dabei: Nietzsche würde niemals von selbst Hilfe in Anspruch nehmen und auch nicht zugeben, wie es mit seinem Innenleben aussieht. Durch die Empfehlung eines Freundes sucht Nietzsche also Breuers Praxis auf, um Breuer von seinen vielzähligen körperlichen Symptomen zu berichten. Breuer hat nun die schwierige Aufgabe, mit Nietzsche ins Gespräch zu kommen und ihm seine wahren Probleme zu entlocken.
Die Entwicklung der Beziehung zwischen beiden Männern, die jeweils in ihrem Fach genial sind, ist Thema dieses Buchs. Es geht dabei weniger um Philosphie, sondern mehr um Psychologie. So unterhält Breuer sich auch immer wieder mit seinem jungen Medizinstudenten Siegmund Freud über die Problematik, Nietzsches seelische Probleme anzugehen. So erhalten wir als Leser einen verschwommenen Blick auf Freuds spätere Psychoanalyse.
Die Hauptpersonen des Buches sind auch alle historische Figuren, nur dass eine Handlung wie diese in Wirklichkeit niemals stattfand: Nietzsche war zwar depressiv, er suchte jedoch niemals den Arzt Breuer in Wien auf.
Und Nietzsche weinte: Rezension
Nietzsche weinte ist hervorragend geschrieben. Nicht humorvoll, aber die Sprache ist klasse, voller „exotischer“ Wörter, die ich in meinen permanenten Wortschatz zu integrieren gedenke :D Sprachlich und „atmosphärisch“ ist das Buch unbedingt sehr empfehlenswert für jemanden, der schöne Sätze mag. Der Autor schafft es, den Leser in das Wien am Ende des 19. Jahrhunderts zu versetzen. Die deutsche Version ist allerdings nur eine Übersetzung aus dem Amerikanischen, die aber wirklich ausgezeichnet gelungen ist, man sollte es kaum meinen.
Atmosphäre: 19. Jahrhundert
Die beschriebene Lebensweise mutet ein wenig fremd an: So ist immer wieder die Rede davon, dass das hiesige Klima der Gesundheit nicht zuträglich sei und man deswegen mehrere Monate des Jahres in Italien leben müsse. Oder die übliche Praxis, als aufstrebender Medizinstudent / Arzt reich zu heiraten. Auch die distanzierende Haltung der beiden Hauptpersonen ist recht interessant. Okay, das wird vielleicht auch durch die Übersetzung verstärkt, im Englischen gibt’s da ja keinen Unterschied: Die beiden reden sich durchgehend mit „Professor Nietzsche“ und „Doktor Breuer“ an, bis sie (Nietzsche widerwillig) dazu übergehen, sich beim Vornamen zu nennen – bleiben jedoch stringent beim „Sie“. Das finde ich irgendwie distanzierter, als das heutige „Herr Nietzsche“ und „Herr Breuer“ plus „Sie“.
Zu scharfsinnige Dialoge
Es handelt sich um ein „Redebuch“, bei dem die Dialoge besonders wichtig sind und hervorgehoben werden. Abenteuerliche Handlung drumherum gibt es nicht.
Diese Dialoge fand ich teilweise etwas abwegig, bzw. konnte sie zwar nachvollziehen, fand sie aber sehr konstruiert. Breuer will bei Nietzsche ja erreichen, dass dieser sich ihm öffnet und ihm von seiner Depressivität erzählt, und Nietzsche will ebendies nicht. So entwickelt sich teilweise eine Art „Schachspiel“ zwischen den beiden. Mit verschiedenen Methoden versucht Breuer, Nietzsche seinen Widerstand aufgeben zu lassen, und Nietzsche schlägt einen Versuch nach dem anderen zurück.
Diese Gespräche sind so intelligent und schlagfertig, dass es mir nicht ganz realistisch vorkommt. Breuer hat in Sekundenbruchteilen immer neue Ideen, wo ich mich erstmal von Nietzsches letzter Antwort erholen müsste. Das ist fast schon Krimi. Vielleicht bin ich selber auch nicht schlau und schlagfertig genug für solche Dialoge (nicht, sie zu verstehen, sondern selbst einen solchen Dialog zu führen) – ziemlich wahrscheinlich sogar ^^ Aber das fand ich doch sehr aufgesetzt und der Stimmung im Buch abträglich.
Und Nietzsche weinte: Wertung
Wie beschrieben sprachlich ein absoluter Leckerbissen, und ich persönlich fand die Anspielungen auf Freuds spätere Ideen, wie die Existenz eines Unterbewusstseins mit seinem merkwürdigen Eigenleben, sehr spannend. Die Handlung ansich – Breuers unaufhörliche Versuche, Nietzsche zu überzeugen und Nietzsches strikte Ablehnung – und vor allem die zugehörigen Dialoge kommen mir leicht bis schwer überzogen vor. Für die Sprache gibt’s 4 Sterne, für die Handlung 3, also bleiben wir bei 3 Sternen und einem Plus :D
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