Ingelheim, zur Zeit der Karolinger im 9. Jahrhundert: Lesen und schreiben ist noch nicht allzu weit verbreitet und Bildung ist den meisten Menschen fremd. Dafür sitzt der alte, heidnische Glaube noch in den Köpfen der Menschen. Ein leicht fanatischer Priester versucht, seine Schäfchen mit Strenge zu Zucht und Ordnung zu erziehen. Doch er bekommt eine Tochter, die sich selbst nicht an die Gepflogenheiten hält und nicht vorhat, die den Frauen zugedachte Rolle zu spielen.
Erstauflage: 1996
Seitenanzahl: 555
Sonstiges: Verfilmt
Review online seit: ~2002-2006, 7.04.2012
Die Päpstin: Handlung
Johanna kommt im Winter des Jahres 841 in Ingelheim auf die Welt. Ihr Vater ist der grausame und mürrische Dorfpfarrer, der ohne Gnade gegen Unzucht und Aberglauben vorgeht. Auch gegen seine eigene Frau, eine sächsische Heidin, die im Grunde niemals ihre Heimat loslassen konnte, aus der sie in Karl des Großens Sachsenkriegen entführt wurde. Und so ist Johannas Mutter mehr eine unter ihrem Mann leidende Haushälterin, die ab und zu Schläge abbekommt, als eine geschätzte Ehefrau.
Jedenfalls – Johanna wächst als Mädchen in einer Zeit auf, in der Mädchen weben und spinnen sollten. Doch das interessiert sie nicht. Als eines Tages ein Gelehrter, der Grieche Aeskulapius, für einige Zeit bei Johanna unterkommt, bringt dieser ihr heimlich das Lesen und Schreiben bei. Johanna saugt das Wissen förmlich in sich auf und kann sich nicht vorstellen, die ihr zugedachte Rolle klaglos zu erfüllen. Sie strebt nach mehr Wissen und reißt eines Tages schließlich aus. Sie möchte in ein Kloster, als Hort des Wissens und Ort der Gelehrsamkeit, eintreten. Allerdings handelt es sich um ein Männerkloster…
Die Päpstin: Rezension
[Kritik überarbeitet am 11.07.2017]
Ich las „Die Päpstin“ erstmals vor etwa 15 Jahren, ich war so jung und so romantisch :D Inzwischen habe ich Geschichte studiert, und wenn ich das Buch nochmal lesen werde, fallen mir sicher jede Menge grauenhafte Fehler auf.
Die frühmittelalterliche Welt
Ein Grund, warum ich „Die Päpstin“ früher so gut fand, war die Darstellung der frühmittelalterlichen Welt, über die ich damals kaum etwas wusste. All die beschriebenen Praktiken und Orte Sie kam mir dementsprechend sehr fremd vor und wirkte auf mich faszinierend und zugleich abstoßend wegen ihrer
- tiefen Religiosität
- vielen christlichen Regeln und Vorschriften
- Verklemmtheit
- Barbarigkeit
- Meinung gegenüber Frauen
„Die Päpstin“ zeichnet eben ein sehr negatives Bild dieser Welt. Im Grunde ist hier alles düster, voller Willkür und Ungerechtigkeit. Persönliche Gefühle dürfen nicht aufkommen und persönliche Wünsche auch nicht. Das war bis zu einem gewissen Grad auch so, doch ganz so schlimm, wie Cross es hier darstellt, war es auch nicht. Auch die Menschen im frühen Mittelalter kannten Freude, und zu dieser Zeit galten auch noch nicht die festen religiösen Regeln, die die Menschen vor allem im hohen und späten Mittelalter in ein Korsett der Frömmigkeit steckten. So konnten – wie auch tatsächlich dargestellt – im 9. Jahrhundert Priester tatsächlich noch heiraten und durften auch Kinder haben.
Trotzdem kommen durchaus korrekte Aspekte des Mittelalters zur Sprache, z.B. das Abschaben und neu Beschreiben von Pergamenten. Allerdings ist es kaum vorstellbar, dass ein Gelehrter einem Mädchen einfach so ein Buch überlässt. Bücher stellten vor Erfindung des Buchdrucks im späten Mittelalter und vor allem auch vor der Einführung von Papier einen großen Schatz dar, der wohl behütet wurde. Um bestimmte Bücher zu lesen, nahm man weite Reisen in das betreffende Kloster in Kauf (und damit meine ich mehrwöchige Reisen).
In „Die Päpstin“ ist Ingelheim ein abgelegenes, heruntergekommenes und vermatschtes Dorf. Tatsächlich war Ingelheim zur Zeit der Karolinger aber Kaiserpfalz, das heißt, dass hier oft Kaiser und Könige – damals als Reiseherrscher viel unterwegs – residierten. Demnach war Ingelheim am Rhein eher sowas wie zeitweilige Reichshauptstadt.
Polarisierung bei Religion und Geschlechterrollen
Cross polarisiert in „Die Päpstin“ sehr. Während die gesamte Welt tief religiös ist, ist ihre Protagonistin zu schlau dafür. Ihr geht es nur um das Wissen. Ich weiß erstens nicht, ob man sich, derartig sozialisiert, einem so bedeutenden Konzept wie dem Glauben entziehen kann. Zweitens ist das Bild der Religion hier sehr negativ. Sie steht für Unterdrückung und Zwänge. Man möchte dem gern zustimmen und anführen, dass im Namen Gottes schon viel gemordet wurde. Dennoch ist es zu einfach und zu modern zu sagen, dass die Religion das Mittelalter zu einer verklemmten und verängstigten Gesellschaft gemacht hat.
Auch in den Geschlechterrollen polarisiert Cross sehr. Früher empfand ich „Die Päpstin“ fast schon als feministisches Buch – immerhin erstreitet sich hier eine Frau von der untersten Stufe entgegen aller Widrigkeiten den Weg bis nach Rom. Frauen hinterlassen hier im Allgemeinen den Eindruck von schicksalsergebenen Opfern, die nicht anders können, als zu gehorchen (außer Johanna). Und Männer sind mit wenigen Ausnahmen herrisch, willkürlich und gefährlich.
Meine Original-Kritik aus ~2002
Aus historischen Gründen darf ich den nachfolgenden Absatz natürlich nicht löschen! :D
Wie ein Kollege von mir sagte: „Dieses Buch sollte man gelesen haben.“ Damit hat er vollkommen Recht, denn Cross erzählt nicht nur die Geschichte einer Frau im Dienste der Kirche – der Leser erhält auch einen wunderbaren und zugleich erschreckenden Einblick in die frauenfeindliche Umgebung des tiefsten Mittelalters. Johannas Geschichte über den Kampf um einen Platz in der Welt wird glaubhaft und zugleich keineswegs langweilig oder eintönig erzählt, denn nicht nur die Kirche spielt eine Rolle in ihrem Leben, auch Sehnsüchte, die unerfüllt bleiben müssen.
Die Päpstin: Wertung
Normalerweise vergesse ich Details aus Büchern und Filmen relativ oft relativ schnell. Das ist bei „Die Päpstin“, auch nach vielen Jahren, nicht der Fall. Wer historische Romane mag, sollte „Die Päpstin“ auf jeden Fall lesen!
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